Ungarn will Flüchtlinge in Bussen nach Österreich bringen

Ungarn will Flüchtlinge in Bussen nach Österreich bringen
Nach 40 Kilometern stoppten ungarische Behörden die Menschenkarawane. Nun sollen Busse zum Einsatz kommen.

Der Gewaltmarsch von 4000 Flüchtlingen über die Autobahn M 1 von Budapest zur österreichischen Grenze stoppte jäh gegen 21. 30 Uhr. Die ungarische Polizei sperrten die Fahrbahn und informierten die erschöpften Migranten, dass Busse kommen würden und sie nach Österreich transportieren werden. Die bereits auf der Autobahn und dem Pannenstreifen sitzenden und liegenden Menschen schöpften neuen Mut.

Die totale Erschöpfung nach etwa 40 Kilometer Fußmarsch siegte vorerst über Hunger und Durst. Denn die Behörden Ungarns sind mit der Menschen-Karawane völlig überfordert. Auf der Autobahn gab es keinerlei offizielle Versorgung. An Raststätten verteilte das Rote Kreuz Wasser. Zum Glück zeigte die ungarische Bevölkerung mehr Menschlichkeit wie die Politik des EU-Nachbarstaates. Dutzende Pkw, auch aus Österreich, blieben auf der Gegenfahrbahn stehen und verteilten Essen, Getränke und Babynahrung an die ausgelaugten Menschen. Mittlerweile sanken auch die nächtlichen Temperaturen auf etwa 16 Grad. Die zum Teil in Badeschlapfen, kurzen Hosen und T-Shirts bekleideten Flüchtlinge zitterten vor Kälte und Ungewissheit.

Ungarn will Flüchtlinge in Bussen nach Österreich bringen
Flüchtlinge in Ungarns autobahn

Krisenstab

Bundeskanzleramt, Innen- und Außenministerium bildeten eine Krisenstab. Galt es doch eine gangbare Strategie zur Bewältigung der etwa 4000 Flüchtling zu finden. Denn die rund hundert Busse könnten nach vorsichtigen Schätzungen bereits heute Samstag, in den frühen Morgenstunden an den österreichisch-ungarischen Grenzen ankommen. Der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, gab erste Informationen. Er stellte fest, dass sich das Innenressort auf die Ankunft der Flüchtlinge vorbereitet. Gemeinsam mit der Polizeiund in Kooperation mit Hilfsorganisationen. Allerdings im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung und unter besonderer Beachtung der Verhältnismäßigkeit. Ob die Migranten sofort nach Österreich einreisen können, blieb unbeantwortet.

„Hier bleibe ich nicht“

Ungarn will Flüchtlinge in Bussen nach Österreich bringen
Ein Zug von Flüchlingen marschiert auf der Stadtautobahn M1 bei Budapest Richtung Westen.

KURIER-Redakteur Dominik Schreiber und Fotograf Franz Gruber hatte zuvor auf der M 1 beim Marsch der Flüchtlinge unglaubliche Szenen miterlebt. „Töten Sie mich, aber ich werde nicht in Ungarn bleiben!“ Das waren die Worte eines syrischen Vaters an die Polizei in Bicske. Treffender könnte die Atmosphäre unter den Flüchtlingen in Ungarn nicht beschrieben werden. Tausenden wird seit Montag die Ausreise mit dem Zug nach Deutschland verwehrt. Mit jedem Wort, jeder Handlung machten sie klar, dass sie nichts mehr zu verlieren haben und zu allem bereit sind.

Am Freitagvormittag machten sich zunächst einige Hundert Flüchtlinge von Budapest zu Fuß auf den Weg. Die Verzweiflung nach den Tagen mit unmenschlichen Zuständen auf dem Bahnhofsvorplatz ließen viele diesem Beispiel folgen. Gegen 16 Uhr hatten bereits rund 4000 Menschen Budapest verlassen und marschierten auf der Autobahn in Richtung Österreich. Vorneweg trug ein Mann eine EU-Flagge. Schilder mit dem Bild der deutschen Kanzlerin wurden in die Luft gehalten. Tausende Syrer erblicken in Angela Merkel den rettenden Engel in ihrer Not: „Sie sagt, wir dürfen bleiben. Sie ist die Einzige, die uns versteht. “

Ungarn will Flüchtlinge in Bussen nach Österreich bringen
Ein Zug von Flüchlingen marschiert auf der Stadtautobahn M1 bei Budapest Richtung Westen.

