Deutscher Staatsminister: Kein Ende der Türkei-Gespräche

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, im Interview am 19.08.2014 in Wien.
Michael Roth argumentiert, die Diskussion in der EU werde derzeit "zu stark auf das Regierungshandeln in der Türkei fokussiert, aber das Land ist zu komplex und vielfältig, als dass man es alleine auf die Figur des Staatspräsidenten beschränken sollte"

"Ich halte nichts von einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen." Das betonte der Staatsminister für Europa im deutschen Außenamt, Michael Roth, der gerade die Türkei besucht hat. Darin hätten ihn auch Gespräche mit Vertretern von Zivilgesellschaft und Opposition dort bestärkt, "die mich inständig gebeten haben, diesen für sie so wichtigen Gesprächskanal nicht zu beenden".

Für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hatten sich jüngst Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ausgesprochen. Roth betonte, die Türkei bleibe "nach wie vor ein gespaltenes Land": "Ein großer Teil der Bevölkerung richtet seinen Blick weiterhin klar in Richtung Europa. Sie wollen zur europäischen Wertegemeinschaft gehören, und diesen Menschen fühle ich mich in erster Linie verpflichtet, und diesen Menschen sollten wir uns auch in der Europäischen Union in erster Linie verpflichtet fühlen."

Roth: Türken sind schockiert über Putsch

Der SPD-Politiker argumentierte, die Diskussion in der EU werde derzeit "zu stark auf das Regierungshandeln in der Türkei fokussiert, aber das Land ist zu komplex und vielfältig, als dass man es alleine auf die Figur des Staatspräsidenten beschränken sollte". Bei allen Schwierigkeiten sei die einzige Chance, substanziell etwas zum Besseren zu wenden, ein Festhalten an den Beitrittsverhandlungen. "Und dass wir gerade in den Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, der Unabhängigkeit der Justiz oder der Freiheit der Medien noch nicht substanziell vorangekommen sind, liegt ja auch daran, dass es in der EU keinen Konsens darüber gibt, die entsprechenden Kapitel in den Beitrittsgesprächen zu öffnen."‎

Gefragt nach seinen Eindrücken von der Türkei-Reise, von der er erst am Wochenende zurückkehrt ist, sagte der Staatsminister, der versuchte Militärputsch sei "ein tiefer Einschnitt, nicht nur für die Türkei selbst, sondern für uns alle in Europa. Wir haben möglicherweise unterschätzt, wie schockiert die Türkinnen und Türken sind." Ihm sei sowohl von Vertretern der Regierung als auch der Opposition und aus der Zivilgesellschaft heraus vermittelt worden, "dass man sich über ein frühzeitigeres und stärkeres Zeichen des Mitgefühls und der Solidarität gefreut hätte", sagte Roth.

"Wir haben uns ja doch sehr schnell mit kritischen Fragen an die türkische Regierung gewandt, ob denn die Konsequenzen, die sich aus dem Militärputsch ergeben, die richtigen sind, ob die rechtsstaatlichen Verfahren eingehalten werden, diese Massenentlassungen beispielsweise haben ja doch auch bei uns zu großer Beunruhigung geführt. Das ist alles richtig, aber zur Politik gehört eben auch, gegenüber einem Partner eine entsprechende Geste des Mitgefühls zu äußern, das will ich selbstkritisch hinzufügen."

Baldiger Austritt Großbritanniens gefordert

In der Frage des Brexit sprach sich Roth für einen möglichst baldigen Austrittsantrag der Briten aus: "Ob uns die Entscheidung passt oder nicht - und sie hat uns in Deutschland nun wirklich nicht gepasst -, wir haben sie zu akzeptieren. Brexit ist Brexit, deswegen brauchen wir auch so schnell wie möglich Klarheit darüber, wie es weitergeht. Wir gehen davon aus, dass die britische Regierung dann auch in Bälde formal diesen Austrittsantrag gemäß EU-Vertrag stellt."

Zum künftigen Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich verwies Roth auf die Neuartigkeit der Situation. Es gebe deshalb auch keine Blaupause und keinen Plan, "den man einfach aus der Schublade ziehen kann. Es ist eben noch nie ein Staat nach so vielen Jahrzehnten Mitgliedschaft aus der EU ausgetreten."

Feststehe jedoch, dass es "keine Rosinenpickerei" geben dürfe: "Klar ist, dass man sich nicht das Beste einfach heraussuchen kann." Deshalb werde auch die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit besonders intensiv diskutiert. "Wer weiterhin am gemeinsamen Markt teilhaben möchte, der bekommt die Grundfreiheiten eben nicht nur für Dienstleistungen, das Kapital und Güter, er muss dann auch die Grundfreiheit für Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Hier gibt es keinen Verhandlungsspielraum."

Verantwortungslose Nationalisten und Populisten

Das Beispiel Brexit hat aus Sicht des deutschen Staatsministers auch vor Augen geführt, "wie scham- und verantwortungslos Nationalisten und Populisten mit solchen Referenden umgehen. Die sind sich nicht zu schade, ihre Kampagnen auf Ängsten, Lügen und Halbwahrheiten aufzubauen. Und das sollte uns allen eine Warnung sein in der Europäischen Union."

Gleichzeitig sei die Brexit-Entscheidung jedoch auch "ein heilsamer Schock für viele" gewesen: "Am Ende hat man doch gesehen, dass diese Lügenkampagne in sich zusammengefallen ist. Ich bin mir ziemlich sicher, mancher würde seine Entscheidung in Großbritannien auch revidieren." Das gehe zwar nun nicht mehr. Doch die Rufe, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen, seien innerhalb der EU "stark verstummt": "Das ist erstmal auch eine gute Nachricht."

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