Vergeltungsschlag: UNO bremst Falken im Westen

Der Konvoi mit den UNO-Chemiewaffenexperten wird von Kämpfern der Freien syrischen Armee durch einen Vorort von Damaskus eskortiert
Der UN-Generalsekretär fordert mehr Zeit für die Inspektoren. Auch die Briten wollen nun abwarten.

Auf ihre Worte wartet die gesamte Welt. Am Mittwoch rückten sie wieder aus, die Experten der UNO, die derzeit in Damaskus nach Belegen dafür suchen, was sich vor einer Woche dort ereignet hat. Es ist eine Suche nach Belegen auf einem Schlachtfeld, das nach wie vor umkämpft ist. Eine schwierige Mission. Eine, die nach den Worten von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon mehr Zeit benötigt: „Sie brauchen mehr Zeit, um ihre Arbeit zu tun.“ Vier Tage – plus Zeit, die Ergebnisse auszuwerten.

Für die USA und Großbritannien scheint bereits belegt, dass es sich bei den Attacken vor einer Woche um Giftgasangriffe der Armee handelte. Die USA wollen ein Tonband eines abgehörten Telefongesprächs vorlegen, in dem syrische Regierungsmitglieder und Vertreter der Armee über den Giftgaseinatz sprechen. Großbritannien will nun den Bericht der Inspektoren abwarten. Russland und der Iran glauben weiter an einen Einsatz durch Rebellen.

Vergeltungsschlag: UNO bremst Falken im Westen
Es liegt an den Experten der UNO, grundlegende Fakten zu klären. Vor allem, welche Substanz in zumindest zwei Vororten der syrischen Hauptstadt ausgesetzt wurde. Wegen der Sicherheitslage hatten die Experten am Dienstag einen Ruhetag einlegen müssen. Am Mittwoch begaben sie sich erstmals in das Dorf Zamalka, wo am Mittwoch vor einer Woche Hunderte Menschen starben.

Hunderte Proben gilt es zu nehmen, auch unbelastete Vergleichsproben, und den Einsatzort zu dokumentieren, so der Chemiewaffenexperte des österreichischen Bundesheeres, Otto Strele. Und dann müssten Reste sogenannter „Kampfmittel“ gesucht werden, wie Strele ausführt. Also Granatsplitter, Reste von Raketen oder womit auch immer der Stoffe befördert wurde. Und das sei gerade bei einem Stoff wie Sarin, das den Hauptbestand des syrischen C-Waffen-Arsenals bildet, sehr einfach.

Sarin im Güllewagen

Sarin, analysiert der Soldat, könne in einem einfachen Plastikkanister befördert werden, der mit einem Sprengsatz zum bersten gebracht werde. „Ausbringen“, so Strele, „kann es jeder – ob durch Artillerie oder“, wie er meint, „theoretisch auch in einem Güllewagen, dessen Lenker einen Schutzanzug trägt.“ Strele verweist auf die Aum-Sekte, die 1995 einen Anschlag mit Sarin auf die U-Bahn in Tokio verübt hatte. Das Sarin war dabei in Plastiksäcken transportiert worden, die mit einem Schirm durchstochen wurden.

Strele hält den Einsatz eines Nervengases in Syrien, „möglicherweise Sarin“, für wahrscheinlich. Die berichteten Symptome der Opfer und die Bilder von vor Ort passten auf die Wirkung. Überlebenschancen gebe es nur in Randzonen, wo sich das Gas verflüchtige. Charakteristisch seien dann verstärkter Speichelfluss, Zuckungen und Krämpfe. Markant sei auch, dass ein Gas wie Sarin eine nur kurze Wirkung habe und sich binnen Stunden verflüchtige. Nachzuweisen sei es aber lange durch chemische Verbindungen, die es eingehe.

Wer es eingesetzt hat, will Strele nicht beurteilen. Es liege an den Inspektoren, herauszufinden, was wie verwendet wurde. Klar ist: Es gebe Bestände an Sarin in Syrien – und die Rebellen hätten Bestände erbeutet.

Nach Hinweisen und Spekulationen am Vortag, dass ein Militärschlag gegen Syrien unmittelbar bevorstehen könnte, zeichnete sich am Mittwoch zumindest eine Verzögerung ab. Großbritannien wollte einen letzten Versuch starten, den UNO-Sicherheitsrat auf seine Seite zu ziehen, sprich: ein Mandat für Maßnahmen gegen das syrische Regime zu erreichen. Doch der Sicherheitsrat griff das Thema am Mittwoch nicht einmal auf.

