Ukraine-Gespräche in Moskau "konstruktiv"

Gesprächs-Offensive zur Beilegung des Kriegs in der Ostukraine führte Duo Merkel/Hollande zu Putin.

Die Dinge sind im Fluss“ (Angela Merkel), und „Eine Waffenruhe muss der erste Schritt sein“ (François Hollande): Betont vorsichtig gaben sich die deutsche Kanzlerin und der französische Staatspräsident am Freitag, ehe sie zu Wladimir Putin nach Moskau aufbrachen. Denn die Erwartungen in ihre Reisediplomatie (am Vortag hatten sie den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko getroffen), waren hoch. Beide hatten zuvor signalisiert, dass die Gespräche die letzte Chance seien, einen totalen Krieg in der Ostukraine zu verhindern.

Sogar hochkarätige Experten blieben dann im Kreml ante portas, als Merkel, Hollande und Kremlherr Putin im Sechs-Augen-Gespräch Auswege aus der Ukraine-Krise suchten. Um Mitternacht Moskauer Zeit – nach mehr als fünf Stunden – trennten sich dann die Akteure. Merkel und Hollande machten sich auf den Weg zum Flughafen – Pressekonferenz gab es keine. Kremlsprecher Peskow sprach nur von „inhaltsreichen und konstruktiven“ Verhandlungen. Es solle ein Dokument ausgearbeitet werden darüber, wie ein bereits im September in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vereinbarter Friedensplan umgesetzt werden könne, sagte Peskow. Dazu solle es an diesem Sonntag ein Telefonat von Merkel, Hollande, Putin mit Poroschenko geben.

Interessante Wortwahl

Moskau, hatte Putins Berater Uschakow zuvor versichert, sei zu konstruktiven Verhandlungen bereit und verspreche sich „diese oder jene Abmachung“, die zur Stabilisierung der Lage sowie zur Anbahnung von Direkt-Kontakten zwischen Kiew und dem „Donbass“ führt und zur Wiederherstellung der Wirtschaftsverbindungen mit dem Südosten beitrage. Allein schon die Wortwahl ließ Kenner der Materie aufhorchen: Bisher folgte Moskaus offizielle Sprachregelung den pro-russischen Separatisten, die die von ihnen kontrollierten Gebiete zu „Volksrepubliken“ hochjubelten.

Allein das und die Tatsache, dass nach mehreren gescheiterten Anläufen Konsultationen auf höchster Ebene nun doch noch stattfanden und dass Konfliktparteien wie Vermittler einen Kompromiss und eine diplomatische Lösung anstreben, werteten russische Beobachter bereits als Fortschritt. Ebenso den Konsens, wonach Stopp des Blutvergießens absolute Priorität hat. Dafür, lobten Moskauer Medien, habe Merkel nicht nur direkten Konsultationen mit Putin zugestimmt, wozu sie bisher nur bei garantiertem Erfolg bereit war. Sie und Hollande hätten dem Kremlchef sogar ein Heimspiel verschafft, was Hurrapatrioten bereits als „vernichtenden Sieg“ für Putin interpretierten.

Beobachter, die dem russischen Außenamt nahe stehen, glaubten dagegen, die EU-Führungsmächte wollten mit dem Blitzbesuch in der Höhle des Löwen Washington zuvorkommen und „die Konturen eines tragfähigen Kompromisses“ präsentieren, bevor US-Präsident Joe Biden auf der Münchener Sicherheitskonferenz für mehr Härte werben und eine „Allianz der Willigen“ bei Waffenlieferungen für Kiew zimmern kann.

