Erdogan: Welt sollte Wahlergebnis respektieren

Die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bei der wiederholten Parlamentswahl so viele Stimmen gewonnen wie noch nie.
Partei des Präsidenten kann Absolute zurückholen. Dazu: Reaktionen auf das Wahlergebnis.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach dem Wahlsieg seiner regierenden AK-Partei die weltweite Anerkennung des Ergebnisses gefordert. Dies sollte von der ganzen Welt respektiert werden, sagte der Gründer der AK-Partei am Montag in Istanbul. Die Türken hätten am Sonntag für Stabilität gestimmt.

"Die Türkei bleibt auf Kurs“ – so lautete am Sonntagabend das zufriedene Fazit des regierungsfreundlichen Journalisten Mehmet Barlas. Die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bei der wiederholten Parlamentswahl so viele Stimmen gewonnen wie noch nie: Nach Auszählung von 97,5 Prozent der Stimmen kommt das islamisch-konservative Bündnis auf fast 50 Prozent und damit deutlich mehr als erwartet. Damit könnte die AKP die Regierung allein stellen. Die Mitte-Links-Traditionspartei CHP blieb mit 25 Prozent nur knapp unter ihrem letzten Ergebnis. Schwere Verluste fuhr die nationalistische MHP ein, die pro-kurdische HDP schaffte es nach ihrem Erfolg im Juni diesmal nur um Haaresbreite ins Parlament. Nun befürchtet die Opposition noch mehr Druck auf die Erdogan-Kritiker im Land.

Das offizielle Endergebnis der Parlamentswahl in der Türkei soll erst in elf oder zwölf Tagen veröffentlicht werden.

Erdogan: Welt sollte Wahlergebnis respektieren
People wave flags outside the AK Party headquarters in Istanbul, Turkey November 1, 2015. Turks went to the polls in a snap parliamentary election on Sunday under the shadow of mounting internal bloodshed and economic worries, a vote that could determine the trajectory of the polarised country and of President Tayyip Erdogan. The vote is the second in five months, after the AK Party founded by Erdogan lost in June the single-party governing majority it has enjoyed since first coming to power in 2002. REUTERS/Osman Orsal
Vor der Wahl lautete die große Frage noch, ob die AKP es schaffen würde, ihre bei der Wahl im Juni verlorene Parlamentsmehrheit zurückzuerobern. Doch diese Frage war schon kurze Zeit nach Schließung der Wahllokale beantwortet. Als die ersten Ergebnisse aus dem Osten des Landes einliefen, wurde deutlich, dass die Opposition mit dem Versuch, Sultan Erdogan zu entthronen, gründlich gescheitert war.

Austro-Türken für AKP

Erdogan: Welt sollte Wahlergebnis respektieren
Türkische Wähler in Österreich - Stimmenanteile der Parteien in Prozent - Balkengrafik GRAFIK 1262-15, Format 88 x 58 mm
Ein Ergebnis wie dieses hatte die AKP in den Glanzzeiten Erdogans als Ministerpräsident geholt. Auch die Türken in Österreich entschieden sich mit fast 70 Prozent für die AKP. „Diese Wahl enthält ganz klare Botschaften“, sagte die Journalistin Asli Aydintasbas: „Die Wähler wollen keine Koalition.“

Genau das hatten die Erdogan-Gegner am Wahltag erreichen wollen: die Mehrheit der AKP dauerhaft brechen. Sie wollten die Erdogan-Partei von den Schalthebeln der Macht entfernen, die Korruptionsvorwürfe gegen AKP-Politiker aufklären und Erdogan zu einer passiveren Rolle als Staatspräsident zwingen. Doch offenbar war den Wählern die Korruption und das forsche Auftreten Erdogans weniger wichtig als etwas anderes: „Die Wähler wollten Stabilität, politisch und wirtschaftlich“, sagte Aydintasbas. Der Sieger sei Erdogan, denn er habe die Neuwahl durchgesetzt.

Gewalt schadet Kurden

Der Präsident hatte nach der Wahl vom Juni sofort auf eine Wiederholung des Urnengangs gesetzt, weil er überzeugt war, dass die AKP ihre Mehrheit wieder gewinnen könne. Nun werde die Debatte über das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem erneut beginnen, sagte Aydintasbas voraus. Der 61-Jährige will mehr Macht für die Präsidenten. Für eine solche Reform ist eine Verfassungsänderung notwendig.

Auch für die Opposition gebe es jede Menge Botschaften, sagte Aydintasbas: Die Kurdenpartei HDP etwa habe darunter gelitten, dass die PKK-Kurdenrebellen mit einer neuen Gewaltwelle gegen die Sicherheitskräfte begonnen hätten. Als Konsequenz und aus Protest gegen die PKK unterstützten offenbar viele Kurden die AKP. In der Stadt Kilis and der syrischen Grenze zum Beispiel legte die AKP im Vergleich zur Juni-Wahl um satte 15 Prozent zu. „Die Kurden wollen einen politischen Prozess, und keinen bewaffneten Kampf“, sagte Aydintasbas.

Erdogan: Welt sollte Wahlergebnis respektieren
ACHTUNG: Sie erhalten diese Grafik nach Vorliegen einer Hochrechnung oder eines Ergebnisses; sollten keine Daten vorliegen, wird die Grafik am Montag gesendet Stimmenanteile der Parteien in Prozent - Balkengrafik; Sitzverteilung im Parlament - Tortengrafik; jeweils Vergleich zu Juni 2015 GRAFIK 1261-15, Format 88 x 158 mm
Um Haaresbreite schaffte es die HDP zuletzt doch noch ins Parlament. Für Erdogan bedeutet das, dass er sich seinen Traum von Präsidialrepublik wohl nur längerfristig und auf Umwegen – etwa über eine Volksabstimmuung – erfüllen könnte.