Der britische Premier David Cameron hatte zuvor einen Resolutionsentwurf angekündigt, der „notwendige Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten“ vorsieht – worunter auch die Zerstörung der C-Waffenarsenale des Assad-Regimes verstanden werden könnte. Eine Zustimmung der Vetomacht Russland gilt weiterhin als so gut wie ausgeschlossen. Jedenfalls wehrt sich Moskau gegen eine schnelle Entscheidung: Der Sicherheitsrat solle erst dann über eine Reaktion entscheiden, wenn der Bericht der UNO-Chemiewaffenexperten vorliege, sagte Vize-Außenminister Titow. Auch die Briten wollen nun die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.

Zuvor hatte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon nicht nur mehr Zeit für die Arbeit der UNO-Chemiewaffenexperten in Syrien gefordert. Er hatte sich auch gegen ein Eingreifen westlicher Staaten in Syrien ohne UNO-Mandat ausgesprochen: „Der UNO-Sicherheitsrat muss seine politische Verantwortung behalten.“ Ban Ki-moon, der am Donnerstag in Wien das Große Goldene Ehrenzeichen des Landes Wien erhält, sagte seine danach geplante Teilnahme am Forum Alpbach wegen der aktuellen Entwicklung um Syrien ab.

Während das britische Unterhaus am Donnerstag über einen Syrien-Einsatz berät, tritt Frankreichs Parlament erst Mitte kommender Woche zum weiteren Vorgehen in Syrien zusammen. Diese Entscheidung Präsident François Hollandes, der tags zuvor von der Bereitschaft gesprochen hatte, die „Verantwortlichen für das Giftgas-Massaker zu bestrafen“, wird ebenfalls als Verzögerung der von den USA forcierten Angriffspläne gewertet. Auch die USA haben noch keine letztgültige Entscheidung getroffen, wie Präsident Obama im TV sagte.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat den Einsatz von C-Waffen in Syrien als „nicht akzeptabel“ kritisiert. Ein solcher Einsatz „kann nicht unbeantwortet bleiben“. Zahlreiche Quellen deuteten darauf hin, dass die syrische Regierung für den Chemiewaffeneinsatz verantwortlich sei.

Israel alarmiert

Israel berief unterdessen sein Sicherheitskabinett zu einer Dringlichkeitssitzung ein. Befürchtet wird dort im Falle eines westlichen Militärschlages gegen Syrien eine Ausweitung des Konfliktes. Der iranische Parlamentspräsident Ali Larijani hatte zuvor den Westen gewarnt: „Im Falle eines Krieges in Syrien sollten sie sich auch um ihr illegitimes Kind (Israel) in der Region große Sorgen machen.“

Barack Obama soll nur mehr wenige Zweifel daran haben, dass Syriens Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag unter Führung der USA laufen - auch die NATO hat nun zu Protokoll gegeben, dass der "Chemiewaffen-Einsatz nicht unbeantwortet bleiben" kann.

Allerdings soll dieser kurz sein – ein langfristiger Einsatz wird tunlichst vermieden. Ein Angriff wäre demnach vor allem ein symbolischer Akt gegen den Einsatz chemischer Waffen.

Weder soll Bashar al-Assad gestürzt noch die Rebellen von der Intervention gestärkt werden. Die Aufständischen sind von der Terrororganisation El-Kaida unterlaufen, sind dem Westen daher ähnlich unheimlich wie Machthaber Assad selbst.

Die Freunde des Regimes – Russland, China und der Iran – hingegen fürchten um ihren Einfluss in der Region. Sie drohen bei einer militärischen Intervention mit Konsequenzen. Vor allem Israels Bevölkerung fürchtet Vergeltungsmaßnahmen.
Die Akteure im Überblick:

Zwischen den Regierungen in Washington und London, Paris und Ankara wird nicht mehr beraten, ob, sondern nur noch wann es Luftschläge gegen Syrien geben wird. Der KURIER versucht die wichtigsten Fragen rund um die bevorstehende, drohende Eskalation in Syrien zu beantworten.

Auf welche Beweise stützen die USA und deren Alliierte die Annahme, dass tatsächlich Syriens Armee den verheerenden Giftgasangriff zu verantworten hat?

