Pro-russische Eskalation im Osten

Aktivisten wollen Referendum über Anschluss an Russland. Direkte Gespräche USA-Russland.

Es war überall das gleiche Bild, in Charkiw, Lugansk, Donezk, den großen Städten im Osten der Ukraine: Tausende pro-russische Demonstranten sammelten sich vor Gebäuden der ukrainischen Gebietsverwaltung. Sie skandierten Parolen gegen die Regierung in Kiew und forderten ein Referendum über einen Anschluss an Russland nach dem Vorbild der Halbinsel Krim. Politische Gegner wurden, wie in Charkiw, gezwungen, sich niederzuknien: "Kriecht zu Eurem Europa", riefen Demonstranten höhnisch, "Charkiw ist eine russische Stadt!"

Gebäudebesetzungen und -befreiungen

Dann stürmten sie im Verein mit "russischen Selbstverteidigungskräften" die Gebäude und hissten russische Flaggen und Banner. Die ukrainischen Sicherheitskräfte konnten nur kurz dagegenhalten, sahen dann zu.

Pro-russische Eskalation im Osten
epa04157887 General view of the Pro-Russian protesters as they hold a session inside of the occupied regional administration building in Donetsk, Ukraine, 07 April 2014. According to reports, pro-Russian demonstrators stormed the administration building in Donetsk on 06 April 2014. Protesters, who seized the building of the Donetsk regional council said on 06 April they had established the Donetsk independent republic and its becoming a part of Russia. EPA/PHOTOMIG
Am Montagmorgen wurde zumindest das Verwaltungsgebäude in Charkiw "vollständig von Separatisten befreit", wie der ukrainische Übergangsinnenminister Arsen Awakow bekannt gab – aber da kam schon die nächste alarmierende Nachricht: Die pro-russischen Demonstranten, die das Hauptverwaltungsgebäude in Donezk besetzt hielten, riefen eine "souveräne Volksrepublik" aus. Bis 11. Mai solle ein Referendum über eine Aufnahme in die Russische Föderation abgehalten werden.

Am Abend hat eine ukrainische Spezialeinheit ein von prorussischen Aktivisten besetztes Geheimdienstgebäude in Donezk geräumt. Interimspräsident Alexander Turtschinow habe den "Anti-Terror-Einsatz" in der ostukrainischen Millionenstadt persönlich angeordnet, sagte Präsidialamtschef Sergej Paschinski dem Internetportal censor.net.ua. Es habe keine Verletzten gegeben. Das Gebäude war erst kurz zuvor von teils maskierten moskautreuen Kräften gestürmt worden. Ob die Spezialeinheit auch gegen weitere besetzte Verwaltungsgebäude im russischsprachigen Osten vorgehen würde, war zunächst unklar.

Kiew: Russischer Plan

Pro-russische Eskalation im Osten
Der ukrainische Übergangspremier Arseni Jazenjuk warf Russland vor, hinter den Unruhen zu stecken: Sie seien "Teil eines Destabilisierungsplans, damit eine fremde Armee die Grenze überschreitet und in ukrainisches Territorium einmarschiert". Russische Truppen stünden nur 30 Kilometer von der Grenze entfernt. "Das Drehbuch ist von der Russischen Föderation geschrieben."

Auch ein Sprecher von US-Präsident Obama meinte, einige der Demonstranten seien keine Einheimischen und außerdem bezahlt worden. US-Außenminister Kerry und sein russischer Amtskollege Lawrow wollen wegen der Krise schon in den nächsten Tagen zu direkten Gesprächen zusammentreffen.

Seit der Eingliederung der Krim durch Russland ist auch im Westen die Sorge groß, dass die Regierung in Moskau die Lage in der Ostukraine zunächst destabilisieren und dann Truppen einmarschieren lassen könnte. Für diesen Fall hat die EU Wirtschaftssanktionen angekündigt. Am Montag ließ die EU-Kommission wissen, dass sie die Lage "mit Sorge" beobachte und eine "Deeskalation" fordere. "Wir unterstützen entschieden die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine und ... stehen an der Seite der ukrainischen Regierung", sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel.

