Streit um automatische Ausweisung krimineller Ausländer

Christoph Blocher
Abstimmung am 28. Februar. Derzeit liegen Kritiker und Befürworter gleichauf.

Selten hat eine Volksinitiative die Schweiz so gespalten, wie die Vorlage zur automatischen Ausweisung krimineller Ausländer, die am 28. Februar zur Abstimmung gelangt. Lanciert wurde die sogenannte Durchsetzungsinitiative 2012 von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Gegner und Befürworter derzeit gleichauf

Zahlreiche Universitätsprofessoren, Politiker, darunter frühere Minister, Journalisten und Hilfsorganisationen, machen seit Wochen mobil gegen die Vorlage.

Sympathisanten finden sich vor allem in den Reihen anderer bürgerlicher Parteien wie den Freisinnigen (FDP) trotz der Nein-Parole der Parteispitze. Gaben im vergangenen November noch rund zwei Drittel der Befragten an, zuzustimmen, so zeichnet sich inzwischen in den Meinungsumfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Befürwortern und Gegnern ab. 51 Prozent sprachen sich in einer Umfrage des Schweizer Radios, SRG, Ende Jänner dafür aus, 42 Prozent dagegen, sieben Prozent waren noch unentschlossen.

Die Wahlkampagne für ein Ja lässt sich die SVP, die das Ausländerthema seit den neunziger Jahren erfolgreich "bewirtschaftet", einiges kosten. Im Jänner erhielt jeder Schweizer Haushalt ein Extrablatt der Partei, auf dessen Frontseite auch das bereits für die Ausschaffungsinitiative im Jahr 2010 verwendete Plakat herhalten musste: Ein weißes (schweizerisches) Schaf, das ein (ausländisches) schwarzes Schaf mit einem Tritt der Hinterfüße über die Grenze befördert. "Endlich Sicherheit schaffen", heißt die Schlagzeile.

Mehr straffällige Ausländer

Laut SVP wurden in den vergangenen 30 Jahren wesentlich mehr Ausländer, nämlich 57.304 Personen gegenüber "nur" 42.289 Inländern für Vergehen oder Verbrechen verurteilt. Zu den Hauptgeldgebern der Kampagne dürfte ihr wortgewaltiger Volkstribun, der Unternehmer und Milliardär Christoph Blocher, gehören.

Auf der langen Liste von Vergehen und Verbrechen, die zur einer Ausweisung führen sollen, stehen nicht nur Mord und Totschlag oder Raubüberfälle, die heute schon mit Landesverweisung geahndet werden können. Neu dazu sollen sexuelle Nötigung, Förderung der Prostitution oder Drogenhandel, sowie Einbruchsdiebstahl kommen. Der Deliktskatalog beinhaltet aber auch zahlreiche Bagatellvergehen wie etwa wiederholten Ladendiebstahl, Schlägereien oder leichten Sozialhilfebetrug. So würde ein Sozialhilfebezieher, der eine kleine Nebeneinkunft nicht deklariert hat, die Ausweisung riskieren.

Bedenklicher Automatismus

Was auf den ersten Blick nun einfach und einleuchtend klingt, stellt sich laut den Kritikern beim zweiten Blick als Versuch heraus, den Rechtsstaat auszuhebeln. Die Gegner halten vor allem den Automatismus für verfassungsrechtlich bedenklich.

Der Richter soll in solchen Fällen nicht mehr die Verhältnismäßigkeit der Strafe beurteilen dürfen. Gerade das Verhältnismäßigkeitsprinzip und damit verbunden die Einzelfallprüfung gehören aber zu den Grundpfeilern eines demokratischen Rechtsstaats und finden sich auch in den bilateralen Verträgen der Schweiz mit der EU und der EMRK wieder, wie die Gegner betonen.

Rund 185.000 "Secondos"

Ein drastischer Fall wäre etwa, wenn ein sogenannter "Secondo", dessen Eltern in die Schweiz eingewandert sind und der dort aufgewachsen ist, meist die Sprache seines Ursprungslandes gar nicht mehr spricht, wegen kleinerer Vergehen das Land verlassen müsste. Für solche Fälle ist im bisher gültigen Recht eine Härtefallklausel vorgesehen, die nach Ansicht der Gegner der Initiative nicht ausgehebelt werden darf.

