Kopf-an-Kopf-Rennen in Großbritannien

Premier David Cameron
Labour gegen Konservative: Nach dem untergriffigen Wahlkampf scheint der Ausgang offen.

Im Finale wurde David Cameron noch einmal richtig untergriffig. "Ein gefährlicher Typ" sei dieser Ed Miliband, der mit nichts als einem "miesen Trick" an die Macht kommen wolle, meinte der Premier am letzten Tag des Wahlkampfes vor der versammelten Presse.

Der Trick, den Cameron dem Chef der oppositionellen Labour-Partei unterstellte, ist seit Wochen Streitthema Nummer eins im britischen Parlamentswahlkampf. Die schottischen Nationalisten der SNP sind nicht nur drauf und dran, in Schottland ausnahmslos alle Wahlbezirke zu gewinnen, sie haben auch deutlich gemacht, was sie mit all diesen Mandaten anfangen wollen: eine Koalition mit Labour.

Für Ed Miliband – zumindest signalisieren das die letzten Umfragen – könnte das die einzige Möglichkeit sein, zuletzt doch als Premier in die Downing Street einzuziehen. Doch einen Pakt mit den schottischen Separatisten, die ja im Vorjahr mit ihrer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Schottlands nur knapp gescheitert sind, lehnt der Labour-Chef ab.

Zumindest bis zum heutigen Wahltermin. Wie es danach weitergeht, scheint bei diesen Parlamentswahlen so unklar wie noch nie in Großbritannien. Die Großparteien liegen laut Umfragen exakt gleichauf, bei jeweils 33 Prozent der Wählerstimmen. Prozente sind zwar im britischen Wahlsystem nicht entscheidend, da jeder Wahlkreis einzeln entschieden wird, doch auch da zeichnet sich keine klare Mehrheit für Labour oder die Konservativen ab.

Die 326 Mandate, die für eine regierungsfähige Mehrheit notwendig wären, wird wohl keine der beiden Parteien im Alleingang erreichen.

Der nächstliegende Koalitionspartner für beide wären die Liberaldemokraten. Sie sind seit 2010 Regierungspartner der Konservativen. Doch Vizepremier Nick Clegg hat bereits deutlich gemacht, dass er nach der Wahl auch für eine Zusammenarbeit mit Labour zur Verfügung stünde.

Viel allerdings dürften die Liberaldemokraten zu dieser Koalition nicht beizutragen haben. Ihnen wird ein Absturz bei den Wahlen vorhergesagt. Vor allem linke Wähler haben es der Partei nicht verziehen, dass sie soziale Härten wie etwa die Verdreifachung der Studiengebühren mitgetragen haben.

Mit ihren Wahlversprechen haben die beiden Parteien ohnehin kaum Eindruck gemacht, weder bei Wählern noch Medien.

Schlagzeilen machten vor allem peinliche Ausrutscher bei Wahlkampfauftritten, wie etwa David Camerons Versuch, einen Hot Dog mit Messer und Gabel zu essen, oder dass er sich plötzlich als großer Fan eines Fußballklubs outete. Dummerweise hatte der Premier bisher immer einen anderen Lieblingsverein genannt.

Kandidat gefeuert

Den letzten Skandal des Wahlkampfes aber lieferten die EU-Hasser der "Unabhängigkeitspartei" UKIP. Zwei Tage vor der Wahl mussten sie einen Kandidaten aus dem Rennen nehmen. Er hatte im Gespräch mit der Boulevardzeitung Daily Mirror angekündigt, seinem lokalen Rivalen eine "Kugel hineinzujagen", da dieser "nicht britisch genug" sei. Was die Rechtspopulisten mit ihrem Ruf nach Austritt aus der EU und Einwanderungsstopp erreichen werden, war bis zuletzt das große Fragezeichen der Wahl. Auch ihre Mandate könnten zuletzt gefragt sein, auch wenn die Konservativen das vorerst ebenso strikt ablehnen wie Labour die schottischen Nationalisten.

Wer kämpft um die Wählerstimmen?

Die Kandidaten im Überblick

Kopf-an-Kopf-Rennen in Großbritannien
epa04732844 British Prime Minister and Conservative party leader David Cameron (C) speaks to supporters during an election rally at Hayesfield Girls' School, in Bath, Britain, 04 May 2015. Britons will go to the polls in a general election on 07 May. EPA/STR UK OUT
Der vermutlich schwerwiegendste Fehler in dieser Wahlkampagne, der PremierDavid Cameronunterlaufen ist, hat auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun. Da ein Fußballverein, dem man treu ergeben ist, zur Grundausstattung jedes anständigen Engländers gehört, hatte Cameron sich immer zu Aston Villa bekannt.

Plötzlich aber bezeichnete er irrtümlich Westham als seinen Lieblingsklub. Für die Gegner des Konservativen der perfekte Anlass, um Cameron wieder einmal als abgehobenen Oberschicht-Schnösel zu brandmarken, der in Wahrheit weder von Fußball, noch vom harten Alltag seiner Landsleute auch nur irgendeine Ahnung habe.

Cameron musste sich tatsächlich in mehreren Interviews für seinen "Hirnschwund" rechtfertigen. Im Wahlkampf-Finale gab sich der 48-Jährige daher betont hemdsärmelig und emotional und versuchte so, den Vorwurf auch aus der eigenen Partei, er habe einen faden und wenig überzeugenden Wahlkampf geführt, zu entkräften.

