Stermann: "Merkel machte CDU zur Einheitspartei"

Der ORF-Star und gebürtige Deutsche Dirk Stermann (48) lebt in Österreich, aber wählt in Deutschland.
Wenn die Österreicher einen Deutschen lieben, dann ist es Kabarettist Dirk Stermann. Das Interview über Angela Merkel und die deutschen Wahlen. Plus: Wahlumfrage bei sechs Deutschen, die in Österreich leben.

KURIER: Herr Stermann, heute wählt Deutschland. Es steht außer Frage, dass Angela Merkel gewinnen wird. Offen ist nur, welche Koalition sich ausgeht. Was würden Sie bevorzugen, eine große Koalition oder wieder Schwarz-Gelb?

Dirk Stermann: Ich komme aus einer Familie, wo die FDP, das Hassobjekt schlechthin ist, weil sie immer so eine wankelmütige Beschaffungspartei war. Deswegen bin ich nicht traurig, wenn die FDP nicht in den Bundestag kommt, auch wenn eine große Koalition ziemlich langweilig ist. Aber der ganze Wahlkampf in Deutschland war öde.

War der Wahlkampf in Österreich für Sie spannender?

Der Wahlkampf hier war genauso öde. Ich glaube, beiden Ländern geht es wirtschaftlich zu gut, als dass die Bevölkerung das Gefühl hat, dass sich etwas verändern muss. Angela Merkel hat es geschafft die „Mutti der Deutschen“ zu werden. Sie hat viel von der Sozialdemokratie übernommen und hat aus der CDU eine Art Einheitspartei gemacht. Das ist sie so aus der DDR gewohnt, dass es eine Einheitspartei gibt, die alles vertritt.

Ist das der Grund, warum SPD chancenlos gegen Merkel ist?

Im Moment gibt es keinen Grund, die SPD zu wählen, wobei ich Peer Steinbrück für einen unglaublich intelligenten Mann halte. Seine Rhetorik ist unfassbar, und ich nehme an, dass er Minister in der Großen Koalition wird, auch wenn er es jetzt noch ablehnt.

Dass Steinbrück als Sozialdemokrat für seine Vorträge Millionengagen kassiert, stört Sie nicht?

Ich hasse es, dass man Politiker immer so moralisch behandelt, denn ich finde es nicht schlimm, dass man für Vorträge Geld kassiert, solange es kein Vortrag für die NPD ist. Außerdem wohne ich in einem Land, wo die meisten Politiker in Vorstandsetagen landen. Ich bin schon froh, wenn einer nicht bei Novomatic arbeitet, alles drunter ist fast schon moralisch einwandfrei. Viel entsetzlicher finde ich, wenn jemand wie Gio Hahn (Anm. d. Red.: EU-Kommissar und früherer ÖVP-Minister) bei Novomatic arbeitete und über das Glückspielgesetz im Parlament mit bestimmte.

Wie hat es Merkel geschafft, abgesehen davon, dass der deutsche Wirtschaftsmotor wie geschmiert läuft, die mächtigste Stimme in Europa zu werden?

Weil sie Pragmatikerin ist und verbindlich wirkt. Ich war noch nie meinem Leben ein Konservativer, aber selbst ich war froh, wenn Angela Merkel zwischen den beiden Macho-Typen Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy stand. Merkel ist Naturwissenschaftlerin und eine Zahlenfrau und ich mag Bürokraten als Politiker lieber als Charismatiker. Mir machen Politiker mit großem Selbstbewusstsein und zu viel Charisma Angst.

Unter welchem Titel wird die Kanzlerzeit der Angela Merkel einmal laufen?

Ich glaube, wir unterschätzen, wie wild die letzten Jahre wirklich waren. Im Nachhinein, wird man sagen, dass es einige wenige waren, die die Nerven behalten haben und eine davon war Angela Merkel. Wir können froh sein, dass sie dabei war.

Wie beurteilen Sie die EU-Politik der Angela Merkel? Deutsche Kritiker wie Thilo Sarrazin meinen, sie lässt sich vom Süden über den Tisch ziehen ….

Das würden die Griechen nicht behaupten, in Griechenland hat Merkel ein anderes Image. Ich glaube, dass beide Bilder falsch sind. Merkel ist pragmatisch und sehr auf den deutschen Vorteil bedacht. Die Deutschen und auch die Österreicher leben wie die Made im Speck. Deswegen finde ich auch die EU–Politik von Heinz-Christian Strache total schwachsinnig. Man kann ja dafür sein, dass ein Land aus der EU aussteigt, aber dann muss man sich bewusst sein, dass man eher Richtung Armut geht. Strache braucht nur ins Burgenland schauen, das ist ein EU-Gewinner-Land. Da wurde soviel Geld von der EU hineingesteckt, dass jetzt jedes Kaff ein eigenes Europazentrum hat.

Würden Sie Merkel in „Willkommen Österreich“ einladen?

Ich will gar keine Politiker in die Sendung einladen, denn ich möchte nicht, dass alles eine Suppe ist. Egal, ob du Howard Carpendale oder der Bundeskanzler bist. Auch unsere Sendung ist nicht ungefährlich, weil wir uns über alles lustig machen. Ich finde Demokratie macht Sinn, aber wenn wir alles nur mehr durch den Kakao ziehen, dann sitzen irgendwann nur mehr Frank Stronachs im Parlament.

Apropos Stronach, was halten Sie von seinem Polit-Engagement?

