Erdogan drängt Premier aus Ämtern

Ahmet Davutoglu gibt auf, Aktienkurse brechen ein, türkische Wirtschaft ist tief besorgt.

Der Bruch zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinem Premier Ahmet Davutoglu war nicht mehr zu kitten. Da half auch eine eineinhalbstündige Aussprache in der Nacht zum Donnerstag nichts mehr. Der Regierungschef kündigte am Donnerstag seinen Abgang an: Er werde bei einem Sonderparteitag der AKP (siehe unten) am 22. Mai nicht mehr für den Vorsitz kandidieren. Damit verliert er laut Satzungen seiner politischen Gruppierungen auch das Amt des Premierministers.

Er verspüre keine Bitterkeit, sagte Davutoglu, als er den Offenbarungseid ablegen musste, dass er den Machtkampf mit Erdogan verloren hat. Selbst in diesen schweren Stunden zeigte er sich aber seinem früheren Mentor gegenüber loyal – zumindest nach außen hin: "Seine Familienehre ist meine Familienehre. Seine Familie ist meine Familie."

Dabei war es Erdogan, der den Premier gleichsam weggemobbt hat, weil dieser nicht dessen angepeilte Verfassungsreform (alle Macht dem Präsidenten) unterstützt hatte. Noch am Mittwoch hatte der Staatschef Davutoglu wissen lassen: "Diejenigen, die sich auf wichtigen Positionen befinden, sollten nicht vergessen, wie sie da hingekommen sind."

Türkische Lira verliert an Wert

Die Finanzwelt hat prompt auf die schwere innenpolitische Krise reagiert: Nachdem der Aktienleitindex an der Istanbuler Börse bereits am Mittwoch nach Gerüchten hinsichtlich des Umbruchs zeitweilig um 3,5 Prozent abgesackt war, wurden tags darauf abermals Kursverluste registriert. Und die türkische Lira gab gegenüber dem Euro weiter nach. Dazu kommt, dass Wirtschaftstreibende verunsichert und besorgt sind: "Der Reformprozess wird sich verlangsamen, da sich die neue Regierung ganz politischen Themen, wie der Einführung eines Präsidialsystems zuwenden dürfte", beklagte etwa Ozgur Altug, Chefvolkswirt bei BGC Partners mit Sitz in Istanbul.

Eine Änderung des Grundgesetzes, das Erdogan weit reichende Kompetenzen einräumen soll, will die Opposition aber "unter keinen Umständen" akzeptieren, sagt Kemal Kilicdaroglu von der CHP, der zweitstärksten Kraft im Parlament. Für ihn ist der Präsident jetzt schon ein "Diktator".

Neuwahl-Szenario

Noch freilich ist die regierende AKP in der Legislative auf die Unterstützung von oppositionellen Mandataren angewiesen. Denn um eine Verfassungsänderung umzusetzen braucht man eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament (dazu fehlen der AKP derzeit 13 Abgeordnete) und danach ein Referendum mit 50 Prozent und einer Stimme der abgegebenen Voten oder eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament.

Obwohl ein Erdogan-Berater betonte, dass es auch nach einem Wechsel an der Regierungsspitze nicht zu Neuwahlen kommen werde, könnten sich die AKP-Strategen letztlich doch dazu entschließen. Das Kalkül: Die CHP und die rechte MHP sind aktuell nicht gut aufgestellt, und die kurdische HDP schwächelt ebenfalls. Auf einer nationalistischen Welle mit Erdogan als Kapitän in diesen stürmischen Zeiten (Syrien-Krieg samt Flüchtlingskrise, Irak-Zerfall, Kampf gegen die PKK im Südosten des Landes, Wirtschaftsflaute samt Arbeitslosigkeit) könnte sogar eine Zweidrittel-Mehrheit möglich sein.

Erdogan-Schwiegersohn als Premier?

Fix ist jedenfalls, dass mit dem Abtritt Ahmet Davutoglus ein neuer Regierungschef gefunden werden muss. Derzeit haben offenbar zwei Minister des bestehenden Kabinetts die besten Karten für den Job: Binali Yildirim (Verkehr) und Berat Albayrak (Energie). Beide gelten als absolut loyale Erdogan-Parteigänger. Letzterer ist ein Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten.

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