Tschechiens Präsident Milos Zeman sprach sich für "schärfste Sanktionen" gegen Moskau und die Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine aus, falls Russland versuche, seine "territoriale Expansion" auf die Ostukraine zu erweitern.

Russland setzte unterdessen seinen Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine fort: Nach der Erhöhung der Preise für Gasexporte schränkte Moskau die Einfuhr von Milchprodukten aus der Ukraine ein – wegen "Verletzung der Hygienevorschriften".

Befremdlich und beschämend" nannte der US-Botschafter zur OSZE, Daniel Bear, am Montag das Verhalten Russlands vor der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Vertreter Moskaus waren zu einer Sitzung, die Russlands Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze zum Thema hatte, nicht erschienen. Die USA hätten dagegen Beweise vorgelegt, berichtete Baer vor Journalisten.

Artikel 3 des "Wiener Dokuments" der OSZE sieht vor, dass bei "Besorgnis über militärische Aktivitäten" Teilnehmerstaaten andere Teilnehmerstaaten zu Konsultationen einladen können. Die USA hätten in der Vorwoche ein solches Ansinnen an Russland gerichtet, was aber von Moskau verweigert worden sei. Ein Schritt, der dem OSZE-Dokument "zumindest dem Geist, wenn nicht dem Buchstaben nach widerspricht", meinte Baer. Daraufhin sei für Montag eine Sitzung des permanenten OSZE-Rates einberufen worden - zu dem die russische Delegation nicht erschien sei.

"Russland hätte Möglichkeiten, die Krise zu deeskalieren", sagte Baer. "Ein sehr kleiner Schritt wäre, mit der internationalen Gemeinschaft zu interagieren. Es ist beschämend und befremdlich, dass sie nicht einmal zu einem Treffen kommen, wie wir es heute hier hatten. Das ist ein Akt der Missachtung!"

Russland habe "gerade erst schwere Völkerrechtsverletzungen begangen", erinnerte der US-Botschafter, "und es ist völlig normal, dass die internationale Gemeinschaft über Zehntausende Soldaten besorgt ist, die aus ihren Kasernen geholt und an der Grenze eines Nachbarstaates zusammengezogen werden." Die USA hätten dafür stichhaltige Beweise vorgelegt, die Baer aber nicht konkretisieren wollte. Welche Fragen man stellen wollte? "Wir wollen wissen, wie viele Soldaten eingesetzt sind, aus welchen Einheiten sie kommen, wielange diese Aktivitäten geplant sind, was ihr Zweck ist - fundamentale Fragen zu dieser Masse von Truppen an der ukrainischen Grenze. Wenn es nichts zu verbergen gibt, warum kann man es dann nicht offenlegen?"

Ein im wirtschaftlichen Umfeld der Ukraine bestens vernetzter Präsidentschaftskandidat, ein Ex-Boxer mit politischen Ambitionen, der jetzt doch nicht Präsident, sondern Bürgermeister werden will und ein milliardenschwerer Geschäftsmann mit besten Beziehungen zum Kreml und Problemen mit der amerikanischen und österreichischen Justiz – am 25. März trafen sie sich in Wien: Petro Poroschenko, Vitali Klitschko und Dmytro Firtash. Dass das Treffen stattgefunden hat, ist bestätigt. Was dahinter steht, ist dagegen Gegenstand von Spekulationen. Dass es dabei aber um den ukrainischen Wahlkampf ging, ist sicher.

