Petritsch: "Rasende Globalisierung überfordert viele"

Wolfgang Petritsch, Archivbild
Die Politik in Europa und den USA müsse der globalen Wirtschaft Regulative verpassen, sagt Wolfgang Petritsch.

Wolfgang Petritsch, einst Kabinettschef von Kanzler Bruno Kreisky, später Spitzendiplomat und Hoher Repräsentant in Bosnien, hält derzeit einen Lehrgang an der Universität in Berkeley/San Francisco. Der KURIER traf ihn dort zum Interview über den US-Wahlkampf, die Wurzeln des Terrors und des Erstarkens des Rechtspopulismus. Als Unterstützer Alexander Van der Bellens kritisiert Petritsch die Verfassungsrichter.

KURIER: Herr Botschafter, Sie gehen in Ihrer Vorlesung der Frage nach, wie die Welt in eine Situation schlittern konnte, wo Terror, Rechts-Radikalismus und Phänomene wie Brexit und Trump die Tagesordnung vorgeben. Wie erklären Sie das den Studenten?

Wolfgang Petritsch: Der große Zusammenhang ist die rasende Globalisierung und die Gegenreaktion darauf. Populistische Politiker greifen den Zorn und die Enttäuschung der Globalisierungsverlierer auf. Der amerikanische Traum, wonach es jeder Generation besser geht, findet in dieser Form nicht mehr statt. Donald Trump artikuliert in einer sehr direkten Sprache diese Wut. Die Abstiegsängste des Mittelstands in den USA sind mit denen in Österreich nur bedingt vergleichbar, denn in Österreich gibt es ein soziales Netz. In den USA fällt man rasch ins Nichts, wenn man den Job verliert.

Höre ich da richtig heraus, dass Sie mit einem Sieg Trumps rechnen?

Viele objektive Faktoren sprechen dafür. Clinton ist eine Repräsentantin des "Ancien Regime", das man abwählen will. Es geht um Protest. Es herrscht eine Stimmung, wo Fakten kaum mehr zählen. Wenn Medien versuchen, mit Statistiken eine sinkende Mordrate nachzuweisen, spricht Trump die gefühlte Angst an und kommt damit durch. Die Kernfrage wird sein, ob die Amerikaner ihr System noch für reformfähig halten, wozu die Bewegung von Bernie Sanders sicher einiges beitragen kann. Oder ob die Amerikaner die unkreative Zerstörung des alten Systems wählen nach dem Motto: Schau’n wir mal, was da kommt. Auch das ist uns ja nicht ganz fremd.

Welche Erklärung haben Sie für die Entstehung des IS und diese Form des Terrors?

Daran sind die USA wesentlich beteiligt. Mit der Irak-Invasion wurde dieses Ungeheuer IS gezüchtet. Mit der Auflösung der Armee Saddam Husseins waren plötzlich Hunderttausende Jugendliche und das Offizierskorps ohne Jobs, heute betätigen sich sehr viele von ihnen im IS. Man kann zwar mittels Militärintervention einen Diktator stürzen. Die amerikanische Annahme, dass danach Demokratie gleichsam von selbst entsteht, wird im Irak täglich blutig widerlegt. Die IS-Terroristen verfolgen keine vorwärts gewandte Utopie, es geht ihnen um das Wiedererschaffen eines angeblichen Ideals, eines imaginären Kalifats. Das erinnert an den nationalistischen Wahnsinn, der einen ethnisch reinen Staat anstrebt. Der IS will Ähnliches, bloß religiös-islamistisch gewendet. Solche Muster kennen wir aus Krisensituationen, in denen die Sinnfrage – wie kann ich sicher und in Würde leben? – von der Politik nicht beantwortet wird. Die Radikalisierung des IS spiegelt sich in der Reformunfähigkeit der arabischen Staaten und in der Enttäuschung über das Scheitern des Arabischen Frühlings.

Sie haben die Globalisierung und die Gegenreaktion angesprochen: Gibt es eine Sehnsucht danach, das Rad der Zeit zurückzudrehen?

Viele Menschen sind mit der Geschwindigkeit und den als Bedrohung erlebten Veränderungen überfordert. Zusätzlich produziert die Globalisierung ratlose Verlierer, denen offensichtlich nicht geholfen wird. Der Hinweis, dass das grenzenlose Wirtschaften etwa eine Milliarde Menschen aus bitterer Armut befreit hat, ist kalte Statistik und findet weit weg statt, in China und Indien. Und, was uns Österreicher betrifft: Wer wohlhabend ist, hat mehr zu verlieren. Aber wohin sollen wir noch wachsen? Sollen wir den vierten Kühlschrank und das fünfte Auto kaufen? Der entscheidende Punkt ist, dass national agierende Politik der global agierenden Finanzwirtschaft hinterher hinkt.

Meinen Sie damit, dass Gewinne nicht mehr in dem Ausmaß wie früher in Lohnerhöhungen fließen, sondern in Steueroasen der Reichen?

Man schaue sich nur die EU an, wo es immer noch Steuerwettbewerb zwischen den Staaten gibt. Europa zerstört sich, wenn es nicht endlich draufkommt, dass hier Regeln zu erlassen sind. Wenn eine Weltregion wie Europa zwar reicher wird, aber dennoch Sozialstaat und Bildungssystem eingeschränkt werden, fragt sich doch jeder: Was ist da los? An mangelnden Finanzen kann es ja nicht liegen. Es fehlt fairer, gesellschaftlicher Ausgleich, Regeln, die die Politik festlegt.

Sie sind im Personen-Komitee für Alexander Van der Bellen. Wie finden Sie die Wahlwiederholung?

Wahlwiederholung gibt es in Wirklichkeit nicht. Wahlen finden immer unter externen Einflüssen statt, und solche Umstände lassen sich Monate später nicht wieder herstellen. Ich bin perplex, dass der Verfassungsgerichtshof keine pragmatischere Vorgangsweise gewählt hat, wo doch kein Schwindel, sondern nur Formalfehler festgestellt wurden. Bei der US-Wahl 2000 zwischen Bush und Al Gore wurde auch wochenlang nachgezählt, ehe der Supreme Court entschied.

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