Twitter statt Flugblatt: Der Krieg im Internet

Soziale Medien sind Schlachtfeld und Waffe in Konflikten von Gaza bis in die Ukraine. Der Krieg der Bilder folgt neuen Spielregeln: Lügen sind längst vergessen, bevor sie entlarvt werden.

Es sind einprägsame Schaubilder, knallbunt, mit simplen Strichmännchen und ebenso simplen Rechnungen: 86 Häuser, 6 Schulen und 19 Kliniken hätte die Hamas um das Geld bauen können, das einer ihrer Tunnel nach Israel gekostet habe. Aber, so die in Großbuchstaben formulierte Schlussfolgerung: Das Wohlergehen ihrer Landsleute bedeute der Palästinenserorganisation eben nichts.

Grafiken wie diese werden seit dem Beginn der israelischen Bombenangriffe auf Gaza ins Internet gespült, mehrmals täglich und vorrangig in die sozialen Netzwerke Twitter und Facebook (mehr dazu siehe unten). Dort unterhält die israelische Armee ihr eigenes Profil, das ständig neues Material liefert. Und mit den ersten Grafiken gelang es tatsächlich, den Gegner zu überrumpeln. Die Hamas wusste sich anfangs nicht anders zu helfen, als eben diese Schaubilder flächendeckend mit dem Wort "Lügen" zu übermalen und so über ihr Twitter-Profil zu veröffentlichen.

"In der digitalen Medienwelt geht es vor allem einmal darum, wer schneller ist", analysiert Josef Barth, Strategieberater für Online-Kommunikation, die Grundzüge des Propagandakrieges im Internet: "Man muss die Deutungshoheit über das Kriegsgeschehen erobern – und dabei darf man eben keinesfalls in die Defensive geraten."

Archivbilder

Dass Tempo im Online-Propagandakrieg entscheidend ist, weiß auch die Hamas. Sie prangerte Israels Bomben in den sozialen Medien bereits an, als diese noch gar nicht eingeschlagen waren. Man behalf sich einfach mit Sujets aus früheren Gaza-Kriegen.

Dass Kriegspropaganda mit Lügen oder zumindest selektiv mit jenen Fakten arbeitet, die die eigene Haltung bestätigen, ist nichts Neues. Doch anders als noch vor wenigen Jahren – etwa beim US-Angriff auf den Irak –, als gefälschte TV-Bilder von der Front der US-Armee noch einen Skandal einbrockten, spielt der Wahrheitsgehalt heute kaum noch eine Rolle.

Auch wenn eine Seite der Lüge überführt wird, meint Josef Barth, sei der Schaden gering.

Das rasende Tempo der Kommunikation in den sozialen Medien hat die Lügen, die irgendwann einmal ans Licht kommen, längst von den Bildschirmen, aber auch aus dem Gedächtnis der Konsumenten verschwinden lassen.

Im Syrien-Krieg etwa waren die in Umlauf gebrachten Bilder und Videos, die den Einsatz von Chemiewaffen beweisen sollten, völlig willkürlich von anderen Kriegsschauplätzen und Massakern zusammengetragen. Doch die Bilder von toten Kindern – ob aus Syrien oder nicht – ließen die Emotionen im Internet derart hochkochen, dass irgendwann auch die traditionellen Medien die Bilder übernahmen; und sich mit den Fälschungen blamierten.

Mobilisierung zählt

Josef Barth: "Soziale Medien sind der direkte Transportweg von Emotion an die Öffentlichkeit – und die ist in Kriegszeiten noch viel intensiver." Ziel sei ja nicht, den Gegner oder dessen Anhänger zu überzeugen, sondern die eigenen zu mobilisieren.

Gerade in den sozialen Medien wird vor allem die Information konsumiert, die dem eigenen Weltbild entspricht. So kann eine Kriegspartei gezielt die größte Stärke von Twitter oder Facebook benützen: Sie alle schaffen Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Dieses Online-Community-Building, so der Experte, sei ja das, was auch jedes Unternehmen mit seiner Kommunikation in den sozialen Medien zu erreichen versuche. Im Krieg natürlich noch viel wichtiger.

