Erdogan lässt Demos zerschlagen

Proteste in Istanbul
In Istanbul ist die Polizei hart gegen Demonstranten vorgegangen - die EU kritisiert den Premier dafür scharf.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan steht gehörig unter Druck - sowohl von Seiten der Demonstranten, seiner eigenen Partei und der EU: Er ist mit Vorwürfen konfrontiert, die auf mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen, mit denen Sanktionen gegen Iran unterlaufen und illegale Baugenehmigungen erteilt worden sein sollen,fußen. Die Söhne zweier Minister wurden bereits festgenommen, diese traten daraufhin zurück. Premier Erdogan tauschte anschließend zehn von 26 Kabinettsmitgliedern aus, auch sein eigener Sohn stand kurz im Visier der Ermittler (siehe unten).

EU geißelt Erdogan

Jetzt hat sich auch die EU lautstark zu Wort gemdeldet: Der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) sagte, Erdogan habe "seinen Zenit überschritten" und die Türkei gehe "in sehr unsichere und instabile Zeiten", so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament am Samstag im Deutschlandfunk. Erdogan versuche , "alle Mittel einzusetzen, alles niederzumachen", um sich an der Macht zu halten.

In der Türkei werde es "einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust" geben, sagte Brok weiter. "Große Teile, die einen säkularen Staat haben wollen, die einen sauberen Staat haben wollen, wenden sich ab." Zudem werde es Erdogan "weiter schwächen", wenn nun wirtschaftliche Erfolge nachließen und ausländische Investitionen abgezogen würden.

Österreich hält sich indes noch zurück: „Die Entwicklung wird von Österreich sehr aufmerksam beobachtet“, sagt Außenminister Sebastian Kurz zum KURIER. Der Blick auf die Türkei sei wichtig, „weil Österreich eine große türkischstämmige Gemeinschaft hat“.

Proteste in Istanbul

Erdogan hatte in der Nacht auf Samstag erneut Proteste gegen ihn niederschlagen lassen - Regierungsgegener waren zu Protestkundgebungen in Istanbul zusammengekommen. Die Polizei ging mit angeordneter Härte gegen sie vor: Die Sicherheitskräfte setzten schon vor dem geplanten Beginn der Demonstration auf dem seit dem Sommer als Ort des Protest bekannten Taksim-Platz Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschoße ein.

Die Polizei riegelte den Platz weitgehend ab, auf der dorthin führenden Einkaufsmeile Istiklal Caddesi ging die Polizei gegen Gruppen von Demonstranten vor und verfolgte sie in Seitengassen. Erdogan selbst wurde währenddessen von Tausenden Unterstützern am Flughafen in Istanbul empfangen.

Erdogan lässt Demos zerschlagen

TURKEY PROTESTS
Erdogan lässt Demos zerschlagen

TURKEY PROTESTS
Erdogan lässt Demos zerschlagen

Demonstrators protest against Turkey's ruling Ak P
Erdogan lässt Demos zerschlagen

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Erdogan lässt Demos zerschlagen

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Erdogan lässt Demos zerschlagen

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TURKEY PROTESTS
Erdogan lässt Demos zerschlagen

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Erdogan lässt Demos zerschlagen

TURKEY PROTESTS

Erdogans Sohn im Visier

Im Zuge der Ermittlungen soll nun auch Erdogans Sohn Bilal Ziel sein, schreibt die oppositionsnahe Zeitung Cumhuriyet am Donnerstag. Dabei gehe es um Bauaufträge an eine Nichtregierungsorganisation, die Verbindungen zu dem Politikersohn unterhalte. Der Istanbuler Staatsanwalts Muammer Akkas, der gegen Erdogans Umfeld ermittelt habe, wurde daraufhin von seinen Untersuchungen abgezogen.

Parteiausschlüsse

Am Freitag hat die Regierungspartei ein Parteiausschlussverfahren gegen drei kritische Abgeordnete eingeleitet. Dem früheren Kulturminister Ertugrul Günay sowie den Abgeordneten Erdal Kalkan und Haluk Özdalga werde vorgeworfen, Partei und Regierung mit ihren Bemerkungen geschadet zu haben, wie türkische Medien am Freitag berichteten.

Özdalga hatte im Korruptionsskandal an Präsident Abdullah Gül appelliert, sich in die Krise einzuschalten. Kalkan hingegen kam dem Ausschluss zuvor, indem er selbst seinen Austritt aus der AKP erklärte. "Unser Volk ist nicht dumm", soll er auf Twitter geschrieben haben.

