Kurden-Konflikt spitzt sich militärisch und politisch zu

Zoff zwischen Vertretung der Kurden im Parlament und der Regierung.
Bürgerkriegsartige Zustände in der Türkei: Kurden-Verband drängt auf Autonomie, für Ankara eine Provokation.

Während in einigen Provinzen im kurdisch geprägten Südosten der Türkei weiterhin bürgerkriegsartige Zustände herrschen, hat der Dachverband der ethnischen Minderheit einen Beschluss mit Sprengkraft gefasst. Die Delegierten sprachen sich für weitreichende Autonomie auf lokaler Ebene aus, für kurdische Selbstverwaltung also. Solche Töne hatte man schon lange nicht mehr vernommen.

Dementsprechend harsch und prompt fiel die Antwort aus Ankara aus. Das sei eine "nahezu unverfrorene" Forderung, wetterte Premier Ahmet Davutoglu. Umgehend lud er die Kurden-Partei HDP, sie ist viertstärkste Kraft im Parlament und Teil des Dachverbandes, von den Gesprächen über eine Verfassungsreform aus.

Angst vor Abspaltung

Hintergrund ist die wachsende Furcht der Türkei, die Kurden könnten sich über den Umweg einer Autonomie irgendwann gänzlich abspalten. Zumal sie derzeit Rückenwind für ihr Projekt aus Nordsyrien erhalten: Dort haben die Kurden in drei Kantonen eine Selbstverwaltung hochgezogen, in die aufgrund des politischen Vakuums niemand mehr hineinregiert.

"Was die Kurden in der Türkei wollen, ist ein Autonomie-Modell nach Südtiroler Vorbild", analysiert die österreichische Grünen-Abgeordnete Berivan Aslan, die kurdischer Abstammung ist. Aber man wolle Teil des türkischen Staates bleiben. Die Forderung, dass außer dem Türkischen auch andere Sprachen im Unterricht verwendet werden sollen, sei mehr als verständlich, meint die Politikerin.

Der Friedensprozess zwischen Kurden-Vertretern und der Regierung in Ankara sei jedenfalls beendet. Als einziger Ausweg aus dem Konflikt bleibe die Selbstverwaltung. So gesehen sei das Papier des Dachverbandes der Kurden ein Schritt zur Deeskalation und nicht zur Separation, wie es die Regierungspartei AKP darstelle.

Allerdings müsse die Zentralgewalt für das Autonomie-Modell Macht und auch Budgethoheiten an die Regionen abtreten. "Dafür müsste (Präsident Recep Tayyip) Erdogan Macht abgeben", so Aslan zum KURIER. Obwohl sie sich in dieser Hinsicht skeptisch zeigt, hoffe sie doch, dass der Staatschef "das Angebot annimmt und Gespräche beginnen, sonst gibt es offenen Krieg".

Zivilisten als Opfer

Dieser spielt sich derzeit im Südosten ab. 10.000 türkische Sicherheitskräfte sind im Einsatz. In den vergangenen Tagen seien mehr als 200 Anhänger der Kurden-Guerilla PKK getötet worden, heißt es in Ankara. "Die Gewalt hat über Weihnachten massiv zugenommen. In den Städten sind aber keine PKK-Kämpfer aktiv, die machen das nicht", sagt dazu die Nationalratsmandatarin, "die allermeisten Toten sind Zivilisten und Kinder, keine Kämpfer, wie die Regierung behauptet."

Ein tragischer Fall aus Czire bestätigt diesen Befund. In dieser nahe der irakischen Grenze gelegenen Stadt, in der sich PKK-Sympathisanten und Regierungseinheiten seit Wochen heftige Gefechte liefern, geriet das Haus einer Familie unter Feuer. Die drei Monate alte Miray wurde dabei von einer Kugel in den Kopf getroffen. Als sie ihr Großvater ins Spital bringen wollte, wurde auch er erschossen – beide starben. Laut der Familie kamen die Schüsse aus dem Spital, das von Sicherheitskräften des Staates kontrolliert wird.

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