Ich war zufällig in Graz, als Stronach eine Wahlkampfveranstaltung abhielt. Aber selbst seine glühendsten Anhänger waren nach zwei Stunden von seinen Altherrenwitzen ohne Substanz ermattet. Es ist unglaublich, wie jemand zwei Stunden lang immer die gleichen Stehsätze sagen kann: „Die Funktionäre sind böse, und der ORF ist böse.“ Und selbst für simple Sätze wie „Ich erinnere mich noch, ich war oft am Würstelstand am Grazer Hauptplatz“ , brauchte Stronach gefühlte vier Minuten, um ihn auszusprechen. Für mich ist der Mann senil.

Wären Sie geschockt, wenn Stronach an die 10 Prozent bekommt?

Ich wäre schon geschockt, wenn er schon über drei Prozent bekommt. Ich verstehe nicht, warum die Menschen nicht sehen, dass er nur Quatsch redet. Ich finde es so irre, dass er jedem das Gefühl vermittelt, dass er ihn kaufen könnte, so wie Marko Arnautovic, aber in Echt. Arnautovic sagt es nur, aber Stronach macht es wirklich. Bei der Wahlveranstaltung in Graz traten zwei Musiker auf, die meinten, wenn sie Stronach reden hören, lacht ihr Herz. Und da denkst du dir: „Was bist denn du für eine Hur?“

Jede Stimme für Stronach ist für Sie eine verlorene Stimme ...

Es ist schon bizarr, wenn man Strache seine Stimme gibt, aber für Stronach zu stimmen, ist nur mehr bizarr.

„Kulturaffin sind beide Spitzenkandidaten der Großparteien. Wenn die beste sozialdemokratische Kanzlerin in den letzten Jahren Frau Merkel war und der beste konservative Reformer Herr Steinbrück wäre, wünsche ich mir eine Regierung mit den beiden, in der die Machtverhältnisse möglichst ausgewogen sind, also eine große Koalition. Seitdem die FDP im Ausland von einem armseligen Königspudel vertreten wird, wünsche ich sie mir komplett vom politischen Speisezettel. Und Dank an Frau Merkel für den Atomausstieg, den andere immer versprochen, aber immer zuletzt wieder abgeblasen haben.“

„Der Staat mischt sich mittlerweile viel zu tief in die Angelegenheiten der Menschen ein. Er vertritt sie nicht mehr, er kontrolliert sie. Eine erschreckende Entwicklung. Merkel versuchte in der NSA-Affäre aalglatt zu agieren und so wenig wie möglich zu kommunizieren, damit sie nicht angegriffen werden kann. Irgendwann wird es den Leuten genug sein. Der Wahlkampf wurde in Österreich sehr flüchtig behandelt. Über die aktuellen Inhalte der Parteien wurde nicht berichtet, nur über Entscheidungen. Ich habe mich komplett auf deutsche Quellen bezogen. Gewählt habe ich die Grünen, weil ich mich mit ihren Inhalten identifiziere.“

„Jeder sollte wählen gehen. Ich fand im deutschen Wahlkampf Angela Merkel souverän. Besonders gefällt mir, dass sie eine ostdeutsche Frau ist – genau wie ich. Sie geht auch bei den Männern in der Politik – vor allem in der EU – nicht unter. Die Entscheidung der Regierung, doch die Energiewende stärker voranzutreiben, finde ich gut. Ein anderes wichtiges Thema im Wahlkampf war sicher Griechenland und die Eurokrise. Ich habe mich für meine Entscheidung vor allem über das Internet und mithilfe des Wahl-o-mats informiert. Das ist eine Homepage, die man mit der Wahlkabine in Österreich vergleichen kann.“

„Die Großparteien kann man aus verschiedenen Gründen nicht wählen. Die Kanzlerin ist für mich eine Eiserne Jungfrau der Politik. Wer in ihrem Umfeld nicht aufpasst, wird schnell absorbiert. Alice Schwarzer hat gejubelt, als Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt wurde. Meiner Meinung nach ist das ein verkürztes Verständnis von Feminismus. Nur weil sie eine Frau ist, heißt es nicht, dass sie eine bessere Frauenpolitik macht. In den acht Jahren seitdem Merkel Kanzlerin ist, hat sich für die Frauen in Deutschland kaum oder nichts geändert. Auf der Bundesebene habe ich Die Linke gewählt.“

„Ich lebe nicht in Deutschland, ich muss das dort nicht ausbaden. Bei den letzten Gemeinderatswahlen hier in Österreich habe ich mich für die Grünen entschieden und wahrscheinlich würde ich in Deutschland auch dieser Partei meine Stimme geben. Die grundsätzliche Linie der Partei – und wie die Mitglieder diese vertreten – ist mir nämlich wichtig. Die vielen Ideen der Grünen werden immer wieder von anderen Parteien aufgegriffen, wie zum Beispiel der Atomausstieg von Frau Merkel. Über den Wahlkampf in Deutschland habe ich mich über die österreichischen Medien und das deutsche Fernsehen informiert.“

„Frau Merkel führte einen Personenwahlkampf, um inhaltlich möglichst flexibel zu bleiben. Herr Steinbrück war inhaltlich konkreter, er schien aber unter dem Druck des Wahlkampfes zu eigenwilligen Verhaltensweisen zu neigen. Trotzdem kämpfte er gewaltig und zeigte Angriffslust. Insgesamt vermisse ich aber bei beiden die Offenheit für neue koalitionäre Wege, die dann auch wirkliche Akzente setzen. Schwarz-Grün zum Beispiel wäre ein stabiler und mutiger Versuch, der den Herausforderungen unserer Zeit und der Denkhaltung vieler entspricht. Hier sind alle Parteien schon seit Jahrzehnten leider festgefahren.“

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