Gegen den Generalverdacht

Der Terror hat Deutschland erreicht. Wie gehen Menschen damit um, die genau davor geflohen sind?

Der kleinen Ahna ist egal, was um sie herum geschieht. Sie hält lautstark dagegen, als Murat aufsteht und von seinem Zettel liest. Sie ist so laut, dass man ihn kaum hört, und hat Spaß daran. Ihr Deutsch ist noch nicht gut genug, um ihn zu verstehen; und mit ihren sechs Jahren begreift sie nicht, warum es dem jungen Syrer so wichtig ist, seinen Text laut zu lesen.

"Wir verurteilen jede Form von Terror und Gewalt in Deutschland und in allen Teilen der Welt. Terror kennt weder Landes- und Religionsgrenzen", liest er, anfangs zittrig, seine Stimme wird nur langsam ruhiger. Murat will ein Zeichen setzen, hier und heute. Er will seine Stimme auf Deutsch erheben, auch für jene, die schweigend hinter ihm sitzen, weil sie die Sprache noch nicht so gut können. Die gut 20 Männer im Hof des Flüchtlingsheims Köpenick nicken. Sie kommen aus eben jenen Teilen der Welt, von denen Murat gerade gesprochen hat. Und sie alle sind vor eben jenem Terror geflohen, der es jetzt auch bis nach Deutschland geschafft hat.

Fremd in der Heimat

Gegen den Generalverdacht
Flüchtling
400 Syrer, Afghanen, Iraker, Eritreer leben hier in dem bunten Containerheim in Köpenick, in einer Siedlung, die aussieht, als wäre sie aus Tetris-Blöcken zusammengewürfelt. Sie wirkt eigenartig fremd im Müggelsee-Wald, wo viele Berliner den Sommer verbringen. Mit den Bewohnern hier ist es ähnlich. Sie passen irgendwie her, irgendwie auch nicht, und ihre neue Heimat ist ihnen noch genauso fremd, wie sie es den Einheimischen sind.

Das ist mit ein Grund, warum sie Stellung beziehen. "Sorge" macht es ihnen, dass "ein Teil der einheimischen Bevölkerung Flüchtlinge unter Generalverdacht stellt", sagt Murat; er ist 30, aus Syrien, und sein Deutsch ist wirklich gut. Seit eineinhalb Jahren lebt er hier, fast ebenso lang wie Ali, der aus Aleppo geflohen ist. Sein Haus ist im Bombenhagel der Assad-Armee verschwunden, erzählt er. Dass er heute hier sein kann, ist ein riesiges Glück, sagt der 26-Jährige. "Wir sind ja selbst vor Krieg, Terror und politischer Verfolgung geflohen. Von uns wird schon deshalb kein Hass, keine Gewalt ausgehen", sagt Murat, er schüttelt den Kopf.

NPD als Nachbar

Botschaften wie diese hört man derzeit oft in Deutschland. In Ansbach, wo sich ein Syrer in die Luft sprengte, gingen Flüchtlinge auf die Straße, um sich vom Generalverdacht freizusprechen, ebenso in Würzburg, wo ein IS-Anhänger mit einer Axt Menschen attackierte. In Köpenick hat die Sache mit dem Generalverdacht aber noch eine andere, bittere Note, denn hier wohnt die NPD in der Nachbarschaft. Udo Voigt, der die rechtsextreme Partei im EU-Parlament vertritt, versucht seit zwei Jahren mit allen Mitteln, die Einrichtung zu boykottieren, er organisierte rechte Mahnwachen, klagte sogar. Vor Gericht scheiterte er, der Unfriede aber blieb. Im Herbst 2015 wurden Schüsse auf die Siedlung abgegeben, "erst kürzlich wurde das Heim wieder von NPD-Leuten gefilmt", sagt Heimleiter Peter Herrmanns.

Den meisten Bewohnern sei zum Glück nicht klar, was da vor sich gehe, sagt er. Einige wissen aber durchaus Bescheid. "Wir haben auch Angst vor Islamophobie", sagt der 31-jährige Baraa aus Damaskus; er war derjenige, der die Idee zur gemeinsamen Initiative hatte. Dass die rechtsextrem motivierten Morde in München anfänglich für IS-Terror gehalten wurden, darüber hat man hier natürlich gesprochen; ebenso wie darüber, dass die zwei IS-Attentäter in Würzburg und Ansbach als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Die Politik lasse man auf der Flucht ja nicht zurück, und die Angst, dass einer der Flüchtlinge hier auf dumme Gedanken kommen könnte, ist auch immer da. "Ob hier jemand ist, der radikal ist, kann ich nicht sagen", sagt Murat. "Man kann es ja nicht an den Augen sehen."

Im Namen des Glaubens

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flüchtling
Bashir steht etwas abseits, der Afghane ist mit den meisten Männern, die hier sitzen, nicht eng befreundet; zwischen den Volksgruppen hier funktioniert auch nicht immer alles reibungslos. Was sie sagen, findet er trotzdem gut. Gewalt mit dem Glauben zu rechtfertigen, ist für ihn nicht nachvollziehbar. Die meisten hier sind Muslime und sie haben alle im Namen des Glaubens viel verloren. Bashir etwa hat deshalb keine Familie mehr; er ist allein vor den Taliban und den Schergen des IS geflohen. "Man muss doch alle respektieren. Auch uns", sagt er. "Schließlich werden wir für lange Zeit oder für immer hier bleiben", sagt auch Murat.

Die kleine Ahna wird wohl eine davon sein. Sie hat sich inzwischen beruhigt und schreibt in krakeliger Schrift ihren Namen auf ein Blatt Papier. "Deutsch", sagt sie und deutet stolz darauf.

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