Q&A

Türkei/Russland: Eilige Mühe um Deeskalation

Russlands Präsident Putin (li.) und sein türkischer Amtskollege Erdogan.
Abschuss des russischen Jets war Rückschlag im Kampf gegen den IS. Alle Fragen und Antworten.

Deeskalation, Diplomatie und Ruhe bewahren: Nachdrücklich mahnt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe dazu, kühlen Kopf zu bewahren. Doch in Moskau grollt die Führung lautstark und droht mit Wirtschaftssanktionen. "Die Lage ist ernst", heißt es in der NATO. Der KURIER versucht die wichtigsten Fragen rund um den ersten Abschuss eines russischen Kampffliegers durch einen NATO-Staat seit über 50 Jahren zu beantworten.

Wurde der russische Jet über syrischem Gebiet abgeschossen, wie es Moskau behauptet, oder im türkischen Luftraum, wie Ankara sagt?

Zumindest 17 Sekunden war die Su-24 in türkischem Luftraum, berichtete ein Teilnehmer der NATO-Sondersitzung der New York Times. Dort wurde sie getroffen, war aber wieder auf Kurs Richtung syrischen Luftraum und stürzte, wie ein Sprecher der US-Armee gestern bestätigte, auf syrischem Gebiet ab. "Aber es gab eine mehrminütige Vorlaufzeit", schildert Brigadier Walter Feichtinger dem KURIER. Die Maschine wurde laut Türkei mehrmals angerufen – der Pilot hat nicht reagiert. Russland bestreitet dies. Die Türkei veröffentlichte anschließend eine entsprechende Sprachaufnahme, wo die Warnung zu hören ist.

Wer den Abschussbefehl gegeben hat, kann Feichtinger nicht beantworten. "Aber angesichts dieser mehrminütigen Vorgeschichte könnte die Nachricht bis zum Generalstab vorgedrungen sein."

Ob es eine "unglückliche Entscheidung eines Einzelnen" oder die Demonstration von Stärke von oben war: Beide Szenarien zeigen: "Offenbar war die Türkei schon in höchster Alarmbereitschaft", so Türkeiexperte Cengiz Günay vom Wiener Think Tank OIIP. Ankara sei "nervös", weil Russland mit seinem Syrien-Engagement derzeit alles auf den Kopf stellt.

Welche Politik verfolgt Ankara in Syrien?

"Eigentlich sind alle bisherigen Bemühungen der Türkei gescheitert", sagt Günay. Ankaras strikte Anti-Assad-Position bröckelt. Auch mit dem Plan, eine einheitliche syrische Opposition aufzubauen, ist die Türkei gescheitert. Die Opposition ist zersplitterter denn je. Und die von der Türkei unterstützte Freie Syrische Armee hat auch nicht die gewünschten Erfolge erzielt.

Ankara unterstützt in dem betreffenden Gebiet die Turkmenen. Unter anderem, weil sie ein gewisser Puffer gegenüber der möglichen Ausbreitung der Kurdengebiete an der türkischen Grenze sind.

Wie kann man verhindern, dass amerikanische und russische Kampfflugzeuge einander in Syrien in die Quere kommen?

"Durch Absprachen", sagt Feichtinger. Die USA und Russland haben eine Hotline eingerichtet. "Entweder man hat den syrischen Luftraum in verschiedene Gebiete eingeteilt – und jeder fliegt in seinem eigenen Raum Angriffe. Oder man koordiniert von Fall zu Fall: Dann hätte immer Russland Vorrang, weil es aufseiten des syrischen Regimes vorgeht."

Wie ernst sind Russlands Drohungen zu nehmen?

Trotz allen Donnergrollens aus Moskau gilt ein Vergeltungsschlag oder gar Krieg gegen die Türkei als ausgeschlossen. Das Verhältnis zwischen Türkei und Russland allerdings hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Und damit wackeln auch die noch jungen, internationalen Bemühungen, gemeinsam eine Lösung für ein Ende des Syrien-Krieges zu finden. Moskau hat angeboten, zusammen mit den USA, Frankreich und sogar der Türkei eine Kommandozentrale zu bilden, um Angriffe gegen den IS zu koordinieren. So weit aber wollen Paris und Washington nicht gehen – die Türkei schon gar nicht.

Wie geht es zwischen Ankara und Moskau weiter?

Die Türkei ist im Energiebereich stark von Russland abhängig. Zudem gebe es finanzielle Verflechtungen der regierenden AKP mit dem russischen Regierungsapparat, z. B. bei Auftrags-Vergaben, so Günay. Die Türkei habe zusätzlich wegen der EU-Sanktionen gegen Russland profitiert. Moskau hat in dieser Zeit verstärkt aus der Türkei importiert.

Kommentare