Hass und Ablehnung

Der Hass und die Ablehnung, die den Flüchtlingen in Ungarn entgegenschlugen, beschrieb ein 20-jähriger Pakistani in Bicske: „Sie schauen uns an, als wären wir Tiere, und sie behandeln uns auch so. Aber wir sind Menschen wie sie, keine Terroristen. Wir laufen weg vor den Terroristen.“ In den Abendstunden fuhren Hooligans dem Flüchtlingstross entgegen. Aus den Autos heraus beschimpfen sie Freitagabend die Migranten. Auch am Budapester Hauptbahnhof sollen Rowdys versucht haben, Migranten zu attackieren.

Die Behörden waren teilweise brutal gegen Flüchtlinge vorgegangen. Zeugen am Bahnhof berichteten, dass Beamte sogar Schlagstöcke eingesetzt hatten. Völlig konträr dazu verhielt sich die Polizei am Freitag. Streifenwagen geleiteten die friedlichen Marschierer über die Autobahn. Die Grenze als Ziel hatten auch Hunderte, die in der Stadt Bicske in einem Zug ausharrten und auf die Weiterreise nach Deutschland warteten. Laut ungarischen Medien stürzte ein Pakistani, 50, auf die Gleise und zog sich tödliche Kopfverletzung zu. Auch dort hatten sich am Freitag Flüchtlinge am Bahnhof zu Fuß auf den Weg zur Grenze gemacht.

Polit-Hektik am gestrigen Abend: Österreich und Deutschland feilten an einer Erklärung zur Flüchtlingscausa. Der Anlass: Ungarns Vorgehen gegenüber Asylwerbern – und der Marsch etlicher von ihnen Richtung österreichischer Grenze.
Faymann tat nach Mitternacht kund: Nach einem Gespräch mit Ungarns Premier Victor Orban – und abgestimmt mit der deutschen Regierungschefin Angela Merkel – sei festgelegt worden: „Aufgrund der Notlage an der ungarischen Grenze stimmen Österreich und Deutschland in diesem Fall einer Weiterreise der Flüchtlinge in ihre Länder zu.“ Im Übrigen „erwarten wir, dass Ungarn seinen europäischen Verpflichtungen, einschließlich der Verpflichtungen aus dem Dubliner Abkommen, nachkommt“.
Das ungarische Außenministerium hatte Österreich gestern Abend zu einer Stellungnahme zu den marschierenden Flüchtlingen aufgefordert. Die Regierung in Wien wurde ersucht, „ihr Verhältnis im Zusammenhang mit diesen Flüchtlingen zu determinieren“. Laut dem ungarischen Kanzleiminister Janos Lazar versuchte Orban mehrfach, mit Faymann zu telefonieren. Dieser habe Orban wissen lassen, heute mit ihm zu konferieren. „Wir werden die Menschen in dieser Notsituation nicht im Stich lassen“, hieß es in Faymanns Büro.
Faymann, der zuvor Ungarns Botschafter Janos Perenyi zu sich zitiert hatte, unternahm via KURIER einen neuen Vorstoß in der Flüchtlingsfrage: „Wir brauchen nicht nur in Griechenland und Italien, sondern auch in Ungarn gemeinsame, also EU-finanzierte Anlaufstellen für die Flüchtlinge.“ Dort sollten Asylwerber registriert werden, dort sollte mitgeholfen werden, das Chaos in Ungarn zu beseitigen. Das müsse in Budapests Interesse sein.


