Armee stürmte Gasfeld: Alle Geiseln und Terroristen tot

Die algerische Armee startete einen "letzten Angriff" auf die BP-Gasanlage: 55 Menschen kommen dabei ums Leben.

Die algerische Armee hat am Samstag einen "letzten Angriff" gestartet und die Geiselnahme in einer BP-Gasanlage damit beendet. Nach vorläufigen Regierungsangaben sind dabei insgesamt 23 Geiseln getötet worden. Auch 32 Entführer seien tot. Den algerischen Sicherheitskräften sei es allerdings gelungen, 685 algerische Angestellte der Anlage zu befreien sowie 107 Ausländer, berichtet das Innenministerium in Algier.

Die Zeitung El Watan sowie mehrere Nachrichtenagenturen berichten, dass die Armee alle verbliebenen Geiseln tot aufgefunden habe. Offenbar seien die Ausländer zuvor von den Geiselnehmern hingerichtet worden. Der Sturmangriff habe dem Drama ein Ende gesetzt und "einen weiteren Verlust an Menschenleben" zur Folge gehabt, sagte der britische Verteidigungsminister Philip Hammond bei einer Pressekonferenz mit seinem US-Kollegen Leon Panetta. Dass es Todesopfer gegeben habe, sei "entsetzlich und unannehmbar", liege aber in der "alleinigen Verantwortung der Terroristen".

Bei dem Einsatz sollen die Soldaten alle elf verbliebenen Terroristen getötet haben. Laut El Watan hätten die Entführer am Samstagmorgen begonnen, ihre Geiseln hinzurichten. Daraufhin habe sich die Armee zum Sturm auf die Anlage entschlossen. Für die sieben Ausländer - drei Belgier, zwei US-Amerikaner, ein Brite und ein Japaner - sei jedoch jede Hilfe zu spät gekommen.

"Elf Terroristen sind getötet worden und die ausländischen Geiseln sind umgekommen", sagte ein Mitarbeiter der Sicherheitskräfte. "Wir glauben, dass sie aus Rache umgebracht worden sind." Insgesamt seien bei der Geiselnahme 25 bis 27 Geiseln gestorben. Mehrere ausländische Regierungen hatten in den vergangenen Tagen an die Regierung in Algier appelliert, dem Schutz der Geiseln höchste Priorität einzuräumen.

Gelände vermint

Die algerische Nachrichtenagentur APS sprach vom "letzten Angriff" auf die Geiselnehmer in der Erdgasanlage in der südlichen Sahara. Das Gelände sei von den Geiselnehmern vermint worden, teilte das algerische Öl- und Gasunternehmen Sonatrach mit. Soldaten seien dabei, die Sprengsätze zu entschärfen.

Zuvor hatte es geheißen, insgesamt 16 weitere ausländische Geiseln hätten die Freiheit nach der Gefangenschaft auf dem Gasfeld wiedererlangt. Unter ihnen seien zwei Deutsche, zwei US-Amerikaner und ein Portugiese, sagte am Samstag ein Informant, der mit den Vorgängen vertraut ist. Die Nationalität der übrigen sei noch nicht bekannt. Die Angaben sind noch unbestätigt.

Österreicher wohlauf

Das österreichische Entführungsopfer konnte befreit werden und ist auf dem Weg nachhause. Dem 36-jährigen Mann aus Zwettl, der sich während der Geiselnahme versteckt hatte, gehe es soweit gut. Er war für den britischen Öl-Multi BP in Algerien tätig.

Internationale Öl- und Gasfirmen in Algerien reagieren nach Darstellung der Deutsch-Algerischen Industrie- und Handelskammer besonnen auf die Geiselnahme. Außer bei BP habe er nirgendwo davon gehört, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter abzögen, sagte der Geschäftsführer der Organisation in Algier, Christoph Partsch, am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Die Öl- und Gasfirmen überprüften lediglich ihre Sicherheitsvorkehrungen. "Zu mehr besteht meiner Meinung nach auch kein Anlass."

Islamisten nahmen hunderte Geiseln

Die algerische Armee hatte am Donnerstag in der Gasanlage bei Ain Amenas nahe der libyschen Grenze, rund 1300 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Algier, eine erste große Befreiungsaktion gestartet, nachdem die Islamisten dort am Mittwoch hunderte Geiseln genommen hatten.

Die Islamisten forderten unter anderem ein Ende des französischen Militäreinsatzes gegen islamistische Milizen im Norden Malis. Der mauretanischen Nachrichtenagentur ANI vom Freitag zufolge hatten die Islamisten zuletzt noch drei Belgier, zwei US-Bürger, einen Japaner und einen Briten in ihrer Gewalt.

Sein Spitzname lautet „Mr. Marlboro“ – nicht weil er etwa Kettenraucher wäre, sondern weil Mochtar Belmochtar, eine Zentralfigur der islamistischen Terroristen in der Sahelzone, das Geld für seinen Dschihad („Heiligen Krieg“) mit Zigaretten-, aber auch mit Drogen- und Waffenschmuggel ergaunerte. Und mit Lösegeld-Einnahmen nach Entführungen von Ausländern aus dem Westen.

Mit 19 im Terrorcamp

1972 im Osten Algeriens geboren, entwickelte Belmochtar schon als Schulkind Sympathien für radikales Gedankengut. Mit 19 ging er nach Afghanistan, wurde in Terrorcamps ausgebildet und kämpfte als „Gotteskrieger“ am Hindukusch. Dabei verlor er ein Auge, die Presse in seiner Heimat nennt ihn bloß den „Einäugigen“.

Als der Fanatiker 1993 in seine Heimat zurückkehrte, versank Algerien gerade im Kampf zwischen Militär und den Islamisten. Er schloss sich der radikalen „Bewaffneten Islamischen Armee“ (GIA) an, wechselte aber bald zu einer noch weit extremistischeren Gruppe, die später in der „Al Kaida des Islamischen Maghreb“ (AKIM) aufging. Dort befehligte Belmochtar die gefürchtete „Brigade der Vermummten“.

Das Verhältnis zwischen dem „Einäugigen“ und der AKIM war aber stets spannungsgeladen, im Dezember des Vorjahres kam es zum Bruch – nicht zuletzt wegen Streitigkeiten um die Einnahmen aus dem Schmuggel: Belmochtar, der auch enge Bande zu Tuareg-Stämmen geknüpft hatte, sagte sich von AKIM los und formierte eine neue Truppe. Der Name: „Das Bataillon, das mit Blut unterschreibt“. Die bärtigen Männer dieser Terrorgruppe hatten am Mittwoch Dutzende Geiseln auf einer Gasförderanlage an der algerisch-libyschen Grenze genommen.

Aufenthalt in Mali

Berichten zufolge hatte sich „Mr. Marlboro“, der mit vier Frauen verheiratet sein soll, zuletzt auch in Mali aufgehalten. Nachdem Islamisten den Norden des Landes im Vorjahr überrannt hatten, die jetzt von Frankreichs Armee bekämpft werden, soll er in der Stadt Gao am Aufbau einer brutalen Scharia-Verwaltung mitgewirkt haben. Im Vormonat hatte seine Einheit, die aus mehreren Hundert Kämpfern bestehen soll, vor jedem Versuch gewarnt, die Islamisten aus Nordmali vertreiben zu wollen.

Die Waffen der Dschihadisten stammen aus libyschen Arsenalen, an denen sie sich nach dem Sturz von Machthaber Gaddafi bedienten. Sie sollen über Panzerabwehrgeschoße und Boden-Luft-Raketen verfügen. (von Walter Friedl)

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