Militärische Geheimdienstberichte der USA und Israels gingen bereits am vergangenen Mittwoch, als Hunderte Syrer offenbar nach einem Gasangriff umkamen, davon aus, dass die 155. syrische Armeebrigade den Angriff ausführte. Selbst die genauen Abschusspositionen sollen bekannt sein. Dennoch soll der Bericht der UNO-Chemiewaffenexperten vor Ort abgewartet werden, spätestens Mittwoch könnte er vorliegen. Washington hat klargemacht, dass für längere Untersuchungen keine Zeit bleibt. Bereits nächste Woche könnte es zu Luftschlägen gegen Ziele in Syrien kommen.

Wird es ein UNO-Mandat für den möglichen Angriff geben?

Eher unwahrscheinlich – zumal die Veto-Macht Russland als Verbündeter Syriens keine Einwilligung dazu geben wird. Stattdessen scharen die USA eine Art „Koalition der willigen Staaten“ um sich. Die NATO-Partner Großbritannien, Frankreich und vor allem die Türkei haben sich bereits eingereiht. Grünes Licht haben auch Saudi-Arabien und Israel signalisiert. Als Richtschnur für die mögliche Offensive wird der Kosovo-Einsatz 1999 genannt. Damals hatte die NATO zunächst ohne grünes Licht der UNO interveniert.

Und wie würden Syriens Verbündete Russland und der Iran reagieren?

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnt: Ein militärisches Vorgehen könnte „extrem gefährliche Folgen“ haben – „für die ganze Region des Nahen Ostens und Nordafrikas“. Auch Irans Vize-Generalstabschef Massoud Jazayeri droht den USA „ernste Konsequenzen“ an. Die USA und ihre „Koalition der Willigen“ scheinen aber darauf zu vertrauen, dass Moskau und auch Teheran angesichts einer zeitlich und strategisch begrenzten Militäraktion der NATO nicht wegen Syrien in einen Krieg ziehen werden. Dies bestätigte Lawrow gestern: „Wir haben keine Absicht, mit irgendwem Krieg zu führen.“

Warum will der Westen nach dem Einsatz von Giftgas einschreiten, während der Tod durch Raketen und Bomben von 100.000 Syrern bisher keinen Anlass für eine Intervention bot?

Der Einsatz von Giftgas gilt als absoluter Tabubruch, der nach den Worten des türkischen Außenminister Davutoglu „nicht ungestraft bleiben darf“. Die große Mehrheit der Staaten der Welt – nicht allerdings Syrien – hält sich seit 20 Jahren an die internationale Konvention, kein Giftgas herzustellen oder einzusetzen bzw. alte Bestände zu zerstören. Zivilisten sind die primären Opfer von Giftgasangriffen. Wer überlebt, hat fast immer mit schweren Langzeitschäden zu kämpfen. In den USA herrscht die Befürchtung: Setzt Assads Armee nun ungestraft Giftgas ein, könnte er dies in Zukunft in noch schrecklicherem Ausmaß tun.

Würde ein alliierter Militäreinsatz den Kriegsverlauf in Syrien verändern?Die möglichen Luftangriffe, wie sie derzeit geplant werden, gleichen eher einer Art Strafaktion als einer umfassenden Großoffensive. Kein Staat der Welt will seine Soldaten in den unüberschaubaren syrischen Bürgerkrieg schicken. Ohne den Einsatz von ausländischen Bodentruppen aber dürfte sich das Kriegsglück von Bashar al-Assads Armee, die den Rebellen um ein Vielfaches überlegen ist, kaum wenden.

Gibt es überhaupt noch Bemühungen für eine politische Lösung in Syrien?

Die eigentlich für September in Genf geplante Syrien-Konferenz mit Russland und den USA wird wohl eher nicht stattfinden – und schon gar nicht, sollte es tatsächlich zu Luftschlägen gegen die syrische Armee kommen. Alle politischen Bemühungen, die syrischen Machtvertreter und die Opposition an einen Tisch zu bekommen, sind bisher gescheitert. Zum einen ist die Opposition untereinander zutiefst zerstritten. Zum anderen sieht sich Diktator Assad auf dem militärischen Siegespfad und ist daher weiter wenig geneigt, mit seinen Gegnern zu verhandeln.

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