Flüchtlingskrise in Europa - wieso jetzt?

Der Kriegshölle in Syrien entkommen - Flüchtlinge an der syrisch-türkischen Grenze
Gründe für die aktuelle Zuspitzung der Flüchtlingskrise - KURIER gibt Antworten auf die brennendsten Fragen.

Der Krieg in Syrien wütet bereits seit vier Jahren. Warum machen sich so viele syrische Flüchtlinge ausgerechnet jetzt auf den Weg nach Europa?

Für Millionen Flüchtlinge hat sich mittlerweile jegliche Hoffnung zerschlagen, dass die Kämpfe demnächst enden könnten und eine baldige Rückkehr möglich wird. Im Gegenteil: Im Bürgerkriegsland Syrien selbst ist derzeit schon fast jeder zweite ein Flüchtling, viele werden demnächst versuchen, ihr Heimatland zu verlassen.

Die Türkei, Jordanien und der Libanon haben insgesamt vier Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Warum bleiben die Flüchtlinge nicht dort?

Seit Monaten oder Jahren harren die Flüchtlinge unter teils elenden Bedingungen in den Nachbarländern Syriens aus. Offiziell arbeiten dürfen sie in keinem dieser Länder. Ersparnisse sind längst aufgebraucht oder werden im letzten Moment noch dafür genutzt, doch noch einen Schlepper für die Reise nach Europa zu bezahlen.Wer illegal arbeitet, um zu überleben, wird entweder verhaftet oder ist den zunehmenden Anfeindungen der lokalen Bevölkerung ausgesetzt – denn syrische Schwarzarbeiter drücken das Lohnniveau. "Den allermeisten syrischen Flüchtlingen in der Türkei geht es wirklich schlecht", bestätigt auch Nahost-Expertin Karin Kneissl. "In der Bevölkerung sind gewaltige Ressentiments entstanden, syrische Kinder werden oft dafür verprügelt, dass sie Syrer sind. Und die jüngsten Spannungen in der Osttürkei sind auch nicht dazu angetan, die Lage zu beruhigen."

Warum hat die UNO in dieser verzweifelten Lage auch noch die Hilfen für die Flüchtlinge gekürzt?

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat trotz der weltweit steigenden Flüchtlingszahlen immer weniger Geld, um die Menschen zu versorgen. Bis Ende August erhielt ein syrischer Flüchtling pro Monat noch 24 Euro. Seither aber wurde diese Hilfe für die Flüchtlinge in Jordanien und Libanon halbiert oder überhaupt eingestellt. Millionen Flüchtlinge stehen seither buchstäblich vor dem Nichts. Diese Notlage treibt auch viele Menschen auf den Weg nach Europa, die eigentlich in der Nähe Syriens bleiben wollten.

Werden noch mehr Flüchtlinge kommen?

Mit Sicherheit – so lange die Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens nicht viel besser versorgt werden können – und der Krieg in Syrien anhält. Wie viele es noch sein werden, kann niemand sagen. Schätzungen gehen hin bis zu zwei oder drei Millionen Menschen.

Kann der Flüchtlingsstrom eingedämmt werden, indem man wie in Ungarn Grenzzäune baut oder Soldaten an die Grenze schicken will?

Erst im Sommer 2014 haben syrische Flüchtlinge die Balkanroute "entdeckt", seit dem Frühling folgten sukzessive immer mehr Flüchtlinge nach. Unzählige Menschenschmuggler-Netzwerke haben sich von der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und bis nach Österreich etabliert, sogar auf Facebook werden Dienste angeboten. Ungarns neuer, 170 Kilometer langer Grenzzaun hat bisher noch keinen Flüchtling aufgehalten. Ab Dienstag sollen neue Gesetze gelten: Demnach wäre nahezu jeder Flüchtling entweder sofort wieder nach Serbien abzuschieben, oder in Haft zu nehmen.

Wie wird dann Serbien mit Hunderttausenden Flüchtlingen zurechtkommen?

Sollte der Zugang zur EU über Ungarn schwieriger werden, dürften die Flüchtlingsströme – die auf jeden Fall noch bis Winterbeginn anhalten werden – ausweichen: Die Route nach Österreich, Deutschland und weiter gegen Norden würde dann über Kroatien und Slowenien führen. In beiden Länden ist man darauf nicht vorbereitet.

Kommentare