Faymann telefonierte mit Russlands Präsidenten

Bundeskanzler Faymann telefonierte mit Putin
Für Wladimir Putin wäre Wien ein guter Ort für mögliche Friedensverhandlungen.

Donnerstag ging es Schlag auf Schlag: Zu Mittag hatte Bundeskanzler Werner Faymann ein Treffen mit der künftigen EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini in Rom, am Abend nach der Rückkehr nach Wien, ein Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin.

Dabei teilte der Bundeskanzler dem Kremlchef mit, dass die EU die Einhaltung folgender Punkte für eine Aufhebung der Sanktionen erwarte.

Erstens: Russland müsse seine Soldaten vollständig aus der Ostukraine abziehen.

Zweitens: Russland habe die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu achten.

Drittens: Russland sei angehalten, den vereinbarten Friedensplan zu unterstützen.

Das Gespräch zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten erfolgte auf Deutsch. Nach Angaben des Büros des Bundeskanzlers verwies Putin auf eine schrittweise positive Entwicklung im Konflikt mit der Ukraine. Dann machte er dem Kanzler ein Angebot: "Wien wäre ein guter Ort für mögliche Friedensverhandlungen." Außerdem betonte der russische Präsident, "den Beitrag Österreichs für den Friedensprozess sehr zu schätzen".

Kanzler auf Friedensmission

Bundeskanzler Faymann wird nach dem Mogherini-Besuch und dem Telefonat mit Putin seine Friedensinitiative fortsetzen: Ende September/Anfang Oktober trifft er mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Kiew zusammen.

In Rom waren sich Mogherini und Faymann einig: "Die EU muss gemeinsam handeln, nur so sind wir stark", betonten beide bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Bei dem mehr als einstündigen Gespräch im italienischen Außenministerium im Palazzo della Farnesina wurde vereinbart, mit Russland weiterhin einen aktiven Dialog zu führen und auf militärische Mittel zu verzichten. "Das führt nur zu einer weiteren Eskalation des Konflikts", sagte der Bundeskanzler. Putin unter ökonomischen Druck zu setzen, wirke mehr als militärisches Vorgehen.

Faymann verteidigt Sanktionen

Solange Russland im Ukraine-Konflikt nicht einlenke, verteidigt Faymann die Sanktionen als "Teil der EU-Solidarität". In Österreich seien von den EU-Strafmaßnahmen 0,14 Prozent aller Exporte betroffen. "Der Schaden würde durch einen längeren Krieg entstehen", sagte der Kanzler.

Bei dem Treffen mit Mogherini ging es auch um Fragen der Wirtschaftspolitik, um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU. Faymann erklärte, dass jedes Land die Möglichkeit habe, bei besonderen Anlässen die Grenzen zu schließen, aber "die Regelung der Flüchtlingspolitik ist eine europäische und keine nationale. Das muss europäisch gelöst werden."

Wladimir Putin verfolgt weiter seine Politik des Kalt-Warm: Noch am Dienstag hatte das russische Parlament die Entscheidung in Kiew, der Ostukraine einen politischen Sonderstatus zu gewähren, als "Grundlage für den Beginn eines Dialogs für die nationale Versöhnung" gelobt; am Mittwoch meldete der ukrainische Armeesprecher, dass rund 4000 auf der von Russland annektierten Krim stationierten Soldaten an der administrativen Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden seien.

Und Putin selbst soll es schon wieder getan haben. "Es", das ist die unverhohlene Drohung, was das russische Militär alles könnte, wenn er, Putin, es wolle. Erst vor zwei Wochen soll der russische Präsident in einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gedroht haben, "wenn ich wollte, könnte ich Kiew in zwei Wochen einnehmen". Jetzt berichtet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Ähnliches: "Wenn ich wollte, könnten russische Truppen in zwei Tagen nicht nur in Kiew, sondern auch in Riga, Vilnius, Tallinn, Warschau oder Bukarest sein", habe Putin ihm bei einem der Telefonate gesagt, dass sie miteinander geführt hätten. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf eine Gesprächszusammenfassung des Auswärtigen Dienstes der Europäischen Union zwischen Poroschenko und Barroso.

Einfluss auf EU-Staaten

Darin ist auch zu lesen, dass Putin die Ukraine davor warnte, sich zu sehr auf die EU zu verlassen. Er könne durch bilaterale Kontakte Einfluss nehmen und eine "Sperrminorität" bei den EU-Gipfeln bewirken. In der vergangenen Woche waren vom EU-Gipfel am 30. August beschlossene neue Wirtschaftssanktionen nur mit mehrtägiger Verzögerung in Kraft gesetzt worden. Dies lag daran, dass eine Reihe von EU-Regierungen abwarten wollte, ob der Waffenstillstand in der Ostukraine hält. Diese Sanktionen, so Putin übrigens am Donnerstag bei einem Kabinettstreffen in Moskau, verstießen gegen die Prinzipien der Welthandelsorganisation WTO.