Wenn dann – wie im Fall der israelischen Armee – die Bilder und Geschichten von den eigenen gefallenen Soldaten per likes auf Facebook tausendfach weiterverbreitet werden, nützt man die Stärken des Mediums perfekt.

Wie und mit welchen Bildern die Emotionen aber am besten geschürt werden könnten, ließe sich nicht präzise kalkulieren, gesteht Barth ein. Man müsse sie eben in großer Menge und mit hohem Tempo ins Internet schleusen. Der Aufwand sei aber vergleichsweise gering, das Risiko, keine oder sogar die falschen Emotionen zu schüren, ebenfalls: "Fahrlässig wäre nur, nicht zu kommunizieren. In Konflikten muss ich die Kommunikations-Kanäle ständig am Laufen halten."

Eine Fotomontage, die den Big Ben unter massivem Raketenbeschuss zeigt. Geschosse gehen in der umliegenden Gegend in Großbritanniens Hauptstadt nieder. "Was würdest Du tun?" steht in großen Lettern auf der am Computer entstandenen Illustration. Es ist klar, dass sich dieser Tweet der israelischen Armee (Israel Defense Forces, IDF) auch an die Menschen Europa richtet, um die eigene Sicht der Dinge darzustellen.

Andere Adressaten sind wohl gemeint, wenn die IDF in einer anderen Mitteilung schreiben: "Wir verwenden Waffen, um israelische Zivilisten zu schützen. Die Hamas benutzt die Zivilisten in Gaza, um ihre Waffen zu schützen". Dabei ein Piktogramm, das die beiden Seiten zeigen soll - das israelische Abwehrsystem "Iron Dome" und eine Hamas-Rakete, die auf Menschen zeigt (siehe Bild oben).

Der neue Gaza-Konflikt ist auch ein Krieg der Bilder; wie in den meisten Konflikten der Erde in den letzten Jahren wird auch er vermehrt im Netz ausgetragen. Israel ist dabei in den vergangenen Jahren zum Social Media-Riesen gewachsen: Die Professionalität der IDF, die Netzwerke zu nutzen, dürfte für eine Armee einzigartig sein. Facebook, Youtube, Instagram, Twitter - kaum eine Plattform wird ausgelassen, um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen - in mehreren Sprachen, versteht sich. Das Militär verwendet etwa die Kurznachrichtenplattform Twitter als Drehscheibe von Neuigkeiten, Warnungen und Propaganda. Rund dreißig Tweets setzen die IDF am Tag ab.

Twitter-Krieg

Der bewaffnete Arm der Hamas, die Al Kassam Brigaden, steht ihnen um nichts nach, hat jedoch scheinbar weniger Ressourcen. Teilweise direkte Antworten - ein Novum - zwischen den Feinden machen die Sozialen Medien zum Austragungsort eines Propagandakriegs, den jeder Mensch auf der Welt zeitgleich beobachten kann. Im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie wird auch gerne mit Grafiken und Videos gearbeitet - stets mit ideologischem Einschlag.

Die israelische Armee gibt hier Auskunft über die Anzahl der Raketen aus dem Gazastreifen, über die Erfolgsquote des Iron Dome, und über die Opfer auf beiden Seiten.

Die Gegner werden konstant als "Terroristen" bezeichnet, die die Palästinenser für eine blutigen islamistischen Krieg instrumentalisieren.

Was für die einen Terroristen, sind für die anderen "Märtyrer". Auf den Seiten der Hamas werden die Aktionen der Armee als Massaker bezeichnet und stolz die Entführung eines israelischen Soldaten gefeiert.

Auch die Rechtfertigung der Angriffe durch Religion ist gegenwärtig: "Nicht du warst es; es war Allah, der sie getötet hat ~ Koran 8:17" steht in einer englischen Mitteilung der Al Kassam Brigaden.