Der Umsturz in der Ukraine hat die politische Landschaft des Landes auf den Kopf gestellt. Und durch den Druck der nahenden Präsidentenwahlen am 25. Mai entstehen neue, bisher unwahrscheinliche Allianzen. Firtash war ein enger Vertrauter des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, Poroschenko während der Revolution Mediator mit Hang zur Opposition und Klitschko einer der Führer der Protestbewegung. Poroschenko wird bei den Wahlen antreten, Klitschko hat seine Kandidatur zurückgezogen und wird sich um das Amt des Bürgermeisters von Kiew bewerben. Und Firtash hält sich in Wien, angeblich im Ritz-Carlton, auf, nachdem die US-Behörden seine Auslieferung verlangen. Aus ukrainischer Sicht wäre er ein fixer Kandidat für die EU-Sanktionsliste, auf der er nicht steht und nicht stehen wird. Die EU-Außenminister, die derzeit in Athen beraten, wollen die Sanktionen nicht ausweiten.

Das ungewöhnliche Dreiergespann in Wien dürfte vor allem eine gemeinsame Feindin einen: Julia Timoschenko, Ex-Premierministerin, danach inhaftiert und jetzt wild entschlossen, Präsidentin zu werden. In Umfragen liegt sie abgeschlagen hinter Poroschenko, aber das kann sich schnell ändern.

Der Investigativjournalist Sergij Leschtschenko von der Ukrainska Pravda glaubt, dass es bei dem Treffen in Wien vor allem um zwei Dinge ging: Klitschko dazu zu bewegen, seine Kandidatur zurückzuziehen und Poroschenko Präsenz in Firtashs TV-Sender zu verschaffen. Die Regierung und damit auch die staatlichen Medien, so Leschtschenko, seien derzeit fest in der Hand von Timoschenko-Getreuen. Ein grotesk anmutender Höhepunkt: Ein vierstündiges Interview mit Timoschenko vor zwei Wochen. An einer Schwächung Timoschenkos haben vor allem Poroschenko und Firtash ein Interesse. Ersterer will Präsident werden, Zweiteren verbindet eine offene Feindschaft mit Timoschenko, hatte sie ihn doch einst aus dem Gas-Geschäft gekickt. Dumm nur, dass das Treffen publik wurde.

Denn der Umstand, dass sich zwei Galionsfiguren der Protestbewegung gegen Janukowitsch in konspirativ anmutender Weise mit einem Intimus des Gestürzten treffen, kommt nicht gut an bei Wählern. Vor allem, pflegt Poroschenko doch sein Image als Saubermann. Firtash genießt den Ruf eines Mannes mit äußerst dubiosen Geschäftsbeziehungen und als absoluter Pragmatiker im Schmieden von Allianzen.

Poroschenko ließ per Aussendung wissen, er habe genug Geld, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. Und der Umstand, dass das Treffen nicht angekündigt wurde, bedeute nicht, dass man sich geheim getroffen habe.

Die Bewohner der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim müssen ab sofort auf Burger und Chicken Nuggets verzichten: Die US-Fastfood-Kette McDonald's verkündete am Freitag die "vorübergehende" Schließung ihrer drei Filialen auf der Krim aus "produktionstechnischen Gründen".

Adressen von Website entfernt

Pro-russische Eskalation im Osten
Das Unternehmen hoffe, die Arbeit wieder aufnehmen zu können, "sobald wir die Gelegenheit dazu haben", hieß es auf der ukrainischen McDonald's-Website. Die Adressen der bisher drei Filialen in Simferopol, Sewastopol und Jalta wurden von der Website entfernt. Den Mitarbeitern der Krim-Filialen sei angeboten worden, in anderen Restaurants in der Ukraine zu arbeiten.

Trotz massiver internationaler Proteste hatte Russland Mitte März die ukrainische Halbinsel Krim in sein Staatsgebiet aufgenommen, nachdem sich die dortige Bevölkerung in einem umstrittenen Referendum für die Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen hatte (mehr dazu). Der Westen verhängte daraufhin Sanktionen gegen Mitglieder der russischen Führung.

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