Russisch-türkische Spannungen belasten Anti-Terror-Kampf

Das abgeschossene russische Militärflugzeug.
Jet wurde offenbar in Syrien abgeschossen. Moskau nennt Erdogan-Regierung "Helfershelfer von Terroristen".

Nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat sich die ohnehin schon gespannte Lage in der Region nochmals verschärft. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die NATO, dessen Mitglied Türkei das Kampfflugzeug abgeschossen hatte, äußerten sich besorgt über eine mögliche Eskalation.

Ein Pilot gerettet

Einen der beiden Piloten betreffend waren die Angaben anfangs widersprüchlich. Am Mittwoch wurde bekannt, dass eine Kommandoeinheit der syrischen Armee den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Jets in Sicherheit gebracht hat. Er sei bei einer Aktion "hinter den Linien der Bewaffneten (Rebellen)" gerettet worden, meldete die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat, am Mittwoch.

Auch der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, sagte dem französischen Radiosender Europe 1: "Den zweiten Piloten hat die syrische Armee herausgeholt."

Laut Al-Mayadeen wurde der Pilot zu einem Militärflughafen in der Nähe der Stadt Latakia gebracht. Der andere Pilot des abgeschossenen Flugzeugs war nach Angaben aus Moskau ums Leben gekommen. Syrische Rebellen verbreiteten dazu im Internet ein Video, das seinen Leichnam zeigen soll. Die Türkei hatte am Dienstag im Grenzgebiet ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen, weil es den türkischen Luftraum verletzt haben soll.

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete zudem neue russische Luftangriffe auf Rebellen nahe der Grenze zur Türkei im Nordwesten Syriens. Dort war das russische Flugzeug abgeschossen worden. Es gebe seit dem Morgen auch heftige Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes, hieß es weiter. In dem Gebiet leben Angehörige der Minderheit der Turkmenen, mit denen sich die Türkei sehr verbunden fühlt.

Erdogan und Obama telefonierten

Das Weiße Haus teilte mit, US-Präsident Barack Obama habe in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan gesagt, dass die Türkei aus Sicht der USA und der NATO das Recht habe, seine Souveränität zu verteidigen. Zugleich stimmten beide Politiker darin überein, dass die Lage nicht eskalieren dürfe. Es müssten Vorkehrungen getroffen werden, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederhole.

Vertreter der NATO-Staaten waren am Dienstag rasch zu einer Sondersitzung zusammengekommen und sicherten dem Bündnispartner Türkei ihre Solidarität zu. Gleichzeitig warnten sie aber auch vor einer weiteren Zuspitzung der Lage. "Ich rufe zu Ruhe und zu Deeskalation auf", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstagabend nach der Sitzung.Russland kritisierte die Haltung der NATO und kündigte den Einsatz zusätzlicher Militärjets an.

Nach Erkenntnissen der NATO dürfte die Darstellung Ankaras zutreffen, wonach das türkische Militär den Bomber vom Typ Suchoi Su-24 nach einer Verletzung des türkischen Flugraums beschoss. Nach US-Einschätzung wurde der russische Kampfjet allerdings innerhalb des syrischen Luftraums getroffen. Die Maschine sei zwar kurzzeitig im türkischen Luftraum gewesen, dort aber nicht getroffen worden, sagte ein Vertreter der US-Regierung, der nicht namentlich genannt werden wollte, zu Reuters. Diese Beurteilung basiere auf Wärmedaten des Jets.

"Helfershelfer von Terroristen"

Moskau betonte, der Flieger habe für die Türkei keine Gefahr dargestellt und sei über syrischem Boden abgeschossen worden, womit sich die türkische Regierung zu "Helfershelfern von Terroristen" gemacht habe. Die türkische Regierung betonte, die Grenzverteidigung sei "sowohl unser internationales Recht als auch unsere nationale Pflicht".

Als Reaktion auf den Vorfall werden alle Luftwaffeneinsätze Russlands gegen die Terrormiliz IS in Syrien ab sofort von eigenen Kampfjets begleitet, wie der Generalstab in Moskau laut des staatlichen Nachrichtenportals "Sputniknews" bekannt gab. Zuvor hätten Bomber keinen derartigen Schutz bekommen. Außerdem wurde der russische Raketenkreuzer "Moskwa" demnach angewiesen, vor der syrischen Mittelmeerküste Position zu beziehen und alle Ziele zu vernichten, die Russlands Luftwaffe in dem Bürgerkriegsland gefährden könnten.

Erdogan: Türkei will keine Eskalation mit Russland

Die Türkei will nach den Worten ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ihre Beziehungen zu Russland nicht weiter belasten. Erdogan sagte am Mittwoch in Istanbul, die Türkei wolle keine Eskalation. Sie habe lediglich nur ihre Sicherheit verteidigt und die "Rechte unserer Brüder in Syrien".

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich "äußerst besorgt" nach dem Suchoi-Abschuss. "Der Generalsekretär ruft alle militärisch in der Region verwickelten Parteien auf, alle Maßnahmen darauf abzustimmen, ungewollte Konsequenzen zu vermeiden", sagte sein Sprecher in New York. Das Pentagon teilte mit, der Zwischenfall habe derzeit keine Auswirkungen auf die Aktionen der US-Luftwaffe in Syrien. Französische Kampfjets griffen dort am Dienstagabend gemeinsam mit der US-Luftwaffe erneut IS-Ziele an.

Oktober 2015: Die türkische Armee schießt eine unbemannte Drohne unbekannter Herkunft in der Provinz Kilis ab. Das Objekt sei in den türkischen Luftraum eingedrungen, teilt die Regierung mit. Wenige Tage zuvor hatten russische Kampfflugzeuge den türkischen Luftraum an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien mehrfach verletzt.

Mai 2015: Türkische Kampfjets feuern an der Grenze Raketen auf eine syrische Maschine, die dann abstürzt. Nach Angaben des Militärs war der Pilot über türkisches Gebiet geflogen.

März 2014: Ein syrischer Kampfjet wird von der türkischen Luftwaffe in der nordwesttürkischen Provinz Kocaeli abgeschossen. Damaskus protestiert gegen die "türkische Aggression".

September 2013: Die türkische Luftwaffe schießt im Grenzgebiet einen syrischen Militärhubschrauber ab. Er sei bis zu zwei Kilometer tief im türkischen Luftraum gewesen, heißt es in Ankara.

Juni 2012: Der Abschuss eines türkischen Jets durch Syriens Luftabwehr verschärft das angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern. Der Jet war nahe der Küstenstadt Latakia kurzzeitig in den syrischen Luftraum eingedrungen.

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