Berlusconi verurteilt, aber noch kein Amtsverbot

Italiens Ex-Premier muss nicht in Haft, obwohl die vierjährige Haftstrafe vom obersten Gericht in Rom bestätigt wurde.

Die Schicksalsstunde für Ex-Premier Silvio Berlusconi schlug Donnerstagabend um 19.40 Uhr. Nach tagelangem Warten hat das römische Kassationsgericht endlich seine Entscheidung bekannt gegeben: Berlusconi wurde wegen Steuerbetrugs im Mediaset-Prozess rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Kassationsgericht bestätigte die Strafe, die das Mailänder Gericht in zwei Instanzen gefällt hatte. Die Richter beschlossen jedoch die Annullierung des Verbots für den Medienzaren, fünf Jahre lang öffentliche Ämter zu bekleiden. Über dieses Verbot wird sich erneut ein Mailänder Gericht aussprechen müssen.

Das Urteil des Kassationsgerichts ist widersprüchlich. Berlusconis Fans freuen sich über den Zeitgewinn, sodass ihr „Leader“ vorerst nicht aus der Politik verbannt wird. Die Gegner des Ex-Premiers jubeln hingegen über die erste rechtskräftige Verurteilung.

Alter schützt

Ins Gefängnis muss Berlusconi aufgrund seines Alters ohnehin nicht. Die vierjährige Haftstrafe wird wegen einer allgemeinen Amnestie auf ein Jahr verkürzt. Ihm könnte höchstens ein Jahr Hausarrest in einer seiner Luxusvillen drohen.

Berlusconi verschanzte sich seit Tagen in seiner römischen Residenz, im Palazzo Grazioli. Vor dem Gebäude wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, die Zufahrtsstraße abgesperrt.

Die „Armee für Silvio“ („Esercito di Silvio“) versammelte sich davor zu einer Solidaritätskundgebung. „Mach’ Dir keine Sorgen Präsident, wird halten zu dir“, sagte Organisator Simone Furlan.

Stunden vor der Urteilsverkündigung eilten Berlusconis Kinder Piersilvio und Marina nach Rom. Auch sein enger Vertrauter Gianni Letta leistete Gesellschaft. Seine Verlobte Francesca Pascale wurde bei einem Spaziergang mit ihrem Hündchen Dudù gesehen.

Verschwiegen

Berlusconi hatte sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit – angeblich auf Anraten seines Anwalts Franco Coppi – Schweigepflicht verordnet. Kein einziger Kommentar drang in den 72 Stunden vor der Entscheidung des Kassationsgerichts nach außen.

Einzig Berlusconis Vertraute, die Parlamentarierin Daniela Santanché, berichtete, dass der 76-jährige Ex-Premier diese lange Wartezeit mit Sorge erlebte. „Eine Verurteilung Berlusconis wäre ein schwerer Angriff auf die italienische Demokratie“, erklärte Santanché schon vorab.

Vor dem Kassationsgericht lieferten sich Berlusconi-Gegner und Anhänger in der glühenden Augusthitze Schreiduelle. „Lest endlich die Verfassung, dann wisst ihr, dass er schuldig ist“, rief Gianfranco Mascia und hielt ein schmales rotes Buch mit der italienischen Verfassung hoch. „Ich bin nicht erst seit drei Tagen auf der Piazza Cavour, meine Proteste dauern schon zwanzig Jahre lang an“, stieß Aktivist Mascia mit Prosecco auf das Urteil an.

Enttäuschung

„Das ist die finale Szene von Nanni Morettis Film der Kaiman. Es fehlen nur noch Molotow-Bomben“, kommentierte ein Demonstrant.

Ein ehemaliger Berlusconi-Wähler verteilte vor dem Gericht ehemalige Wahlgeschenke aus dem Jahr 2001: Ein Kartenspiel mit Slogans, die eine rosarote Zukunft voll Wirtschaftswachstum, Steuererleichterungen und Jobs versprachen.

„Ich war ein ehemaliger Parteifunktionär, und Berlusconi hat keines seiner Versprechen eingelöst“, so der enttäuschte ehemalige Fan. Von wegen besserer Zukunft, seine beiden Söhne seien arbeitslos. „Er hat nur für seine Interessen gearbeitet“, ärgerte sich der ehemalige Forza Italia-Wähler weiter.