Biden formulierte in Brüssel bei EU-Ratspräsident Tusk scharf: „Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, während Russland den Konflikt immer weiter eskaliert, indem es Söldner und Panzer schickt. Putin fordert immer neue Friedenspläne, während seine Truppen durch die ukrainische Landschaft rollen. Wir müssen der Ukraine beistehen. Russland darf es nicht erlaubt sein, die Landkarte Europas neu zu zeichnen – genau das macht es gerade.“

Kompromissformeln

Europa, so The Moscow Times, wolle „einen Kontrapunkt setzen“. Neben neuer Waffenruhe, Truppenentflechtung und Abzug schwerer Waffen aus der Kampfzone sehe ihr Plan weitgehende Autonomie für die Ostukraine mit spezifischen Klauseln zu Sprache, Kultur und Steuern vor. Dies würde sowohl Forderungen Kiews nach Erhalt der territorialen Integrität der Ukraine als auch russische Vorstellungen berücksichtigt. Einen ähnlichen Bericht der Süddeutschen Zeitung hatte Berlin am Vortag dementiert.

Verbindliche Garantien für eine Nichtmitgliedschaft der Ukraine in der NATO ließen sich die Gäste, nach dem was aus russischen Delegationskreisen zu hören war, nicht entlocken. Daran könnte das Krisenmanagement letztendlich scheitern. Es sei denn, der Druck der Russen auf ihre Führung nimmt rasant zu.

Ganz im Osten ist die Einordnung wohl am einfachsten: Wladimir Putin ist der russische Ober-Falke, er befeuert den Konflikt in der und um die Ukraine seit dessen Ausbruch. Offiziell hat Russland freilich mit der Annektion der Krim nur die russische Bevölkerung auf der Halbinsel geschützt, und offiziell werden die "pro-russischen Rebellen" natürlich auch nicht von Russland unterstützt. Doch scheint es klar, dass Putin und ein größerer Plan dahinterstecken – manche Militärstrategen im Westen fürchten gar, dass Putin nicht in der Ukraine haltmachen und den russischen Einfluss auch in anderen Nachbarstaaten militärisch ausbauen will.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass auch Petro Poroschenko zu den Falken zu zählen ist: Der ukrainische Präsident fordert vom Westen Waffen, um die Rebellen zurückdrängen zu können. Sein Standpunkt ist klar: Er glaubt ganz offensichtlich daran, den Konflikt eher militärisch als am Verhandlungstisch mit Moskau lösen zu können.

Scharfmacher

Dass die USA mittlerweile öffentlich darüber sprechen, dass die Lieferung zumindest von "Verteidigungsgerät" eine Option sei, ist den Falken in Washington zuzuschreiben. US-Außenminister John Kerry zählt zwar nicht zu ihnen, er und Präsident Barack Obama müssen dem Druck der Scharfmacher aber zumindest immer wieder ein Stück nachgeben.

Das trifft auf Zustimmung bei den Falken innerhalb der Europäischen Union, deren Einstellung sich zumeist aus der Geschichte und geografischen Lage ihres Landes ableitet: Balten und Polen fürchten, dass Russland sich nicht mit einem Stück der Ukraine zufrieden geben wird – und fordern eine harte Linie gegenüber Moskau. Das macht sich bei den Treffen der Außenminister bemerkbar, wo die Außenbeauftragte der Union, Federica Mogherini, 28 nationale Sichtweisen auf einen gemeinsamen Nenner vereinen muss.

Mogherini selbst ist zu den EU-Tauben zu zählen – wobei sie ohnehin eher eine Vermittlerrolle spielt. Offensiver legt da EU-Ratspräsident Donald Tusk sein Amt an. Eigentlich fällt auch ihm nur eine koordinierende Rolle im Kreis der 28 Staats- und Regierungschefs zu. Doch der ehemalige polnische Ministerpräsident macht keinen Hehl daraus, dass er sich eine härtere Gangart gegenüber Putin wünschen würde: "Wir sollten unsere Außenpolitik an harten Fakten ausrichten, nicht an Illusionen", sagte Tusk unlängst.

Gebremst wird er von zwei gewichtigen Staatenlenkern: François Hollande, der für gewöhnlich sanfte Töne anschlägt, und Angela Merkel, die als Falke unter den Tauben durchgeht. Die deutsche Kanzlerin setzt – wie aktuell – auf Verhandlungen, will auch die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht gefährden. Gleichzeitig findet sie immer wieder harte Worte zu Putin.

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