Syrien: NGOs werfen UNO "völliges Versagen" vor

Ein Junge in der Stadt Deir al-Asafir nahe Damaskus - die Gebäude wurden durch die Luftwaffe Assads zerstört.
"Ignoriert oder untergraben": 21 Hilfsorganisationen kritisieren die UN-Resolutionen als wirkungslos.

Failing Syria" - Versagen in Syrien: Diesen bezeichnenden Titel haben 21 Hilfsorganisationen ihrem jüngsten Bericht zur Lage in Syrien gegeben. Auf knapp 30 Seiten listen namhafte NGOs penibel auf, was der UN-Sicherheitsrat in dem seit vier Jahren vom Bürgerkrieg geprägten Land falsch gemacht hat: "Das vergangene Jahr war das dunkelste seit Ausbruch dieses fürchterlichen Krieges", kritisiert Kathrin Wieland, Sprecherin von Save the Children, einer der Organisationen, die sich neben Oxfam, World Vision, Pax Christi International und anderen an der Recherche beteiligten.

Ihr größter Vorwurf lautet schlicht Tatenlosigkeit. Keine der drei erlassenen Resolutionen der UN-Vollversammlung hätte etwas bewirkt - der Sicherheitsrat habe sie nicht umgesetzt habe, so die NGOs. "Ignoriert oder untergraben" hätte das mächtige Gremium die Anweisungen, Hilfsleistungen aufzustocken und auf diplomatischem Wege alles zu versuchen, um dem Konflikt ein Ende zu bereiten. "Ohne Einsatz der jeweiligen Regierungen bleiben die Resolutionen nur Worte auf Papier", heißt es in Richtung der "Permanent 5". Neben den USA, Frankreich, China, Großbritannien ist damit vor allem Russland gemeint, ist der Kreml doch nach wie vor ein offen Verbündeter Bashar al-Assads.

Traurige Statistik

Fakten belegen das traurige Zeugnis. Waren es Ende 2013 noch 4,3 Millionen Kinder, die dringend humanitäre Hilfe benötigt hätten, ist ihre Zahl nur ein Jahr später auf 5,6 Millionen angewachsen. Auch die Zahl der Toten wächst und wächst. Insgesamt 76.000 Menschen sind im Vorjahr in Syrien ums Leben gekommen - das sind mehr als ein Drittel jener 220.000, die seit Ausbruch des Kriegs vor vier Jahren ihr Leben lassen mussten. Knapp fünf Millionen Menschen leben zudem in Regionen, die für die Hilfsorganisationen teils oder völlig unerreichbar sind – was bedeutet, dass im Vorjahr noch weniger Hilfsgüter verteilt werden konnten als 2013. Schuld daran, so der Bericht, ist auch die chronische Unterfinanzierung der Hilfsinitiative.

Dass neben der UNO der Machthaber in Damaskus im Zentrum der Kritik steht, ist unbestritten - auch wenn Assad namentlich im Bericht nicht erwähnt wird. Als höchst problematisch wird auch die Rolle des "Islamischen Staats", der ja ganze Teile des umkämpften Landes in seiner Gewalt hat, eingeschätzt: "Der IS verweigert jede Form von politischer Verhandlung – und zwar kategorisch", so Ekkehard Forberg von World Vision gegenüber der Deutschen Welle. Die größte Gefahr für die syrische Bevölkerung sei deshalb, "dass der Krieg einfach weitergeht".

Den Bericht im englischen Volltext können Sie hier nachlesen.

Auch ein anderer, von UN-Teilorganisationen mitfinanzierter Bericht bestätigt die dramatischen Auswirkungen des Krieges in Syrien. Die Studie "Syria: Alienation and Violence, Impact of the Syria Crisis Report", die vom Syrian Centre for Policy Research (SCPR) erstellt wurde, zeigt deutlich, wie weit das Land in seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zurückgeworfen wurde. So ist die durchschnittliche Lebenserwartung binnen fünf Jahren um mehr als 20 Jahre gesunken: 2010 betrug sie 79,5 Jahre, heute liegt sie bei 55,7.

Die syrische Wirtschaft liegt zudem völlig brach: Die Arbeitslosenrate liegt bei 58 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt ist seit Beginn des Konflikts um mehr als 202 Milliarden Dollar geschrumpft. Vier von fünf Menschen leben unter der Armutsgrenze.

März 2011: Eine Demonstration in der Hauptstadt Damaskus setzt eine Protestwelle gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad in Gang. Auch im südlichen Daraa gehen Regierungsgegner auf die Straße. Die Proteste werden blutig niedergeschlagen, Hunderte sterben.

Oktober 2011: Russland und China verhindern eine UNO-Resolution zur Verurteilung des Assad-Regimes und blockieren in den folgenden Monaten weitere Resolutionen. Tausende kamen bereits ums Leben.

Juni 2012: Die UNO-Vetomächte und mehrere Nahost-Staaten einigen sich auf einen Fahrplan für einen Übergangsprozess in Syrien. Die geplante Übergangsregierung wird nicht gebildet, der Bürgerkrieg geht weiter.

August 2013: Mehr als 1.400 Menschen sterben durch Chemiewaffen. Die USA machen das Regime verantwortlich, Assad weist den Vorwurf zurück.

September 2013: Eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats fordert Damaskus zur Vernichtung seiner Chemiewaffen auf. Kurz darauf tritt Syrien der internationalen Chemiewaffen-Konvention bei und beginnt mit der Zerstörung seiner Produktionsstätten.

Jänner/Februar 2014: Friedensverhandlungen der Kriegsgegner in der Schweiz bleiben ohne Ergebnis.

Juni 2014: Bei der Präsidentenwahl wird Assad im Amt bestätigt.

September 2014: Die USA und arabische Verbündete bombardieren erstmals Stellungen der jihadistischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) im Nordosten Syriens.

Jänner 2015: Nach monatelangen Gefechten mit IS-Kämpfern haben kurdische Kämpfer die nordsyrische Stadt Kobane befreit.

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