Experte zu Vormarsch des IS: "Dürfen nicht zuschauen"

Menschenrechtsexperte Nowak erinnert alle Länder an ihre Pflicht, die Zivilisten im syrischen Kampfgebiet zu schützen.

Die Situation der Menschen in und um Kobane ist dramatisch – und niemand greift ein", ist Manfred Nowak von den menschlichen Tragödien erschüttert, die sich im syrisch-türkischen Grenzgebiet abspielen. "Ich sehe auch keine Bereitschaft, egal, von wo – nicht von der Türkei, nicht von den USA –, sich ein UN-Mandat dafür zu besorgen", sagt der Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien im KURIER-Gespräch. "Aber wir dürfen nicht zuschauen, wie Menschen hingeschlachtet werden", sagt Nowak. Wobei auch die Türkei nicht ohne UN-Mandat eingreifen dürfte, außer sie werde selbst angegriffen. "Aber ich glaube nicht, dass sich die IS-Kämpfer mit der Türkei und damit mit der NATO anlegen."

Die Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung liege bei allen 193 UN-Mitgliedsstaaten, so Nowak. Denn dazu haben sich alle 2005 verpflichtet – auf Drängen von Kofi Annan und dem Versagen aller im vorhersehbaren Völkermord in Ruanda und den ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im früheren Jugoslawien – allen voran in Srebrenica.

Eine Analyse, wieso niemand Kobane zu Hilfe kommt, lesen Sie hier.

Von einem "zweiten Srebrenica" will Nowak bei Kobane nicht sprechen, "weil wir nicht wissen, wie viele Zivilisten noch in der Stadt sind". Zudem sei Kobane – anders als Srebrenica, wo 1995 mehr als 7000 Bosniaken ermordet wurden – keine abgeriegelte Enklave.

Unabhängig davon sei die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen verpflichtet. Denn seit 2005 gilt: "Wenn Völkermord oder schwere Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ethnische Säuberungen drohen, muss die internationale Gemeinschaft seiner damals vereinbarten Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung nachkommen", erklärt Nowak.

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In der politischen Realität ist die Sache komplizierter. Russland schützt bis heute das mit ihm verbündete Assad-Regime; im syrischen Hafen Tartus hat Russland seinen einzigen Militärstützpunkt am Mittelmeer. Und auch China würde eine derartige UN-Resolution blockieren. Daher hat kein Land versucht, ein UN-Mandat für eine Intervention zu bekommen. Nicht einmal der Einsatz von chemischen Waffen durch das Assad-Regime änderte etwas daran.

Kein Signal an Assad

Nowak: "In Wahrheit hätte die Weltgemeinschaft schon 2011 in Syrien eingreifen müssen – so wie sie es in Libyen mit UN-Mandat gegen das Gaddafi-Regime gemacht hat, das die eigene Bevölkerung bombardiert hat." Doch gerade Gaddafis Sturz, den Russland nicht wollte, brachte alles in der UNO zum Stehen. "Dabei hätte man dem Assad-Regime gleich zu Beginn etwa durch Wirtschaftssanktionen klar Einhalt gebieten müssen. Damals begann das Regime seinen Kampf gegen die eigene, noch friedlich demonstrierende Bevölkerung auf brutalste Weise", so Nowak. Das Stoppsignal kam nicht. "So ging Assad immer weiter und schreckte selbst vor dem Einsatz von Chemiewaffen nicht zurück."

Es mischten sich arabische Staaten und die USA ein, radikal-islamische Milizen gewannen an Terrain, das Netz der Akteure in Syrien wurde immer unübersichtlicher. Der Westen verfiel in Schockstarre. Bis zum raschen und brutalen Vormarsch der IS-Milizen im Irak. Spätestens als die Ölfelder und Raffinerien in Gefahr waren, schrillten im Westen die Alarmglocken. Luftangriffe folgten – ohne UN-Mandat, aber auf Ersuchen der irakischen Regierung.

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