Royaler Autobauer auf Europakurs

Britisches Statussymbol: Auch die Queen fährt Land Rover
Warnungen vor einem EU-Austritt, auch der Finanzplatz London wäre durch "Brexit" in Gefahr.

Eigentlich ist es nur ein Stück Kunststoff, dass Michael Collins stolz den Journalisten präsentiert. Doch wenn alles klappt, dann fährt dieses Stück Kunststoff schon bald in Autos quer durch Europa spazieren. Stabil, flexibel und vor allem leicht sind die Karosserieteile, die die Firma Penso hier in Coventry, im Kernland der britischen Autoindustrie, produziert. Also rechnet sich Verkaufsleiter Collins große Exportchancen aus – unter einer Voraussetzung allerdings: "Dass uns nicht die Tür zum europäischen Markt zugeschlagen wird."

Die Sorge des Automobilexperten ist nicht unbegründet. Mit dem Wahlsieg, der David Camerons Konservativen eine Alleinregierung beschert hat, sind die Weichen für die Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens gestellt.

Bis nächstes Jahr will Cameron die Regeln für Großbritanniens EU-Mitgliedschaft neu verhandeln. Geht es nach dem rechten Flügel seiner Partei, gehört da einiges grundsätzlich reformiert. In Brüssel und anderen EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, will man davon nichts wissen. "Brexit", das von den Briten gerne verwendete Kürzel für den EU-Austritt, steht im Raum.

"EU, wie sie jetzt ist"

Bei den britischen Autobauern hält man von solchen Vorstößen der eigenen Regierung nicht viel. "Wir sind sehr zufrieden mit der EU-Mitgliedschaft – und zwar genau so, wie sie jetzt ist" zeigt sich Verkaufsleiter Collins gegenüber den Verhandlungen mit Brüssel skeptisch.

Zu viel steht auf dem Spiel. Großbritanniens einst ruhmreiche Autoindustrie ist nach Jahrzehnten in der Versenkung wieder dabei, ihren Platz auf dem Weltmarkt zurückzuerobern. Rund um die Luxusmarke Jaguar-Landrover, die Rekord-Verkaufszahlen schreibt, wächst ein Autocluster auf der Insel. Zehntausende neue Arbeitsplätze sind entstanden. Viele dieser Arbeitsplätze aber stellen internationale Autokonzerne, wie der japanische Gigant Nissan – dessen britische Fabriken produzieren vor allem für den europäischen Markt. Sollte der Weg dorthin nach einem EU-Austritt durch neue Grenz- und Zollregelungen versperrt sein, fürchten Brancheninsider, wären die Konzerne wohl bald fort.

Banker verärgert

Echte Begeisterung für die EU lässt sich keinem Briten entlocken, doch in der Wirtschaft hat man Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft längst abgewogen. Das Ergebnis fasst ein Jaguar-Manager, der sich offiziell zur EU-Politik nicht äußern will, prägnant zusammen: "Es geht um EU-Standards, die auch für uns gelten müssen, um offene Grenzen, Zollfreiheit: Das ist für uns die EU ."

Mit EU-Standards hat man in der wichtigsten Branche der britischen Wirtschaft seine Probleme: Der Finanzindustrie. Sie erwirtschaftet fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, den größten Teil davon in London. Die Reformen und Regulierungen, die die EU nach der Finanzkrise 2008 den Banken aufgezwungen hat, stoßen hier auf keine Gegenliebe. Vor allem die Beschränkung der Bonuszahlungen für Banker habe viele in der Londoner Finanzwelt verärgert, schildert Ralph Böckle, Österreichs Finanzattache in London, die Stimmung: "Viele empfinden das als ungerecht."

Ungerecht oder nicht, es hat sich einiges getan in der Londoner Finanzwelt. Die Produkte der Finanzindustrie sind simpler und daher transparenter geworden. Steuern wurden erhöht, Steuerschlupflöcher zumindest etwas enger gemacht. "Fader und teurer" als in den tollen Zeiten vor der Krise sei Invesment-Banking heute, mault man in der Branche.

Kritik an der EU hört man in der Londoner City, dem Herz der Finanzindustrie, allerorten, Zweifel an der EU-Mitgliedschaft so gut wie nie. Der Finanzriese London würde ohne die Präsenz der großen Banken und Versicherungen aus EU-Ländern rasch schrumpfen – und die wollen ihre Geschäfte nicht außerhalb der EU abwickeln. "Wenn die Briten weiter Geschäfte mit Europa machen wollen", erläutert Axel, ein österreichischer Banker in London, "müssten sie ohnehin nach europäischen Regeln spielen, auch wenn sie nicht mehr Mitglied sind." Die große Finanz-Freiheit nach dem EU-Austritt wäre also eine Illusion, so das Resümee des renommieren Thinktanks "Center for European Reform" zum Thema: "Ein Brexit befreit London nicht, er schadet nur der Stadt."

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