Dass er seine Liberaldemokraten 2010 tatsächlich in eine Koalition mit den Konservativen führte, hat der linke Parteiflügel Nick Clegg bis heute nicht verziehen. Dass er dann noch eine drastische Anhöhung der Studiengebühren unter dem Druck des übermächtigen Koalitionspartners durchwinken musste, gilt als der endgültige Sündenfall des smarten Weltbürgers, der - ganz anders als die meistens seiner Landsleute - mehrere Fremdsprachen spricht. Schließlich ist er ja mit einer Spanierin verheiratet. Clegg, der im Wahlkampf 2010 sowohl David Cameron als auch den damaligen Labour-Chef Gordon Brown überstrahlt hatte, stürzte in den Umfragen ab.

Auch die in Großbritannien seit Jahren anwachsende europafeindliche Stimmung hat dem überzeugten Pro-Europäer nicht gerade geholfen. Seiner Partei wird bei diesen Wahlen nur eine Außenseiterrolle mit einer Handvoll Mandate zugetraut. Doch auch diese Handvoll könnte bei knappem Wahlausgang entscheidend sein, vor allem weil die Liberaldemokraten als einzige Kleinpartei gelten, mit der beide Großparteien zusammenarbeiten würden, ganz anders also als im Fall von UKIP oder der SNP.

Der Labour-Chef, der ja über Jahre im Schatten seines Bruders Dave stand, der enger Vertrauter von Tony Blair war, galt lange Zeit als unentschlossener Langeweiler. Die Medien porträtierten ihn als Nerd, der sich wohl lieber mit einem Rubiks-Würfel oder Computerspielen beschäftige als mit den wirklichen Sorgen seiner Landsleute. Außerdem gilt auch Miliband wie Premier Cameron als typisches Produkt britischer Elite-Erziehungsanstalten und daher als abgehoben. Doch schon in den TV-Wahldebaten überraschte Miliband mit Selbstbewusstsein und Angriffigkeit.

Auch wirkte sein Versuch, die Labour-Partei, die ja unter Tony Blair und Gordon Brown politisch in die Mitte gerückt war, wieder links und mit sozialem Bewusstsein zu präsentieren, zunehmend glaubwürdig. Überraschend wurde Miliband auch in den sozialen Medien von der anfangs grob karikierten Witzfigur zum Star. Fotos des 45-Jährigen als Indiana Jones oder Marlon Brando wurden wie wild verbreitet. Unter dem Stichwort "Milifandom" versammeln sich inzwischen Tausende in online-Fanklubs des Sozialdemokraten. Das läuft zwar nicht ohne typisch britische Ironie ab, verschafft Miliband aber jede Menge Sympathie. Auf der Suche nach Jungwählern und einem coolen Image hat sich der Parteichef vor einigen Tagen sogar zu Englands Starcomedian Russell Brand vorgewagt, was ihm wütende Kritik von den Konservativen einbrachte. Schließlich hat es Brand für sinnlos erklärt, überhaupt wählen zu gehen.

Nach dem im Vorjahr knapp gescheiterten Unabhängigkeits-Referendum in Schottland war ja der quasi-Übervater der schottischen Nationalisten der SNP, Alex Salmond, abgetreten. Mit seiner Stellvertreterin Nicola Sturgeon konnten viele Anhänger des hemdsärmeligen Linken vorerst nicht viel anfangen. Doch die 44-Jährige bewies nicht nur politischen Angriffsgeist und rhetorische Brillianz, sondern mauserte sich auch optisch zur prägenden Führungsfigur. Viele britische Blätter witzelten, sie habe sich wohl Angela Merkels Styling-Berater nach Edinburgh geholt.

Doch Sturgeon profitiert nicht nur von perfekten Kostümen und guten Argumenten, sondern auch durch ihre Bodenständigkeit, die ihr viel Glaubwürdigkeit bei den Wählern verschafft. Schließlich stammt sie, ganz anders als der Großteil von Großbritanniens politischer Führungsriege, tatsächlich aus einfachen Verhältnissen. Stimmen die Umfragen dann erlebt Schottland bei diesen Wahlen ein politisches Erdbeben. Die SNP könnte tatsächlich sämtliche schottischen Wahlkreise gewinnen. Mit 59 Mandaten und dem erwarteten knappen Wahlausgang könnte Sturgeon damit zum einzig möglichen Mehrheitsbeschaffer für die Labour-Partei werden. Die aber hat einen Pakt mit den nach Unabhängigkeit gierenden Schotten vorerst ausgeschlossen.

Bei den Europawahlen im Vorjahr war Nigel Farage der große Sieger. Seither ist seine rechtspopulistische UKIP mit 23 Abgeordneten die größte britische Fraktion im Europaparlament. Eine absurde Situation, ist doch die Hauptforderung der UKIP nach wie vor der Austritt Großbritanniens aus der EU. Bei den Unterhauswahlen wird der charmante und leutselige Ex-Konservative allerdings nicht so groß punkten können.

Das britische Wahlsystem, bei dem ja in jedem Wahlkreis nur der Gewinner zählt und alle anderen Stimmen quasi verlorengehen, gibt der UKIP gerade einmal in einer Handvoll Wahlkreise reale Chancen. Inzwischen versucht Farage nicht mehr ausschließlich als EU-Gegner zu punkten, sondern setzt auch auf die typischen Themen europäischer Rechtspopulisten, wie etwa die Probleme mit Zuwanderern und dem radikalen Islam. Außerdem warnt der überzeugte Pub-Besucher und Kettenraucher gerne vor dem Verlust der britischen Identität.

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