Vor Abschiebung: Chaos in griechischem Flüchtlingscamp

Flüchtlinge auf den Straßen von Chios am Freitag.
Vor Umsetzung des EU-Abkommens mit der Türkei liefen Hunderte in Chios Sturm.

Wenige Tage vor der Abschiebung der ersten Flüchtlinge in die Türkei sind zahlreiche Schutzsuchende gegen ihre Internierung auf der griechischen Insel Chios Sturm gelaufen. Bei nächtlichen Auseinandersetzungen wurden drei Flüchtlinge so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten, wie die Nachrichtenagentur ANA am Freitag berichtete.

Die Polizei setzte ANA zufolge in Chios Blendgranaten ein, um die Proteste aufzulösen. Das Lager Vial auf der Ägäis-Insel ist für 1.200 Menschen ausgelegt, allerdings harrten dort zuletzt 1.500 Flüchtlinge aus. Die Demonstrationen begannen am Donnerstagabend, als die Menschen forderten, das Lager verlassen zu dürfen. Zu der Gewalt kam es dann in der Nacht. Dabei wurden auch Teile des Lagers beschädigt, darunter die Krankenstation.

Verletzte erlitten Stichwunden

Dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zufolge erlitten die Verletzten in Chios Stichwunden. Auch in Lagern auf den griechischen Inseln Lesbos und Samos verschlechterten sich die Bedingungen zusehends, außerdem seien sie überfüllt. Das UNHCR forderte zudem die an dem EU-Türkei-Abkommen beteiligten Länder dringend auf, die nötigen Sicherheitsmaßnahmen bei den geplanten Abschiebungen einzuhalten.

Am Montag (4. April) soll die Umsetzung des Abkommens starten. Es sieht vor, dass alle Flüchtlinge, die seit dem 20. März in Griechenland ankamen oder noch ankommen werden, in die Türkei zurückgeschickt werden. Im Gegenzug sollen die EU-Länder für jeden zurückgeschickten Syrer aus den Flüchtlingslagern in der Türkei einen syrischen Flüchtling auf legalem Wege aufnehmen. In Deutschland werden die ersten Syrer laut Innenministerium bereits am Montag erwartet. Für Österreich gibt es laut Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck "derzeit noch keine zeitliche Perspektive".

Flüchtlinge werden eingesperrt

Auf Chios befindet sich einer von fünf sogenannten Hotspots in Griechenland. In den Registrierungslagern werden die Flüchtlinge bis zu ihrer Abschiebung in die Türkei neuerdings eingesperrt. Auch im überfüllten Lager von Piräus nahe Athen hatte es am Donnerstag Zusammenstöße zwischen Syrern und Afghanen gegeben, dabei wurden acht Menschen verletzt.

Am Donnerstagabend bestätigte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in einer Fernsehansprache, dass die Umsetzung des Abkommens wie geplant am Montag starten solle. Aus Athen fehlte dazu aber zunächst noch die rechtliche Grundlage. Dort beriet das Parlament am Freitag über ein Gesetz, das die Details des Abkommens regelt. Mit einem Votum wurde noch im Laufe des Tages gerechnet.

AI: "Verstoß gegen internationales Recht"

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf unterdessen der Türkei vor, schon seit Wochen täglich bis zu hundert Syrer abzuschieben. Dies sei ein "Verstoß gegen internationales Recht", erklärte Amnesty. Die Türkei sei "kein sicherer Drittstaat", in den die EU "bedenkenlos Schutzbedürftige zurückschicken" dürfe.

Die EU-Kommission beteuerte am Freitag, diesen Vorwürfen nachgehen zu wollen. Wir nehmen die Anschuldigungen ernst", so eine Sprecherin. Ähnlich äußerte sich EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn (ÖVP) im Ö1-Mittagsjournal. Hahn betonte weiters, dass es bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei keinen Verhandlungsspielraum gebe und trat damit Befürchtungen entgegen, dass es durch den EU-Türkei-Flüchtlingspakt zu Zugeständnissen dahingehend kommen könnte. "Entweder man bekennt sich zu unseren Grundsätzen oder nicht", erklärte Hahn.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) forderte im Rahmen eines Treffens mit seinen Amtskollegen aus Zentral- und Osteuropa (CEDC) in Wien ein "Ende der akademischen Diskussion" und eine konkrete Handlungsanleitung, um einen neuerlichen Ansturm von Flüchtlingen auf und durch Europa zu verhindern. Erneut brachte er den Vorschlag einer "zivil-polizeiliche-militärischen Mission" zur Unterstützung der EU-Grenzschutzagentur Frontex ins Spiel. Er wolle, gemeinsam mit seinen Amtskollegen, deshalb einen Brief an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini schicken, damit dieser Vorschlag auch beim nächsten EU-Verteidigungsministerrat besprochen werde.

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