Die Arktis wird zur russischen Festung

Im Wettlauf um Bodenschätze sieht Moskau "zunehmendes Gefahrenpotenzial" und rüstet massiv auf.

Die Schlittenhunde ahnen offenbar, wo die Reise hingeht: Jeder will der erste sein, der die Rampe des schweren Truppentransporters nimmt. Hundeführer haben Mühe, das Knäuel zu bändigen. Sie tragen Spezialkleidung, die angeblich Frösten bis zu 70 Grad standhält. Im Sturmgepäck: Dunkle Brillen und Masken, die das Gesicht vor der Sonne schützen sollen. Bald wird sie ihnen, von Eis und Schnee reflektiert, 24 Stunden am Tag die Haut versengen. Ziel des Transporters ist Alexandra-Land, die westlichste der zu Russland gehörenden Inselgruppe Franz-Josef-Land. Dort, auf 81 Grad nördlicher Breite, soll der weltweit nördlichste Militärflugplatz entstehen.

Mitte April startete der Voraustrupp, der auf der künftigen Baustelle den Schnee räumen soll. Auf der 2500 Meter langen Piste sollen schon im nächsten Jahr die ersten Kampfjets starten und landen. Ein Hochrisiko-Unternehmen. Selbst erfahrene Piloten könnten ihn nur bei günstigem Wetter und mithilfe von Lenkfunkfeuern für eine visuelle Kontrolle der Landebahn ansteuern.

Hauptgegner: USA

Russland, klagen liberale Politiker in kritischen Medien, nehme sich zunehmend als belagerte Festung wahr. Seine Generäle sehen Mütterchen Heimat vor allem an der Nordflanke bedroht. In der Arktis. Im Eismeer, wo riesige Öl- und Gasvorkommen lagern, deren Abbau der Klimawandel zunehmend rentabler macht. Der Kampf der Anrainer um die Schätze in Polnähe spitzt sich daher dramatisch zu. Hauptgegner Russlands auch dort: die USA.

Als Europa Ostern feierte, ging der Vizekommandeur der Truppen der Luft- und Weltraumverteidigung, Generalmajor Kirill Makarow, daher in die Offensive: Russland habe mit der Stationierung von Luftabwehrsystemen des Typs "Panzyr" in der Arktis begonnen. Neueste MiG-31 Abfangjäger würden folgen. Auf der Inselgruppe Nowaja Semlja sollen Radare gebaut werden, die kein Personal brauchen – schließlich war hier einst Kernwaffen-Testgebiet.

Die russische Arktis, so Verteidigungsminister Sergei Schoygu, sei "einem zunehmenden Gefahrenpotenzial ausgesetzt". Er könne sich auch vorstellen, die Region mit Waffen zu verteidigen. Wichtig sei daher der Ausbau militärischer Infrastruktur.

Ausbau? Aufbau wäre zutreffender. Arktis und Subarktis – Gebiete mit ähnlich extremem Klima als die jenseits des nördlichen Polarkreises – machen gut ein Fünftel der russischen Landmasse aus, sind aber kaum erschlossen und extrem dünn besiedelt. Sogar im Süden der Subarktis – in der Teilrepublik Jakutien – sind Dörfer bis zu tausend Kilometer voneinander entfernt. Befestigte Straßen enden im Nichts, so sie existieren. Denn in den kurzen, aber heftigen arktischen Sommern verwandelt sich die oberste Schicht des Dauerfrostbodens in Morast. Pfähle müssen daher sehr tief in die Erde gerammt werden, und das kostet viel Geld. Der Bau einer Polarbahn, mit der Stalin gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die Region erschließen wollte, wurde daher schon nach Vollendung des ersten Teilstücks abgebrochen.

Erst in der Breschnew-Ära nahm das Militär in ausgewählten Abschnitten von der Ödnis Besitz. Nach Ende der Sowjetunion 1991 wurden die meisten Stützpunkte aufgegeben. Erst 2013 nahm die Luftwaffe den Flugplatz Temp auf den Neusibirischen Inseln – eine der unwirtlichsten Gegenden weltweit – wieder in Betrieb. "Diesmal werden wir für immer bleiben", sagte der Staffel-Kapitän gleich nach der Landung auf der von Wind und Wetter arg mitgenommenen Piste vor laufender Kamera des russischen Staatsfernsehens.

Worten folgten bereits Taten. Auch auf anderen Flugplätzen im Eismeer. Und neben der neuen Piste auf der im Westen vorgelagerten Insel soll auf Franz-Josef-Land auch jener Flugplatz wieder in Betrieb genommen werden, wo in Zeiten der Blockkonfrontation sowjetische Langstreckenbomber mit Atomraketen in den unterirdischen Hangars standen, um im Ernstfall Richtung USA zu starten.

Nahkampfübung auf Eis

Auf den Neusibirischen Inseln soll zudem ein Marine-Stützpunkt entstehen. Darüber hinaus sollen neue Radare aufgestellt und die Grenztruppen verstärkt werden. Auch auf der Halbinsel Tschukotka im äußersten Nordosten, das von Alaska nur durch die 80 km breite Beringstraße getrennt ist, sollen die dort bereits stationierten Truppen aufgestockt werden und U-Boote Arktis-Einsätze üben.

Auf der an NATO-Mitglied Norwegen grenzenden Kola-Halbinsel, die weit in die kalte, graue Barentssee hineinragt, übt das Heer derweil den Nahkampf im Eis.

Die Arktis wird zur russischen Festung

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