Ob in der Türkei nun Stabilität und innerer Friede zu erwarten sind, ist offen. Es sieht nicht danach aus, als stünde mit der neuen Regierung eine Phase der Versöhnung bevor. Im Gegenteil: Der Streit zwischen den verfeindeten politischen Lagern dürfte noch heftiger werden.

Längst ist das Land tief zwischen Gefolgsleuten und Gegnern der AKP und von Erdogan gespalten. Der Präsident zeigt unterdessen immer deutlicher autoritäre Züge. Oppositionsanhänger, Kurden, Linke, Intellektuelle, Journalisten und andere, die in seinem Visier und jenem der AKP stehen, fühlen sich jetzt erst recht ins Abseits gedrängt – schon kündigen AKP-Politiker weitere Schritte gegen unbotmäßige Zeitungen und TV-Sender an.

Zusammenstöße in Diyarbakir und Stuttgart

Der Wahlkampf war von Gewalt überschattet. Am Wahltag selbst wurden zunächst keine schweren Anschläge oder Gefechte gemeldet. Allerdings kam es in der ostanatolischen Kurdenmetropole Diyarbakir am Sonntag nach Bekanntwerden der Resultate der Parlamentswahlen zu Zusammenstößen zwischen kurdischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Konfrontationen, bei der die Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen die Manifestanten vorgingen, begannen in der Nähe des Sitzes der pro-kurdischen HDP.

Seit im Juli eine Waffenruhe zusammenbrach, eskaliert der Konflikt mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wieder. Zudem wurde das Land von Anschlägen erschüttert, die der Terrormiliz IS angelastet werden. Beim schwersten Anschlag am 10. Oktober in der Hauptstadt Ankara wurden mehr als 100 Menschen getötet. Die Staatsanwaltschaft machte den IS verantwortlich, der sich allerdings nicht zu der Tat bekannte.

Auch in Stuttgart kam es am Sonntagabend zu Ausschreitungen von Gegnern und Anhängern der siegreichen AKP. Vermummte bewarfen einen Autokorso von AKP-Sympathisanten mit Pflastersteinen, wie die Polizei am Montag mitteilte. Insgesamt nahmen die deutschen Beamten elf Anhänger verschiedener Seiten fest und erteilten 36 Platzverweise. Verletzt wurde niemand.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht das Ergebnis der Parlamentswahl am Sonntag, bei der seine AKP siegte, als Votum für die Stabilität. Auch zeige es der kurdischen Rebellengruppe PKK, dass "Gewalt, Drohungen und Blutvergießen nicht mit der Demokratie und dem Rechtsstaat koexistieren können", sagte Erdogan laut einer per Email versandten Erklärung in der Nacht auf Montag.

EU-Vertreter haben sich in einer ersten Reaktion erfreut über den Verlauf der Parlamentswahl in der Türkei gezeigt. Die hohe Wahlbeteiligung untermauere, dass das türkische Volk die demokratischen Prozesse unterstütze, teilten die Außenbeauftragte Federica Mogherini und der für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn am frühen Montag in Brüssel mit.

Man warte nun auf die ersten Ergebnisse der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die EU-Vertreter stellten der künftigen Regierung eine enge Kooperation in Aussicht. "Die EU wird mit der zukünftigen Regierung zusammenarbeiten, um die Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei weiter zu stärken und die Kooperation in allen Bereichen zum Wohle der Bürger auszubauen", kommentierten Hahn und Mogherini.

Der Wahlsieg der AKP in der Türkei hat nach Einschätzung der deutschen Grünen-Politikerin Claudia Roth negative Konsequenzen für die EU in der Flüchtlingskrise. Sie glaube, dass der durch die Wahl gestärkte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan künftig der EU seine Bedingungen diktieren werde, sagte die Bundestags-Vizepräsidentin dem Sender WDR 5 am Montag. Roth sprach mit Blick auf den Wahltag von einem „rabenschwarzen Tag für die Türkei“. Erdogans „Strategie der Polarisierung“ sei aufgegangen.

In den türkischen Medien wurde das Wahlergebnis so kommentiert:

Die oppositionsnahe "Cumhuriyet" bezeichnet das Wahlergebnis als ein "Erdbeben". Der Wahlkampf sei auf Angst aufgebaut worden. Nach den drei Bombenanschlägen seit den Parlamentswahlen vom 7. Juni habe Staatspräsident Erdogan wiederholt gesagt: "Entweder Chaos, oder wir". Deswegen sei der das jetzige Wahlergebnis ein "Sieg der Angst".

Die linke "Bir Gün" kritisiert, dass Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nach der Auszählung der ersten Stimmen am Sonntagabend "Elhamdülillah" - auf deutsch "Gott ist groß" auf dem Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben hatte. Dies zeige das wahre Wesen der Partei, kommentiert die "Bir Gün". Denn die AKP habe die Sprache in den letzten Jahren von Begriffen wie Demokratie und Menschenrechten befreit. "Der Dieb hat keine Schuld", schreibt das Blatt.

Die regierungskritische Tageszeitung "Sözcü" kommentiert: "Der Terror hat zugenommen, die Währung hat zugenommen, die Stimmen haben zugenommen. Das Sultanat geht weiter." Die regierungsfeindliche "Todays Zaman" warnt vor einer weiteren Autokratisierung der Türkei: "Dieser Trend dürfte sich fortsetzen", schreibt das Blatt, und kritisiert, dass der EU-Fortschrittsbericht nicht vor den Wahlen veröffentlicht worden ist. Das "europäische Ticket" sei eines der wirkungsvollsten Tickets für türkische autoritäre Politiker. "Denn sie wissen, dass die EU nichts macht."

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