Dänemark: "Traditionelle Parteien nach rechts getrieben"

Dänemark: "Traditionelle Parteien nach rechts getrieben"
Der Vorsitzende der Alternativ-Partei über die Macht der Rechtspopulisten und höhere Bürgerbeteiligung, um radikalen Tendenzen im Land entgegenzuwirken.

Es überrascht nicht, dass ein Mitglied einer links-liberalen Partei Rechtspopulisten kritisiert, aber es überrascht, dass er sagt: "Ich verstehe ihre Fragen." Uffe Elbæk ist eben anders. Der 61-Jährige tritt in Jeans und Sneakers auf und sagt Sätze wie: "Politiker sollen mehr zuhören anstatt zu reden und zugeben, wenn sie nichts zu sagen haben". Seit Juni sitzt der ehemalige Kulturminister mit seiner neuen Partei "Die Alternative" im Parlament. Dort stört er sich aber an den Antworten, die die Rechtspartei auf die Flüchtlingskrise gibt.

KURIER: Die dänische Regierung halbierte Sozialleistungen für Flüchtlinge. Auch für Fehlstunden im Sprachkurs gibt es Abzüge.

Uffe Elbæk: Ich schäme mich sehr für diese Position. Die Regierung hat die Ausgaben für alles gekürzt, was die Zukunft betrifft: Wissenschaft, Bildung, Unternehmertum und Umweltschutz. Stattdessen erleichtern sie die Steuern für Reiche und investieren in die Gesundheitsvorsorge für ältere Menschen. Ich will nicht mit den Finger auf die anderen zeigen, denn von dieser politischen Kultur haben die Menschen genug – aber dieser Kurs ist nicht zukunftsorientiert.

Dänemark: "Traditionelle Parteien nach rechts getrieben"
Sandra Lumetsberger, Interview Uffe Elbaek
Was ist eine zukunftsorientierte Strategie? Wir müssen Stadt und Land wieder miteinander verbinden – niemand soll sich als Gewinner oder Verlierer sehen. Aber vor allem müssen wir die Bürger in Entscheidungen einbeziehen. Im Parlament wollen wir per Gesetz mehr Bürgerbeteiligung durchbringen. Sie sollen ab einer Unterstützung von 50.000 Menschen entscheiden können, welche Gesetzesentwürfe schneller bearbeitet werden. Und wir wollen das Schulfach "demokratische Bürgerschaft" einführen. Kinder- und Jugendliche sollen wissen, dass sie sich an demokratischen Entscheidungen beteiligen können. Wenn es darum geht, wie Geld für die Schule ausgegeben, das Curriculum geplant wird oder die lokale Umwelt aussehen soll. Sobald Menschen glauben, dass ihre Meinung nicht zählt, suchen sie woanders nach Aufmerksamkeit und Identität – etwa in radikalen Bewegungen.

Grenzkontrollen, Zeitungsinserate, um Flüchtlinge abzuschrecken – Dänemark wird als Land wahrgenommen, das sich vor Fremden abschotten will.

Die Dänen sind sicher keine Rassisten geworden. Ein Teil der Bevölkerung ist über das politische Establishment verärgert, jene in abgelegenen Gebieten fühlen sich nicht gehört. Dieser Frust ist bedingt durch Entwicklungen, die vor 20 Jahren eintraten: Menschen zogen vom Land weg, Schulen wurden geschlossen, Firmen sperrten zu. Migranten kamen, übernahmen Jobs. Das verunsicherte die Menschen, sie stellten Fragen. Die Sozialdemokraten wollten nichts damit zu tun haben. Die Rechtspopulisten hörten zu – sie wurden zur Stimme dieser Menschen.

Die rechtspopulistische "Folkeparti" ist die zweitstärkste Kraft im Parlament. Im vergangenen Wahlkampf warben auch die Sozialdemokraten mit Zuzugsbeschränkungen.

Die Volkspartei hat die traditionellen Parteien nach rechts getrieben. Sozialdemokraten und Liberale besetzen heute fast dieselben Themen wie die Rechtspopulisten. Was in den letzten 20 Jahren passierte, ist der Grund, warum die Regierung heute eine restriktive Haltung gegen Flüchtlinge und Migranten hat.

Was wurde bei der Integration verabsäumt?

Bis in den 1960ern türkische Gastarbeiter kamen, sah sich Dänemark als homogenes Land – als kleiner, geheimer Club. Wenn jemand an die Tür klopfte, war es für den Wohlfahrtsstaat kein Problem. Nun heißt es: Wir haben euch Geld gegeben, Zugang zum Sozialsystem, warum benehmt ihr euch nicht? Es wurde verabsäumt, zu diskutieren, wie wir alle zusammenleben sollen. Diese Frage ist bis heute ungelöst.

Die EU will an den Außengrenzen Flüchtlinge registrieren und Asyl-Anträge bearbeiten.

Dazu braucht es auch eine faire und verpflichtende Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Länder. In unserem Fünf-Punkte-Plan sehen wir eine Art Marshall-Plan vor, um die Länder in Nordafrika und dem Mittleren Osten zu stabilisieren. Solange in diesen Regionen Krieg und Unruhe herrscht, kommen Flüchtlinge. Leider ist dieser Kurs nicht die Strategie der aktuellen Regierung.

Im September marschierten viele über die Autobahn nach Schweden. Die Polizei stoppte sie...

Ich verstehe nicht, warum alle überrascht waren, dass Flüchtlinge kommen. Dänemark, die EU und die USA waren in den vergangenen 15 Jahren involviert, den Irak, Libyen und Syrien zu destabilisiere – das kreiert natürlich Flüchtlinge. Es war absehbar, dass sie eines Tages an unseren Türen klopfen und um Hilfe bitten. Und das ist noch nicht alles. Als Nächstes kommen Klimaflüchtlinge: Jeder Mensch, der kein Wasser hat, oder aufgrund Hitze und Dürre nichts mehr anbauen kann, verlässt sein Land. Das sind grenzübergreifende Probleme, die kein Staat alleine lösen kann.

2011 wurde der Sozialpädagoge in der Regierung von Helle Thorning-Schmidt Kulturminister. Nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft trat er 2012 zurück. 2013 verließ er die liberale Partei "Det Radikale Venstre" und gründete die "Alternative", die zunächst als chancenlos abgetan wurde. Elbæk bezeichnet seine Partei als Start-up-Firma. Zu ihren Themen zählen: fleischfreie Tage, 30-Stunden-Woche und Start-up-Hilfe für Arbeitslose. Die Themen konnten Bürger in politischen Laboratorien mitbestimmen. Statt einer bestimmten Programmlinie hat die Partei um Elbæk sechs Werte formuliert: Mut, Großzügigkeit Transparenz, Bescheidenheit, Humor, Einfühlungsvermögen. Seit Juni sitzten neun Mitglieder der "Alternative" im Parlament – auf Wunsch in Insel-Form, um "Hierarchien aufzubrechen", erklärt Uffe Elbæk. Parallelen sieht der Parteigründer vor allem mit der spanischen Bewegung "Podemos".

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