Haft wünschte er Berlusconi zwar keine – schließlich hätte er ja niemand umgebracht. Aber ein Amtsverbot wäre dringend notwendig gewesen, sagt der wütende Mann. „Damit diese unglückliche Ära endlich zu Ende geht.“

Berlusconi: "Opfer einer Justizverfolgung"

Silvio Berlusconi hat sich nach dem Urteil aber doch in einer von den italienischen TV-Kanälen gesendeten Videobotschaft geäußert und eine Attacke gegen die Justizbehörden gerichtet. „Ich bin Opfer einer Justizverfolgung ohne gleichen weltweit“, betonte der erschöpft wirkende Berlusconi, der mehrmals gegen die Tränen kämpfen musste. „So belohnt Italien die Opfer und das Engagement seiner besten Bürger“, protestierte Berlusconi. Er kündigte die Neugründung seiner Mitte-rechts-Partei „Volk der Freiheit“ an. Er werde die Gruppierung wieder „Forza Italia“ nennen, den Namen der politischen Kraft, mit der er 1993 in die Politik eingestiegen war.

PARLAMENTARIERBESTECHUNG Im kommenden Oktober entscheidet ein Untersuchungsrichter in Neapel, ob gegen Berlusconi ein Prozess wegen der Bestechung des Ex-Senators und Mitte-Links-Politikers Sergio De Gregorio im Jahr 2006 beginnen soll. Die Staatsanwaltschaft wirft Berlusconi vor, De Gregorio drei Millionen Euro für seinen Seitenwechsel in das damals oppositionelle Lager Berlusconis angeboten zu haben, davon zwei Millionen Euro in bar. Die Parlamentswahlen 2006 hatte die Mitte-Links-Koalition unter Ex-Regierungschef Romano Prodi, der auch De Gregorio angehörte, knapp gewonnen. Wenige Monate später schloss sich der Senator jedoch der Opposition Berlusconis an, was dazu beitrug, dass die Regierung 2008 zusammenbrach. Aus den darauffolgenden Wahlen ging Berlusconi klar als Sieger hervor.

RUBY-PROZESS Nachdem Berlusconi am 24. Juni erstinstanzlich wegen Sex mit der minderjährigen marokkanischen Nachtklubtänzerin Karima el-Marough alias „Ruby Herzensbrecherin“ und Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, hat der Mailänder Großunternehmer Rekurs eingereicht. Ein Berufungsverfahren ist geplant, ein Gerichtstermin steht allerdings noch nicht fest.

RUBY-PROZESS II Drei Vertrauensleute Berlusconis, die am 19. Juli wegen Beihilfe zur Prostitution in Zusammenhang mit dem Fall Ruby zu Haftstrafen zwischen fünf und sieben Jahren Haft verurteilt worden sind, wollen in Berufung gehen. Vor Gericht müssen sich der Ex-Chefredakteur der Tagesschau TG 4, Emilio Fede, der frühere Showgirl-Manager Lele Mora und die Ex-Regionalpolitikerin Nicole Minetti verantworten. Sie werden beschuldigt, Callgirls, darunter Ruby alias Karima el-Mahroug, für Partys in Berlusconis Villa bei Mailand vermittelt zu haben. Wann der Berufungsprozess beginnt, steht noch nicht fest.

MEDIASET-PROZESS Der Kassationsgerichtshof in Rom hat im Steuerprozess gegen Berlusconi am Donnerstag seine Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe bestätigt, das zuvor verhängte fünfjährige Verbot zur Ausübung öffentlicher Ämter wies das Gericht allerdings zur erneuten Verhandlung nach Mailand zurück. Das Verbot soll überprüft werden, so dass der 76-jährige Medienmilliardär bis auf Weiteres Senator und Chef der rechtskonservativen Partei „Volk der Freiheit“ (PdL) bleiben kann. Selbst die Staatsanwälte hatten vor dem Kassationsgericht eine Reduzierung des Ämterverbots auf drei Jahren gefordert.

Kommentare