Türkei: Scharfe Rhetorik, pragmatisches Handeln

Der türkische Präsident gedachte am Freitag der Schlacht von Gallipoli.
Massaker an Armeniern: Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern intakt, die Völkermord anerkennen.

Dass die Türkei empfindlich reagiert, wenn der Völkermord an den Armeniern offiziell von Parlamenten und Regierenden im Ausland anerkannt wird, haben in jüngster Zeit unter anderem der Papst und der Wiener Nationalrat erfahren. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte seinem Kollegen Sebastian Kurz am Telefon, die Erklärung des Nationalrates werde die Beziehungen zwischen Ankara und Wien "dauerhaft beschädigen". Doch ob die Türkei es damit wirklich ernst meint, ist nicht sicher (mehr zu dem diplomatischen Streit lesen Sie hier).

Parlamenten und Politikern stehe es nicht zu, Urteile über historische Ereignisse zu fällen, lautet die offizielle türkische Position. Die kürzliche Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch Papst Franziskus hatte die Haltung der internationalen Gemeinschaft zu dem Thema unmittelbar vor dem 100. Jahrestag der Massaker des Jahres 1915 erneut auf die Tagesordnung gebracht. Ankara reagierte wütend auf die Erklärung des Papstes, der die Armenier als Opfer des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts bezeichnet hatte. Die Entschließung des EU-Parlaments, die Entscheidung im Nationalrat und auch die Rede des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zum Thema riefen ebenfalls allergische Reaktionen in der Türkei hervor.

Doch scharfe Rhetorik und die Einbestellung von Botschaftern sind das eine, konkrete politische Konsequenzen das andere. Türkische Nationalisten kritisieren schon lange, dass Ankara trotz der regelmäßig ausbrechenden Aufregung vor harten realpolitischen Konsequenzen zurückschreckt, wenn ein Land den Völkermord anerkennt.

Das Internetportal Turktime fasste die türkischen Reaktionen nach der Anerkennung des Genozids durch ein beliebiges Land so zusammen: "Es gibt Schnellschuss-Reaktionen, Äußerungen, mit denen vor den Bürgern der starke Mann markiert wird, dann wird der Botschafter aus dem betroffenen Land abgezogen, und anschließend wird bis zum nächsten April alles vergessen."

Fette Handelsvolumina

Ganz Unrecht hat Turktime nicht. So entwickeln sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Frankreich recht gut, obwohl Paris den Genozid im Jahr 2001 per Gesetz anerkannte und obwohl Ankara damals mit schweren Folgen wie Wirtschaftssanktionen drohte. Mit Ausfuhren im Wert von 6,5 Milliarden Dollar lag Frankreich im vergangenen Jahr auf Platz 5 der wichtigsten Handelspartner der Türkei. Die Importe der Türkei aus Frankreich bewegen sich auf ähnlich hohem Niveau – nicht gerade ein Anzeichen für schlechte Beziehungen.

Ähnlich verhält es sich mit den türkischen Beziehungen zu Österreich. Im Vorjahr lag das bilaterale Handelsvolumen bei insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Etwaige Sanktionen, so Christian Maier von der Wirtschaftskammer in Ankara, hätten eher nur "kurzfristige Auswirkungen".

Auch mit Moskau unterhält die Türkei weiterhin ausgezeichnete ökonomische Kontakte. Russland ist der wichtigste Gaslieferant der Türkei und baut das erste Atomkraftwerk des Landes. Präsident Erdogan nennt den russischen Staatschef Wladimir Putin einen "werten Freund" – wobei dieser in den vergangenen Tagen ausdrücklich von einem Völkermord an den Armeniern sprach und persönlich zur Genozid-Gedenkveranstaltung nach Eriwan reiste. Die Proteste in Ankara hielten sich in engen Grenzen.

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