Der Richter solle nicht zum Handlanger des Souveräns degradiert werden und Gesetze ohne jeden eigenen Entscheidungsspielraum anwenden müssen. Derzeit leben rund 185.000 Secondos, vor allem aus Italien und dem Balkan in der Schweiz, die keinen Schweizer Pass beantragt haben und damit unter die geplante Gesetzgebung fallen würden.

Die Initiative birgt aber auch noch andere Tücken. Sie stellt die klassische Gewaltenteilung zwischen Volk, Parlament und Regierung infrage, die sich die Zuständigkeiten bei der Rechtsetzung teilen. Die Gerichte sollen entmachtet werden. Denn auf welche Vergehen künftig die automatische Ausschaffung stehen soll,

Betroffene werden Ausschaffung verzögern

Kriminelle Ausländer abzuschieben, ist leichter gesagt als getan. Derzeit ist die Wegweisung von fast 4800 Asylwerbern nach Angaben des Staatssekretariats für Migration hängig. In den meisten Fällen müssen die Schweizer Behörden auf gültige Ausweispapiere der Betroffenen warten. Geht die Initiative durch, befürchtet die Staatsanwaltschaft noch längere Verfahren, da die Betroffenen in vielen Fällen wohl bis zur höchsten Instanz, dem Bundesgericht, und notfalls zum Menschengerichtshof in Straßburg gingen, um sich gegen die Ausweisung zu wehren.

Geht es nur um eine weitere Verschärfung des Ausländerrechts, bringt die Initiative wenig Nutzen. Denn bereits 2010 hatte das Schweizer Volk einer SVP-Vorlage zur Ausschaffung zugestimmt. Sie wurde fristgerecht voriges Jahr vom Parlament umgesetzt. Allerdings nicht ganz im Sinne der SVP, die die Härtefallklausel ersatzlos streichen wollte. Die Wiederaufnahme dieser Härtefallklausel ins neue Gesetz, die dem Richter ermöglicht, den Einzelfall zu beurteilen, benutzt die SVP denn auch als Vorwand für die Notwendigkeit der Initiative.

Sie hatte die neue Vorlage bereits 2012 lanciert, ohne das Ergebnis der Umsetzung der ursprünglichen Ausschaffungsvorlage im Parlament abzuwarten, die 2010 von den Schweizer Stimmbürgern angenommen worden war. Gegner wittern denn auch hinter der ganzen SVP-Kampagne die heimliche Strategie, noch weiter zu gehen und letztendlich den Austritt der Schweiz aus der EMRK anzustreben. Auch die Beziehungen zur EU würden damit einer neuen Belastungsprobe ausgesetzt.

Angst vor Austritt aus EMRK?

Der FDP-Abgeordnete Kurt Fluri wies am Dienstag in einer politischen TV-Sendung darauf hin, dass in keinem EU-Land ein Einbruchsdiebstahl gleich wie Mord beurteilt werde. Kriterien für eine Ausweisung seien sowohl bei der EMRK wie in der EU die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit. Auch die bilateralen EU-Verträge mit der Schweiz enthielten einen entsprechenden Passus.

Für die Vermutung, dass die SVP einen Austritt aus der EMRK anstrebt, spricht die nächste Initiative der Partei, die die "Selbstbestimmung" der Schweiz fordert. Auch dieser Vorstoß ordnet sich in die Logik der SVP ein, dass der Souverän, nämlich das Schweizervolk, alles in einem ist: Gesetzgeber, Exekutive und Judikative. Damit dürfe er unabhängig vom Völkerrecht und internationalen Verträgen entscheiden. Einige Erfolge konnte die rechtspopulistische Partei in den vergangenen Jahren unter ihrem militanten Volkstribun Blocher bereits verbuchen.

Zu den von ihr lancierten Volksabstimmungen, die wohl gegen internationales Recht verstoßen, gehören etwa das Minarettverbot und die lebenslängliche Verwahrung sexueller und pädophiler Straftäter. "Jetzt ist fertig mit Spass - es reicht", meinte denn auch die FDP-Abgeordnete ... diese Woche. Und sie hält den Initiatoren vor, dass die Vorlage zahlreiche Delikte aufzählt, nicht darin enthalten ist aber Steuerhinterziehung- und betrug reicher Ausländer. Sie müssen sich keine Sorgen machen, zu den schwarzen Schafen gezählt zu werden.

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