Das "Wiener Spital" in Kobane

Der tödliche Hexenkessel im nordsyrischen Kobane: Hier baute der syrisch-stämmige Arzt Ezzat Afandi ein Spital, das Areal wird jetzt von der IS-Terrormiliz kontrolliert.
Österreichischer Chirurg errichtete auf eigene Kosten ein Krankenhaus in der jetzt umkämpften Stadt.

Es war sein Lebensprojekt, sein Lebenstraum, auf den er zehn Jahre lang hingearbeitet hat. All seine Energie und all sein Geld – sehr, sehr viel Geld – steckte der Unfallchirurg des Wiener Wilhelminenspitals Ezzat Afandi in den Bau eines Krankenhauses in seiner alten Heimat: im nordsyrischen Kobane. "Wiener Chirurgisches Spital" nannte er es, im Mai dieses Jahres nahm es den Betrieb auf. Der 57-Jährige operierte Tag und Nacht Kriegsverwundete und andere Verletzte. Bis es gar nicht mehr ging und die Schlächter des "Islamischen Staates" (IS) kamen.

Das "Wiener Spital" in Kobane
österreichisch-syrischer arzt Ezzat Afandi, Kobane, Spital
Heute ist die Einrichtung mit 34 Betten verwaist, die Terrormiliz kontrolliert diesen Teil der Stadt. "Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass alle Glasfenster und -türen zu Bruch gegangen sind", schildert der Mediziner im KURIER-Gespräch. 1979 kam er zum Studium nach Wien, er blieb und ist längst österreichischer Staatsbürger.

OPs unter Lebensgefahr

Von Mai bis Oktober war Afandi in Kobane tätig – unter ständiger Lebensgefahr. "Der IS hat bewusst unser Spital beschossen, wir haben dann im Keller weiteroperiert", sagt der kurdische Arzt. Es habe einen chronischen Mangel an Betäubungsmitteln gegeben. "Diese wurden über die Türkei über Schmuggelrouten herangekarrt. Wir mussten sie zu überhöhten Preisen kaufen. Oft warteten wir drei Wochen darauf", schildert der Chirurg.

Als der IS damals knapp vor Kobane stand und die Stadt schon massiv unter Feuer genommen hatte, "bin ich eines Morgens allein im Spital aufgewacht, das ganze Personal (30 Pfleger und Krankenschwestern sowie die anderen vier Ärzte) war weg. Da wurde mir der Ernst der Lage klar", so der Mediziner. Auch seine Frau und die vier Kinder in Wien, sie sind zwischen sieben und 14 Jahre alt, "haben am Telefon geweint und mich immer und immer wieder gebeten: ,Papa, komm!‘".

Schweren Herzens brach Afandi dann seine Zelte ab. "Anfänglich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber es war die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt. Denn hätten mich die IS-Kämpfer in die Finger bekommen, hätten sie mich sofort geköpft." Warum? "Weil meine Schwester Aisha Parlamentspräsidentin in Westkurdistan ist und ihr Mann der Präsident (der selbstverwalteten Region in Nordsyrien)."

Flucht über Minenfeld

Der einzige Fluchtweg war ein Pfad durch ein Minenfeld in die Türkei. "Es herrschte ein arges Gedränge, alle wollten nur weg. Einer konnte es nicht erwarten, er ist ausgeschert. Dann habe ich gesehen, wie ein Sprengsatz seinen Körper zerfetzt hat", sagt der Arzt. Es waren diese Bilder, die ihn auch in Wien zunächst nicht losließen. "Ich hatte die klassischen Symptome eines Kriegstraumatisierten", führt Afandi aus, "nachts bin ich aufgewacht, habe begonnen zu weinen und konnte nicht mehr einschlafen. Bei jedem lauten Geräusch bin ich in Deckung gegangen." Mittlerweile hat sich der Mann wieder gefangen und hat schon ein nächstes Projekt vor Augen: "Sollte sich die österreichische Regierung dazu entschließen, Flüchtlinge und Verletzte auf türkischem Gebiet etwa mit einem eigenen Lager oder einer medizinischen Station zu unterstützen, wäre ich der Erste, der ginge."

"Die Türkei lügt"

Eine solche Initiative wäre auch deswegen wichtig, "weil die Kurden den Türken nicht trauen". Es gebe Berichte, "dass Verwundeten, die jenseits der Grenze behandelt wurden, Organe entnommen worden sind", betont der Mediziner. Auch er ist gar nicht gut zu sprechen auf die türkische Regierung. "Sie unterstützt den IS und liefert den Terroristen Waffen. Ankara lügt und spielt mit dem Westen und seinen NATO-Partnern."

Trotz des Chaos’ in seiner früheren Heimat hat der Unfallchirurg sein Spital noch nicht abgeschrieben. Steckt doch darin sein ganzes Herzblut und sein ganzes Vermögen, das er in den 1980er-Jahren mit seinem Wasserbohr-Unternehmen in Marokko erwirtschaftet hat (bereits sein Vater war in Syrien in dieser Branche tätig).

"Ich gebe nicht auf"

"Ich glaube zwar, dass der IS inzwischen alle teuren Geräte, die wir von Deutschland über die Türkei nach Kobane gebracht haben, gestohlen hat. Aber sobald es die Kriegslage erlaubt, möchte ich selbst wieder hinfahren und schauen, wie wir einen Neustart schaffen können", sagt Afandi, dessen Lebenstraum es immer gewesen sei, mit der ganzen Familie für immer nach Kobane zu gehen, um den Menschen dort als Arzt zu helfen. Noch lebe der Traum, sagt der Mann, "ich gebe nicht auf. Ich bin ein Kämpfer."

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