"Warum soll ich sie im Gefängnis füttern?"

Präsident Erdogan hetzt seine Anhänger weiter auf
Präsident Erdogan fordert immer klarer die Todesstrafe für Putschisten. Eine Oppositionspartei ist schon auf seinen Kurs eingeschwenkt. Ein Referendum könnte dem "Sultan" doppelt nützlich sein.

Eine lebensgroße Puppe hängt an einem Galgen. Symbol dafür, was die Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von diesem verlangen: Jene Putschisten, die in der Nacht zum vergangenen Samstag versuchten, die Macht an sich zu reißen, müssen hingerichtet werden. "Wir wollen die Todesstrafe", skandieren sie dazu bei der abendlichen Veranstaltung auf dem zentralen Istanbuler Taksim-Platz.

Erdogan selbst hatte die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Spiel gebracht: "Warum soll ich sie auf Jahre hinweg im Gefängnis halten und durchfüttern?" Mit diesen Worten griff er bewusst ein Zitat des früheren türkischen Militärdiktators Kenan Evren auf, der 1980 an die Macht kam – "sollen wir sie etwa füttern und nicht hängen?"

"Warum soll ich sie im Gefängnis füttern?"
Trotz internationaler Warnungen, die Todesstrafe wieder zu legitimieren (siehe rechts oben), hat die rechtsnationalistische MHP bereits parlamentarische Unterstützung für den Schritt signalisiert. Da aber selbst dann die nötige Zweidrittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung noch immer nicht gesichert wäre, müssten auch einige kemalistische CHP-Mandatare dafür stimmen, was nicht ausgeschlossen ist.

"Das wäre ein furchtbarer Rückschritt für die Türkei und würde sie noch weiter weg bringen von Europa. Es wäre das Ende des Beitrittsprozesses", sagt Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik zum KURIER. Außerdem könne man die Todesstrafe ja nicht rückwirkend verhängen. Sollte im Parlament keine Zweidrittel-Mehrheit für die Todesstrafe zustandekommen, die 60-Prozent-Marke aber überschritten werden, was wahrscheinlich ist, könnte Erdogan diese Frage einem Referendum unterziehen. Das hätte für ihn zwei Vorteile: Stimmte das Volk dafür, könnte er seine Hände in Unschuld waschen. Und, fast noch wichtiger, er könnte in einem Aufwasch auch gleich Verfassungsänderungen abnicken lassen, die ihm als Staatschef weitreichende Vollmachten einräumen. Erdogan hätte sein präsidiales System, das er schon so lange anstrebt.

30.000 Beamtegeschasst

Für heute hat der "Sultan" jedenfalls eine "wichtige Entscheidung" angekündigt, ohne diese zu präzisieren. In der Zwischenzeit hat die Säuberungswellen einen neuen Höhepunkt erreicht. Jetzt wurden allein im Bildungsministerium 15.000 Beamte des Dienstes enthoben. Damit sind schon fast 30.000 Staatsdiener suspendiert. Um den Betrieb noch aufrechtzuerhalten, wurde eine Urlaubssperre für drei Millionen Beamte verhängt. Hinzu kommt, dass 24 Radio- und Fernsehstationen die Lizenz entzogen wurde.

7500 Menschen befinden sich in Haft. Und nun will Erdogan auch den vermeintlichen Kopf des Putschversuches: Es werde ein Dossier zusammengestellt, um von den USA die Auslieferung des dort lebenden Predigers Fethullah Gülen zu erwirken. Dort hat man indes Flugzeugen von Turkish Airlines die Landeerlaubnis für die USA entzogen: Man traue der Sicherheitslage in der Türkei nach dem Putsch nicht mehr.

Putschpläne verraten

Er soll die Fäden bei dem gescheiterten Coup gezogen haben, von dem immer mehr Details bekannt werden. Der Putschversuch war offenbar verraten worden. Als am Abend C 130 Herkules-Maschinen in Sirnak an der syrischen Grenze landeten, um 3000 Militärpolizisten von dort nach Ankara zu bringen, konnten die Transportflieger nicht mehr abheben. Der Gouverneur der Kurdenprovinz hatte Wind von der Sache bekommen und Feuerwehrfahrzeuge quer auf die Startbahn stellen lassen.

Auch nach Marmaris, wo sich Erdogan in einem Hotel aufgehalten hatte, kamen nicht genügend Soldaten. Flieger waren am Freitag keine vorhanden, also versuchte man 40 Autobusse zu chartern. Alle Autobusfahrer wurden verhaftet, bevor sie zu den Kasernen fahren konnten.

Die Verschwörer sollen bis in den engeren Umkreis vom Erdogan reichen. Sein Militärberater Ali Yazici wollte die Koordinaten des Jets und die Namen der Sicherheitsleute haben, mit denen der Präsident auf Kurzurlaub geflogen war. Als hätte es Erdogan geahnt, wurde sein Jet auf dem Weg nach Istanbul von Kampfjets begleitet. Die Putschisten waren zu spät gekommen.

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