"Beschämend und chaotisch": Polizei unter Druck

Wegen der Skandalnacht zu Silvester bleiben bereits Touristen aus
Ein interner Bericht offenbart die Massivität der Angriffe und die Überforderung der Exekutive. Die Polizei schweigt – so bleiben viele Fragen.

Wer sind die Täter – und wer die Schuldigen?

Acht Tage nach den Vorfällen von Köln ist noch immer nicht klar, wer jene Männer waren, die Silvester zu einer Schreckensnacht machten, die massenhaft Frauen attackierten, zwei sogar vergewaltigten. Die Ergebnisse der Polizei sind dürftig: 16 Verdächtige habe man nach 121 Anzeigen bisher eruiert, ließ man am Donnerstag mitteilen. Aber Verhaftungen? Gibt es noch keine.

Spießrutenlauf

Das ist nur ein Grund, warum sich die Polizei in der Domstadt nun auch mit ihrer eigenen Rolle in der Causa beschäftigen muss. Plötzlich wird auch die Frage nach ihrer Mitschuld gestellt: Ein interner Polizeibericht, verfasst von einem Bundespolizisten, der in der Nacht dabei war, lässt die Beamten nicht gerade gut dastehen – und er wirft ein völlig anderes Licht auf das, was die Polizei bisher preisgab.

Von einer "chaotischen und beschämenden" Situation ist in dem Schriftstück, das die Bildzeitung und Spiegel online publik gemacht haben, die Rede; schon während der Nacht hätten sich verängstigte und weinende Frauen an die Polizei gewendet, sie hätten einen "Spießrutenlauf" "durch die stark alkoholisierten Männermassen" absolvieren müssen. Als Täter, schreibt der Beamte, seien immer wieder männliche Migrantengruppen genannt worden, manche hätten Zeugen bedroht, andere demonstrativ ihre Aufenthaltstitel zerrissen. Die Polizei aber sei mit all dem völlig überfordert gewesen – so sehr, dass er sogar Tote befürchtet habe, schreibt der Beamte.

Alles anders

Das alles klingt ganz anders, als es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers bisher dargestellt hat. Er verwies stets darauf, dass man erst in den Tagen nach der Eskalation durch Anzeigen vom wahren Ausmaß des Exzesses erfahren habe, auch Hinweise auf Täter habe es zu Silvester keine gegeben.

Stimmt so nicht, berichten nun die Zeitung Welt und der Kölner Express: 100 Personen seien kontrolliert, einige davon auch festgenommen worden; darunter auch Flüchtlinge. Dass Flüchtlinge unter den Tätern sein könnten, hat mittlerweile auch die Deutsche Polizeigewerkschaft eingeräumt.

Keine Auskünfte

Kanzlerin Angela Merkel hat angesichts dessen mit Nachdruck gefordert, "dass alles, was dort geschehen ist, auf den Tisch kommt". Bis zum kommenden Montag wird ihre Forderung aber unbeantwortet bleiben: Bis dahin will die Exekutive, so ließ man verlauten, nämlich keine Auskünfte mehr zu dem Einsatz erteilen – man warte auf die Sitzung des Innenausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags, der die Sache dann behandeln will. "Aus Respekt vor dem Parlament", so Albers.

In der Kölner Stadtpolitik wird angesichts der Ereignisse nun offen nach einem Rücktritt des obersten Beamten gerufen – zumal es auch nicht der erste Fall ist, bei dem sich die Kölner Polizei wegen Überforderung rechtfertigen muss. 2011 wurde sie von einem Hooligan-Aufmarsch überrannt; obwohl 50 Beamte verletzt und Autos zerstört wurden, behauptete man auch hier, "gut aufgestellt" gewesen zu sein. "Ein ahnungsloser Polizeipräsident ist genauso untragbar wie einer, der schlimme Ereignisse unter den Teppich kehren will", heißt es aus der CDU.

Demonstration geplant

Die offenen Fragen lassen deshalb vor allem in Internet die Spekulationen gedeihen – und die Wut in der Bevölkerung hochkochen. Wieso man so lange gewartet hat, um die Sache publik zu machen? Hat man sie bewusst kleingehalten hat, um die in Köln ohnehin schon grassierenden Ressentiments gegen Flüchtlinge zu schüren – schließlich gibt es dort eine nicht unbeträchtliche Menge an Hooligans?

Den Zorn darüber muss Köln dann am Samstag auf der Straße erleben. Pegida-Anhänger haben eine Demonstration vor dem Hauptbahnhof angemeldet. Es bleibt zu hoffen, dass die Polizei dafür besser gerüstet ist.

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Eine Woche nach der Schreckensnacht von Köln melden sich immer mehr Zeugen, die erzählen, wie sie die Situation am Kölner Hauptbahnhof erlebt haben – eine besonders eindringliche Schilderung hat eine junge Frau in der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll gegeben.

"Auf dem Weg sind mir schon unzählige weinende Frauen entgegengekommen", so die 31-Jährige, die kurz nach Mitternacht mit dem Zug in Köln angekommen war. Als sie versucht habe, sich ihren Weg nach draußen zu bahnen, seien die vielen Gruppen arabischer und nordafrikanisch aussehender Männer aufgefallen; immer wieder seien anzügliche Bemerkungen gemacht worden – auch ihr selbst gegenüber. Sie sei als Schlampe und Hure beschimpft worden, ebenso wie ein Mädchen mit zerrissener Strumpfhose und schiefem Rock, dem sie versucht habe zu helfen. Die Polizei, so gibt sie zu Protokoll, sei überfordert gewesen: "Für die Masse an besoffenen Vollidioten waren viel zu wenig Polizisten da! Überall wurden Mädchen beschimpft und begrabscht. Ich habe noch nie so viele heulende Frauen gesehen."

Organisierte Banden

Sie vermutet ähnlich wie eine andere Augenzeugin im Remscheider Generalanzeiger, dass es sich bei den Tätern um organisierte Banden handelt. "Sie packten unter die Kleidung, machten die Hose auf", wird die junge Frau zitiert; sie wurde mit einer Freundin gemeinsam von einer Gruppe Männer angegriffen. Die Polizei habe ihr dabei aber nicht geholfen, kritisiert die Abiturientin: "Wir wurden von den Beamten nicht ernst genommen. Die haben uns nur weggeschickt."

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