"Turbo-Premier" kommt ins Stottern

Renzi: „Tausend Tage zur Veränderung Italiens“
Matteo Renzi wollte das Land umkrempeln. Doch die Wirtschaftskrise holt den Regierungschef ein.

Sieben Monate nach seinem kühnen Amtsantritt beginnt die Euphorie gegenüber Premier Matteo Renzi zu bröckeln. Die Wirtschaftskrise zwingt Italien immer stärker in die Knie. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über fehlende Arbeitsplätze, Jobverlust und schwindende Kaufkraft wächst. Den Unmut bekommt nach einer Schonfrist der mit 39 Jahren jüngste Regierungschef, den das Land je hatte, zu spüren.

"Falls du keine Angst hast, trau dich ohne Leibwächter unter das Volk", fordert ein Leser der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano den Premier heraus. Aktueller Anlass: Renzi will den Kündigungsschutz lockern und Abfertigungszahlungen schmälern. Das sorgt nicht nur in seiner eigenen Partei für Unmut, sondern vor allem bei Gewerkschaften und Arbeitnehmern. Der "Artikel 18", wonach Unternehmen Mitarbeiter bei ungerechtfertigter Kündigung wieder einstellen oder großzügig abfinden müssen, galt bisher in Italien als unantastbar. Zahlreiche Regierungen rüttelten bisher erfolglos am Kündigungsschutz.

Vergangene Woche stellte der "Turbo-Premier" seinen Reformplan für die nächsten 1000 Tage vor – wobei sich "Turbo" längst mehr auf Renzis blitzschnellen Redefluss bezieht als auf das Tempo der umgesetzten Maßnahmen. Ein neues Wahlgesetz, Arbeitsmarkt-, Senats-, Schul- und Steuerreformen sowie Einsparungen bei öffentlicher Verwaltung stehen auf der Agenda. Anfang November wollen Lehrer, Uni-Professoren, Ärzte und Beamte dagegen streiken.

Nachdem der Steuerbonus von monatlich 80 Euro für einkommensschwache Arbeitnehmer die Konjunktur nicht in Schwung brachte, setzt die Regierung nun vorrangig auf Steuervereinfachung und Entbürokratisierung. Ökonomen zeichnen ein düsteres Bild: Italien wird mindestens bis Ende 2014 in der Rezession stecken und das Bruttoinlandsprodukt weiter schrumpfen. "Italiener erwarten sich von Renzi vor allem eine Stoßtherapie mit zwei, drei Maßnahmen, die Produktion, Konsum und Arbeitsmarkt ankurbeln, das hat für die meisten absolute Priorität", betont Politexperte Luigi Vicinanza.

Renzis Popularität ist laut aktuellen Umfragen um 14 Prozent gesunken. Dennoch genießt der ehemalige Florentiner Bürgermeister mit seiner hemdsärmeligen, volksnahen Art noch immer eine Zustimmung von 60 Prozent. Seinen Fans winkt er vom Fenster seiner Dienstwohnung im zweiten Stock des Regierungspalastes Palazzo Chigi im römischen Zentrum zu. An einem heißen Augusttag verteilte er Eis an wartende Journalisten. Er reagierte damit auf eine Polemik im The Economist, die ihn "Gelato" essend auf einem sinkenden Schiff zeigte. Neue Medien nutzt der politische Hoffnungsträger intensiv: Twitter und Facebook werden ständig aktualisiert. Die Webseite "Passo dopo Passo" informiert detailliert über die schrittweise Umsetzung seines Programms zur "Änderung Italiens".

Auf EU-Ebene konnte Renzi mit der Bestellung von Außenministerin Federica Mogherini zur EU-Außenbeauftragten punkten. Nach seinem historischen Ergebnis bei den Europawahlen Ende Mai nützt Renzi seine Macht bei den europäischen Sozialdemokraten.

"Wasser und Seife"

Bei aller Offenheit behandelt er sein Privatleben diskret. Seine Frau Agnese Landini ist nur selten an seiner Seite zu sehen. Ihre Zurückhaltung kommt gut an. Ihr natürlicher Look wird in Italien als "Acqua e sapone", "Wasser und Seife", bezeichnet. Da gilt ein Bikini-Foto vom Strandausflug in einem Klatschblatt schon fast als "skandalös intim". Die Gymnasialprofessorin unterrichtete in Florenz Italienisch, Latein und Geschichte. Sie hatte keine Lust, ihren toskanischen Heimatort Pontassieve, wo sie sich um die drei Kinder zwischen 8 und 13 Jahren kümmert, Richtung Rom zu verlassen. Renzis jüngerer Bruder lebt zurückgezogen als Kinderarzt in der Schweiz. Von seiner Existenz erfuhr man zufällig durch eine veröffentlichte Steuererklärung.

Dass viele Italiener auf der Suche nach Arbeit ins Ausland flüchten müssen, missfällt Renzi. Bei einem Besuch im Pfadfinderlager in Pisa appellierte er an Jugendliche: "Wählt, wen ihr wollt, wechselt die Regierung, aber verlasst nicht das Land. Bleibt in Italien, verpasst veralteten Strukturen eine Tritt, helft uns, dieses Land besser zu machen."

Zuletzt geriet Renzis Vater Tiziano in die Schlagzeilen. Die Staatsanwaltschaft in Genua ermittelt gegen ihn wegen mutmaßlichen betrügerischen Bankrotts seiner Firma, die im Zeitungsvertrieb angesiedelt ist. Sowohl Vater als auch Sohn beteuern, sie würden sich keine Sorgen machen: "Die Sache wird sich klären."

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