Vertrieben aus der Wiege des Urchristentums

Herbergsuche im 21. Jahrhundert: In Erbil sind Tausende irakische Christen gestrandet, Österreich hilft.
Im kurdischen Erbil fanden Zehntausende Christen Zuflucht und hoffen auf eine Rückkehr.

Keine feste Behausung, sondern ein altes Zelt bildet den Rahmen dieser Weihnachtskrippe in Erbil. Josef, Maria, das Jesus-Kind – die biblische Flüchtlingstragödie der "Heiligen Familie" ist gerade hier, in der nordirakischen Stadt, aktueller und näher als sonstwo. Denn um die "Krippe" reihen sich auf dem Gelände der chaldäischen Kirchengemeinde St. Joseph viele andere, moderne Zelte, voll mit Christen, die von den Barbaren des "Islamischen Staates" (IS) aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden. Ihre Herbergsuche endete zunächst hier.

Thirka, wie sich die Frau schlicht nennt, trägt Schwarz, noch immer trauert sie um ihren Ehemann. Der Polizist war schon vor fünf Jahren bei einer Bombenexplosion in Karakosh getötet worden. "Ich hatte gerade begonnen, mein Leben mit den beiden Kindern neu zu organisieren, da wurden wir gezwungen, unser Zuhause zu verlassen", klagt die Mutter, die sich mit ihren Zwillingen Rania und Ranin irgendwie bis Erbil durchschlagen konnte.

Vertrieben aus der Wiege des Urchristentums
"Viele sind völlig verzweifelt, sie finden keine Jobs und – noch schlimmer – sie haben keine Perspektive. Vor allem die Jüngeren wollen nur eines: weg aus dem Land. 70 bis 80 in Erbil gestrandete Christen verlassen täglich die Stadt. Meist Richtung Türkei, Jordanien und Libanon", sagt Thomas Heine-Geldern zum KURIER. Der Leiter der Hilfsorganisation "Kirche in Not" (KiN) war soeben in der Krisenregion, wo sich seine NGO engagiert, dass der Mittlere Osten nicht völlig "christenfrei" wird.

Tatsächlich sind die Zahlen für das Zweistromland erschütternd: 1,5 Millionen Christen lebten noch unter Ex-Diktator Saddam Hussein im Irak, jetzt sind es gerade noch 300.000. "Diese uralte Gemeinschaft, die in biblische Zeiten zurückdatiert, droht für immer zu verschwinden. Wir haben es ohne Zweifel mit einem Völkermord zu tun. Denn ein Genozid ist auch dann gegeben, wenn die Seele eines Volkes getötet wird", so Pater Andrzej Halemba, der Nahost-Verantwortliche von KiN.

Österreich finanziert Schulraum

Die Organisation kümmert sich primär um die Flüchtlinge, die im Christen-Viertel Erbils, in Ankawa, untergekommen sind. "Dazu muss man wissen, dass in Ankawa bis zum Ausbruch der Krise rund 50.000 Christen lebten, jetzt kamen 60.000 dazu. Insgesamt wurden in der Region etwa 100.000 Christen vertrieben", erläutert Heine-Geldern.

Vertrieben aus der Wiege des Urchristentums
Flüchtlinge, Erbil, Kirche in Not
Bei seiner Visite eröffnete er die erste von KiN finanzierte Container-Schule, acht sollen es insgesamt werden, für 15.000 Burschen und Mädchen. Die Kosten dafür: zwei Millionen Euro. "Diese Bildungseinrichtungen sind uns ganz wichtig. Denn wenn die Familien wenigstens eine Zukunftschance für ihre Kinder sehen, dann bleiben sie eher", analysiert der KiN-Leiter.

Weitere Schwerpunkte der angelaufenen Hilfe im Ausmaß von vier Millionen Euro: Wohncontainer sowie die Anmietung von Häusern, damit die Flüchtlinge über den Winter kommen, Essenpakete für die Vertriebenen sowie Weihnachtspackerln für 15.000 Kinder. Die Kleinen erhalten dieser Tage unter anderem warme Kleidung, Malbücher, Stifte – eine solche Box kostet rund 20 Euro.

Thirka hat für ihre zehnjährigen Zwillinge bereits zwei erhalten. Wichtiger ist ihr aber die Schule: "Wenn Kinder nicht zur Schule gehen, ist das eine Katastrophe", sagt sie und hofft, dass sie Rania und Ranin eines Tages wieder aus der Not-Herberge in die alte Heimat führen kann.

Spenden: Kirche in Not, IBAN: AT72 6000 0000 9206 5338

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