Neuer Vorschlag

Für Faymann sind diese Anlaufstellen Voraussetzung für die europäische Quote, also die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-28. Kommende Woche könnte es einen neuen Vorschlag der EU-Kommission geben. Faymann „versteht nicht“, warum ein Land wie Ungarn, das „offensichtlich Hilfe Europas“ braucht, Quoten ablehnt. Man könne doch nicht glauben, mit einem Zaun das Problem zu lösen. „Jemand, der ankommt und auf Stacheldraht trifft, muss die Chance haben, als Asylwerber anerkannt zu werden und ein Quartier zu bekommen – das gilt für alle europäischen Länder.“ Ungarn habe „eine Registrierungspflicht, es soll Flüchtlinge menschlich behandeln, es soll sich dafür einsetzen, dass es eine verpflichtende Quote gibt. Diese ist Grundlage für ein kontrolliertes Verfahren und die faire Verteilung auf Europa.“
Diskutiert hat Faymann darüber auch mit Kommissionspräsident Juncker und EU-Parlamentspräsident Schulz. Faymann drängt auf einen EU-Sondergipfel in diesem Monat. Er will, dass der Flüchtlingsfrage mindestens so viel Zeit gewidmet wird, wie der Bankenrettung – weil „es hier um Menschenleben geht“.
Am Montag trifft Faymann in Bratislava den tschechischen und slowakischen Amtskollegen, Sobotka und Fico. Sie lehnen – wie Ungarn und Polen – eine Quote ab.

Flüchtlinge mit dem Auto in Ungarn abholen. Beim Helfen auf dem Wiener Westbahnhof ist diese Idee entstanden. Fritz G. (Name von der Redaktion geändert) nahm dort Flüchtlinge aus Ungarn in Empfang und brachte sie zu jenen Bahnsteigen, von denen die Züge nach Deutschland abfuhren. Dort fiel ihm ein, einen Autokonvoi zu bilden und Flüchtlinge aus Budapest nach Wien zu holen.

Kurzerhand erstellte die Gruppe um G. auf Facebook eine Veranstaltung mit dem Namen Konvoi Budapest-Wien. Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge. 2300 Menschen haben bereits angekündigt, mitzumachen. "Gerechnet haben wir mit 50 Autos und fünf VW-Bussen", sagt G. Treffpunkt ist am Sonntag um 8.30 Uhr vor dem Wiener Praterstadion.

G. weiß, dass die Aktion rechtlich nicht unbedenklich ist: Wer in Österreich "wissentlich die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs fördert", oder "(...) einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wissentlich erleichtert", begeht eine Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz.

Bis zu 5000 Euro Strafe

Rechtsanwalt Georg Bürstmayr warnt daher eindringlich: "Auch wenn ich großes Verständnis dafür habe, dass Menschen helfen wollen – das ist alles andere als harmlos." Zwar handle es sich nicht um Schlepperei – dazu müsste man sich nach österreichischem Recht finanziell bereichern. Für besagte Verwaltungsübertretung drohe aber eine Strafe in der Höhe von 1000 bis 5000 Euro.

Ganz zu schweigen von der Situation in Ungarn: Auch ein Gratis-Transport gilt bereits als Schlepperei; das Strafmaß beträgt bis zu drei Jahre Haft. Bei gewerbsmäßiger Schlepperei drohen zwei bis acht Jahre Freiheitsstrafe.

Tatsächlich wurden am Freitag vier Aktivistinnen – vier Österreicherinnen im Alter von 32 bis 40 Jahren – wegen Schlepperei angehalten: Sie waren in Budapest mit drei Autos unterwegs gewesen, in denen sich insgesamt 13 Flüchtlinge befunden hatten. Außenminister Sebastian Kurz vereinbarte mit den ungarischen Behörden, die Frauen am selben Tag nach Wien zurückzubringen.

Konvoi-Initiator Fritz G. leugnet die Gefährdung nicht: "Aber verglichen mit dem, was die Flüchtlinge erleben, ist unser Risiko lächerlich." Trotzdem änderte die Gruppe am Freitag ihre Strategie. "Wir raten davon ab, Flüchtlinge mitzunehmen." Man wolle die Flüchtlinge schützen: "Treten wir im Konvoi auf, besteht die Gefahr, dass die Polizei Fingerabdrücke von ihnen nimmt. Viele wären dadurch akut von Abschiebung bedroht", sagt G.

Deshalb ist jetzt eine Versorgungsaktion geplant. Man will Lebensmittel, Windeln, Babynahrung bringen, egal wo die Flüchtlinge dann sind. Der Grund für die Aktion ist jedenfalls derselbe geblieben: "Wir wollen auf die inhumane Menschenverschiebung hinweisen. Dublin III soll gestrichen werden."

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