Wut und Angst auf der Verliererstraße

A bystander checks the debris around a row of burnt cars in the suburb of Rinkeby after youths rioted in several different suburbs around Stockholm May 23, 2013. Hundreds of youth have torched cars and attacked police in four nights of riots in immigrant suburbs of Sweden's capital, shocking a country that dodged the worst of the financial crisis but failed to solve youth unemployment and resentment among asylum seekers. REUTERS/Fredrik Sandberg/Scanpix (SWEDEN - Tags: POLITICS CIVIL UNREST) THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. SWEDEN OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN SWEDEN
Die Gewalt der letzten Tage macht das Scheitern der Integrationspolitik schmerzhaft deutlich

Tennislegende Björn Borg drosch hier als kleiner Bub die Filzbälle gegen das elterliche Garagentor, Traditionsunternehmen wie der Lkw-Hersteller Scania haben hier ihre Werkshallen. In wenigen Orten spiegelt sich der Wandel in der schwedischen Gesellschaft so scharf wider wie in Södertalje, 30 Kilometer südlich von Stockholm. „Klein Bagdad“ heißt die alte Industriegegend heute bei vielen Einwohnern – und das ist nicht nur scherzhaft gemeint. Denn die Integration von 15.000 Irakern, mehr als einem Fünftel der Bevölkerung, hat die Kleinstadt in den letzten Jahren überfordert. Auch in Södertalje brannten in dieser Woche Dutzende Autos gingen Steinehagel auf Polizeieinheiten nieder, die versuchten die Randalierer zu bändigen.

Tag für Tag tobten in Schwedens verarmten Industrievororten gewaltsame Unruhen. Von Husby bei Stockholm bis Malmö gingen jene auf die Straße, die im Wandel der Gesellschaft auf der Strecke geblieben sind: Jugendliche aus Einwandererfamilien. Jeder zweite von ihnen ist arbeitslos. Meist schlecht ausgebildet haben sie auch langfristig kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. „Ein Übergang vom einer alten Industriestadt zu einem postmodernen Platz für Mittelklasse-Konsumenten“, erläutert ein schwedischer Wirtschaftsexperte gegenüber dem britischen Guardian, den Wandel am Beispiel von Malmö:„Das produziert Gewinner und Verlierer. Die Verlierer sind die Alten, die Armen und die Zuwanderer.“

Mit allen Mitteln, die der schwedische Sozialstaat hergab, kämpfte man auch in Södertalje um Integration der Zuwanderer aus dem Nahen Osten. Neue Schulklassen und Kindergruppen wurden im Eiltempo aus dem Boden gestampft, Sprachkurse für Erwachsene angeboten, der Wohnbau wurde angekurbelt. Doch mit dem Tempo der Zuwanderung konnte man trotzdem nicht mithalten.

Und so bekamen auch andere Vorstädte in Südschweden neue, unfreundliche Spitznamen. „Das Getto“ nennt man etwa Rosengard bei Malmö: 20.000 Zuwanderer in den letzten Jahren, die Hälfte arbeitslos, die meisten Muslime.

Sie alle müssen mit einem Phänomen leben, das im friedlichen Schweden lange unbekannt war und danach viel zu lange ein Tabu blieb: Alltagsrassismus. Somalische Kinder, die auf dem Weg in die Schule angespuckt und beschimpft werden, Wandschmierereien mit fremdenfeindlichen Parolen, im schlimmsten Fall Überfälle auf Ausländer. Der Heckenschütze Peter Mangs, der über Jahre in Malmö Jagd auf dunkelhäutige Menschen machte und drei von ihnen tötete, blieb vorerst ein schockierender Einzelfall – vor einem politischen Hintergrund: Immer stärker bestimmt die Rechte die Debatte über Zuwanderung. Der Erfolg der rechtsradikalen Schwedendemokraten bei den Wahlen 2010 zeigte schmerzhaft auf, wie leicht sich mit offener Ausländerfeindlichkeit im Land inzwischen Politik machen lässt.

Angst und Vorurteile

Schweden ist ein Land, das große Gruppen von Menschen aus anderen Staaten aufnimmt – und ich bin stolz darauf“, versuchte der konservative Premier Fredrik Reinfeldt inmitten der Unruhen Stellung zu beziehen. Doch viele seiner Landsleute denken längst anders. „Man kann am Abend nicht mehr auf die Straße gehen“, „Die kommen nur, weil sie hier Geld bekommen, ohne zu arbeiten“: Sätze wie diese gehören längst zum Standardrepertoire vieler Bewohner in den Ausländervierteln.

Gerade die Geschichten über Ausländer, die Sozialgelder kassieren, gedeihen umso besser, seit auch in Schweden immer weniger von diesen Geldern verteilt werden. Die konservative Regierung hat drastische Sparprogramme umgesetzt. Die Einwanderungsbehörden müssen mit immer kleineren Budgets gegen die Gettobildung in Ausländervierteln ankämpfen, Viertel in denen der Zustrom aus Krisenländern wie Somalia ungebremst ist. Schulklassen, in denen gerade noch ein schwedischstämmiges Kind sitzt, überfordern Lehrer und Schüler. Und so dreht sich die Spirale der sozialen Isolation immer schneller – bis die Steine fliegen, wie in dieser Woche.

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