Niederlage für Erdogan

Inmitten der Schmiergeldaffäre im Umfeld der türkischen Regierung hat Ministerpräsident Erdogan eine juristische Niederlage erlitten. Ein Gericht stoppte am Freitag eine umstrittene Verordnung des Regierungschefs, nach der Polizisten Korruptionsermittlungen gegenüber ihren Vorgesetzten offenlegen sollten. Damit hatte Erdogan verhindern wollen, dass er noch einmal lange Zeit über umfassende Untersuchungen im Dunkeln gelassen werden kann. Dies war der Fall, bevor die Festnahme Dutzender Verdächtiger vor eineinhalb Wochen Erdogan in die schwerste Krise seiner drei Amtszeiten stürzte.

Militär will nicht einschreiten

Ein Militärputsch ist trotz der prekären politischen Lage aber noch ausgeschlossen. Das türkische Militär will sich nicht in die Politik einmischen. Wie Medien unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AP am Freitag meldeten, reagierte die Armee in einer Erklärung auf eine Kolumne, die ein Erdogan-Berater in der Tageszeitung Star veröffentlicht hatte. Darin wird die These vertreten, der Skandal sei produziert werden, um einen Putsch herbeizuführen.

Seit den 1960er Jahren hat die türkische Armee bereits drei Mal geputscht. Unter Erdogans islamisch orientierter Regierung wurde der Einfluss des Militärs, das stets als Garant der laizistischen Staatsordnung auftrat, drastisch zurückgedrängt.

Es war 1999, als die damalige Regierung in Ankara Fethullah Gülen vorwarf, einen islamischen Staat in der Türkei etablieren zu wollen. Seither lebt der Prediger in den USA und zieht von dort seine Fäden – in der ganzen Welt. Seine Millionen Anhänger betreiben Schulen, Krankenhäuser, Unternehmen, Medien. Allein in Deutschland werden 300 Gülen-nahe Vereine vermutet. Das Hauptaugenmerk des heute 72-Jährigen liegt auf Bildung. Es soll eine schlagkräftige islamische Elite herangezogen werden.

In der Türkei kämpften Absolventen der Kaderschmieden erfolgreich Seite an Seite mit Erdogans Mannen, um die Macht der Militärs und der säkularen Kräfte zu brechen – bis es zwischen den Islam-Streitern selbst zum Bruch kam. Gülen-Schüler waren dem Premier zu einflussreich geworden, vor allem im Polizei- und Justizapparat. Wichtige Beamte verloren ihre Posten. Und Mitte Dezember ließ der Regierungschef Nachhilfe-Zentren des in der Osttürkei geborenen Gülen schließen. Das kam einer Kriegserklärung für die Bewegung gleich, da diese Zentren eine wichtige Finanzquelle darstellten.

Dann der Gegenschlag: Gülen zündete die Korruptionsbombe und könnte noch weitere Waffen im Schrank haben.

Der autoritäre „Sultan“ reagierte so, wie er immer reagiert, wenn er in der Defensive ist: voller Gegenangriff. Nach einer massiven Korruptionsaffäre, in die auch Regierungsmitglieder verwickelt sein sollen, tauschte der türkische Premier Erdogan fast die Hälfte seiner Minister aus und stellte ein „Kriegskabinett“ zusammen. Dieses soll den „Umsturzversuch aus dem Ausland“ niederschlagen, hinter dem die USA und Israels stünden. Das ist natürlich Quatsch.

Das wahre Ringen spielt sich zwischen Erdogan und dem islamischen Prediger Fethullah Gülen ab, der in den USA lebt. Seine Anhänger betreiben in der Türkei Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Medienhäuser. Sie haben großen Einfluss auf den Polizei- sowie Justizapparat und den Korruptionsskandal an die Öffentlichkeit gebracht. Das heißt: Ein Machtkampf zweier islamistischer Alpha-Tierchen, die einst Schulter an Schulter gegen die Säkularen und das Militär marschierten und jetzt erbitterte Feinde sind. Damit ist das System Erdogan erstmals ernsthaft bedroht. Seine AK-Regierungspartei droht von innen zu erodieren, erste Austritte gibt es bereits.

Und der (einst) so „starke Mann vom Bosporus“? Der beschwört die Einheit und erinnert an den Unabhängigkeitskampf vor der Staatsgründung 1923. Das wird ihm auch nicht helfen, das Image der AKP als „saubere Kraft“ ist dahin. Erdogan selbst ist es möglicherweise noch länger nicht, denn das Wort aufgeben kennt er nicht. Sollte es noch dicker kommen, könnte der alte Fuchs alles auf eine Karte setzen und Neuwahlen ausrufen (regulär 2015). Kalkül: Die Opposition ist schwach, und ob sich ein zweites islamisches Lager schnell organisieren kann, fraglich.

Wer Erdogan zu früh abschreibt, begeht einen Fehler.

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