Die EU nahm zu dem Bericht nicht Stellung. "Wir betreiben Diplomatie nicht über die Medien", ließ eine Sprecherin von Kommissionspräsident Barroso wissen. Und bestätigte die Putin-Äußerungen indirekt doch: Es gehe um Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Ukraine, "nicht um vertrauliche Gespräche, die in Presseartikeln aus dem Zusammenhang gerissen werden".

Poroschenko in USA

Poroschenko hat indes in Kanada und den USA um Rückhalt im Ukraine-Konflikt geworben. Die Krise im Osten seines Landes sei ein Kampf gegen den Terrorismus, sagte er im kanadischen Parlament in Ottawa, ehe er am Donnerstagnachmittag in Washington vor dem Kongress auftrat und anschließend mit US-Präsident Barack Obama zusammentraf. Kanada stellte der durch die Krise wirtschaftlich angeschlagenen Ukraine rund 150 Millionen Euro an Kreditgarantien in Aussicht; die USA haben Unterstützung im Wert von 46 Millionen Euro zugesagt, unter anderem für Lebensmittel, Schutzwesten und Nachtsichtgeräte. Der Kongress erwägt eine Aufstockung der Mittel.

Nein, Wladimir Putin denkt vermutlich keine Sekunde daran, mit seinen russischen Truppen in Tallin, Riga, Vilnius, in Warschau oder Budapest einzumarschieren. Auch wenn er dafür nur zwei Tage bräuchte, wie er im Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gesagt haben soll – „wenn ich wollte“. Und er wird auch nicht innerhalb von zwei Wochen Kiew einnehmen, wie er kürzlich dem EU-Kommisionspräsidenten gesagt hat – „wenn ich wollte“.

Der russische Präsident mag unberechenbar, kaltschnäuzig und nicht paktfähig sein; verrückt ist er nicht.

Was Putin ist: Ein mehrfach nachgewiesener Lügner, wenn man sich seine früheren Stellungnahmen und späteren Eingeständnisse zur russischen Involvierung in die Ereignisse auf der Krim und in der Ostukraine vor Augen hält. Und ein Spieler, der seit geraumer Zeit probiert, was im Westen (durch)geht. Und der bei seinen Plänen zur Destabilisierung der Ukraine und anderer Teile Osteuropas auf die Publizität seiner Kaltschnäuzigkeit setzt.

Die „Drohungen“ werden genauso gefallen sein. Im Gespräch zwischen zwei Männern, in dem der eine seine Muskeln spielen lässt, um zu zeigen, was die ausrichten könnten. Und mit dem wohl kalkulierten Wissen , dass der andere das Muskelspiel in die Welt rapportieren wird.

Das Beängstigende ist weniger die Drohung, als dass mit dieser Hemdsärmligkeit im 21. Jahrhundert Politik gemacht wird. Zumindest in Moskau, das für die Zukunft Mittelost-Europas nicht unentscheidend ist. Was für sie noch entscheidend ist: Dass sich der Rest Europas vor der Hemdsärmeligkeit nicht fürchtet, sondern ihr entschlossen entgegentritt. Andernfalls gewinnen Gambler leicht.

Ein Reporterteam der britischen BBC ist in Astrachan in Südrussland bei der Recherche zu in der Ukraine gefallenen Söldnern aus Russland angegriffen worden: Wie der Sender selbst berichtet, sei das Team von mehreren Unbekannten attackiert worden, als es ein Cafe verlassen habe - der Kameramann sei verprügelt worden, die Kamera selbst sei dabei kaputt gemacht worden, weil die Angreifer sie auf die Straße warfen. Danach seien die Männer gefolhen.

Das darauf verbliebene Material wäre zudem gelöscht worden, nachdem das BBC-Team bei der Polizei Anzeige erstattet hat: Nach vier Stunden Befragung sei man zum Auto zurückgekehrt, in dem das Materail gelagert war – offenbar hatte jemand damit herumhantiert, die Speicherkarten wären alle formatiert gewesen.

Die russische Agentur Interfax berichtet, dass das Innenministerium in der Region Ermittlungen aufgenommen habe; die BBC hat formell Protest bei den russischen Behörden eingelegt.

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