Vorwurf: IS-Kämpfer auf "Fronturlaub" in der Türkei

Die türkische Opposition wirft der Regierung in Ankara vor, bei der Verfolgung der IS-Kämpfer im eigenen Land blind zu sein.

Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) steht an den Südgrenzen der Türkei. Für das NATO-Land sind die sunnitischen Extremisten ein wachsendes Sicherheitsproblem – doch daran ist die türkische Regierung auch selbst schuld, sagen Kritiker. Der Oppositionsabgeordnete Mahmut Tanal reichte jetzt Strafanzeige gegen den designierten Präsidenten und bisherigen Premier Recep Tayyip Erdogan wegen Unterstützung islamistischer Extremisten in Syrien ein.

In einem Schreiben an das Innenministerium in Ankara beschrieb auch Celalettin Lekesiz, Gouverneur der türkischen Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien, bereits im Mai, wie IS-Mitglieder Teile des Gebiets als Aufmarsch- und Rückzugsraum nutzen.
Die Beispiele des Gouverneurs, dessen Bericht an die Presse durchsickerte, sprechen für sich. Im März seien rund 150 IS-Kämpfer per Bus aus Syrien an die türkische Grenze gekommen und in kleineren Gruppen über die Demarkationslinie in die Türkei spaziert. Nach einer mehrtägigen Ruhepause in einem Hotel der türkischen Grenzstadt Reyhanli seien etwa hundert IS-Mitglieder nach Syrien zurückgekehrt. Der Rest wurde von der türkischen Polizei festgenommen.

Anreisegebiet

Laut Lekesiz nutzt IS die ganze Türkei als Anreisegebiet ihrer Kämpfer. Dschihadisten aus dem Ausland fliegen demnach nach Istanbul und reisen legal mit ihren Pässen ein. Von Kontaktmännern in Empfang genommen, fliegen oder fahren sie ins Grenzgebiet weiter und überqueren in kleinen Gruppen die grüne Grenze nach Syrien. Die Koordination mit den IS-Truppen auf syrischer Seite laufe per Handy, WhatsApp oder Skype.

Dass der IS in der Türkei aktiv ist, steht spätestens seit dem Frühjahr fest. Damals erschossen europäische IS-Kämpfer auf dem Rückweg aus Syrien im zentralanatolischen Nigde einen türkischen Soldaten, einen Polizisten und einen Zivilisten.
Die türkische Opposition sieht sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Seit Jahren warne man vor der Gefahr einer Destabilisierung des Grenzgebietes durch islamistische Extremisten, kritisierten die Abgeordneten Refik Eryilmaz und Mehmet Ali Ediboglu, die Hatay für die säkularistische Partei CHP im Parlament von Ankara vertreten.

Waffenlieferungen

Die CHP wirft der Erdogan-Regierung vor, Waffenlieferungen an die IS geduldet oder sogar selbst organisiert zu haben. Verletzte Islamisten sollen in türkischen Krankenhäusern medizinisch versorgt worden sein. Hinter der Unterstützung für die Radikalen habe die Überlegung gestanden, dass die Dschihadisten für einen beschleunigten Sturz des Assad-Regimes in Syrien sorgen könnten. Doch diese Rechnung sei nicht aufgegangen.

Ankara weist dies strikt zurück. Nach der Kritik, die auch aus dem Westen kam, kontrolliert die Türkei die Grenze zu Syrien inzwischen aber offenbar etwas schärfer. Die Regierung verweist darauf, dass die 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien nicht hundertprozentig zu überwachen sei. Zudem verfolgt Ankara eine „Politik der offenen Tür“ gegenüber syrischen Flüchtlingen: Menschen, die über die Grenze kommen, werden also nicht unbedingt scharf kontrolliert. Fast 1,5 Millionen Syrer haben in der Türkei Zuflucht gefunden. Regierungskritiker befürchten, dass sich Extremisten unter die Flüchtlinge mischen.

Noch brenzliger wird das Problem IS für die Türkei dadurch, dass die Dschihadisten seit Mitte Juni im Irak fast 50 türkische Diplomaten in ihrer Gewalt haben. Laut Presseberichten ist Ankara bereit, dem IS als Gegenleistung für eine Freilassung der Geiseln die Kontrolle über eine türkische Exklave in Syrien zu überlassen. Die Regierung dementiert dies allerdings vehement.

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