In den Augen der Hamas sind die Israelis gnadenlose Schlächter, die die Zivilbevölkerung im Visier haben. Ein veröffentlichtes Video zeigt ein zehnjähriges Mädchen aus Gaza, das einen Appell an Jerusalem richtet: "Ich bin noch am Leben, ich bin keine Terroristin, also tötet mich nicht. Gebt mir die Chance, am Leben zu bleiben".

Wie oder wann der jüngste Gaza-Konflikt enden wird, ist heute noch unklar. Der britische Independent urteilt, Israel gewinne zwar die Militärkampagne, verliere aber den Propaganda-Krieg - allein schon weil der Blutzoll auf der Seite der Palästinenser ungleich höher ist. Das dürfte auch in Jerusalem Thema sein; die Schlacht im Netz ist Chefsache. Die Regierung hat - wohl um ihr Image im Ausland zu verbessern - Studierende an den sieben Universitäten des Landes beauftragt, systematisch parteiische Tweets und Facebook-Posts zu veröffentlichen. Im Gegenzug erhalten sie Stipendien oder andere Bevorzugungen. Auf Twitter haben sie jedenfalls den Wettbewerb um die meisten Follower gewonnen: Derzeit sind es 331.000. Die Kassam Brigaden hingegen haben nur etwas über 5.000. Der große Unterschied aber ist leicht zu erklären: Der erste Account wurde am 19. Juli zugedreht - ein neuer musste angelegt werden.

In der Ukraine-Krise liegt die Wahrheit im Auge des Betrachters. Die Wahrheit aus der Sicht Russlands wird durch das Fernsehen vorgegeben – und das steht unter staatlicher Kontrolle. „Die Mehrheit der Bevölkerung wird durch das Fernsehen manipuliert und die Intellektuellen sind verbannt in das Internet-Getto“, sagt der russische Autor Michail Schischkin gegenüber der Berliner Zeitung. Vor allem im Informationskrieg mit dem ukrainischen Nachbarn werden die russischen Sender gezielt eingesetzt.

Der Informations-Kampf gegen die Ukraine sei einer, in dem „jeder seine eigene Wahrheit verfolgt“, so die Kernaussage einer politischen Abendshow im russischen Sender Rossija1. Federführend in diesem Kampf sei unbestritten die Regierung in Kiew, die jeden Andersdenkenden als Separatisten, Rassisten oder Terroristen abstemple. Russland würde im Gegensatz zur Ukraine gegen den Nazismus kämpfen, die Ukrainer propagierten diesen hingegen. Über die Rolle des Westens sind sich ebenfalls alle TV-Sender einig: Der Westen betreibe eine Anti-Russland-Kampagne, wie sie schon in den letzten Jahrzehnten des Öfteren betrieben worden sei.

Für Aufsehen sorgte der russische Journalist Dmitrij Kisseljow. Der Chef der staatlichen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya und bekannter Putin-Propagandist war maßgeblich an einer der größten Lügengeschichten seit Beginn der Ukraine-Krise beteiligt. In seiner Sendung griff Kisseljow eine im Internet von der pro-russischen Untergrundorganisation „Cyberkut“ veröffentlichte Geschichte auf. Darin ging es um angeblichen Organhandel zwischen einer deutschen Ärztin und der ukrainischen Regierung. Eine Falschmeldung, die der Ärztin sogar Morddrohungen einbrachte. Kisseljow brachte die Geschichte als Sensationsmeldung mit angeblichen Beweisen. Millionen Russen sahen seine Sendung.

Tatsächlich scheint die russische Fernsehpropaganda ihren Zweck zu erfüllen: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada glauben 46 Prozent der Russen, dass Flug MH 17 von einer Rakete der ukrainischen Armee abgeschossen wurde. 64 Prozent sehen die Schuld an der Ukraine-Krise beim Westen und knapp zwei Drittel machen sich keine oder nur wenige Sorgen um die Auswirkungen der Sanktionen.
alexandra koller

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