Asylwerber: "Nur raus aus dem Kosovo"

Trotz strengerer Polizeikontrollen treffen noch immer jeden Tag Hunderte kosovarische Migranten in Ungarn ein.
Mit massiver Polizeipräsenz versucht Ungarn, die Migranten aufzuhalten.

Im grünen Polizeitransporter, hinter Maschendrahtgitter, ist Bleritas Reise zu Ende. Die Tränen laufen der jungen Mutter übers Gesicht, ihren vierjährigen Sohn schüttelt es vor Schluchzen. Langsam füllt sich der Bus der ungarischen Polizei: Fast allle, die hier nach sorgfältiger Leibesvisitation durch die Behörden einsteigen müssen, sind Kosovaren. Mehrheitlich junge Männer, aber auch ganze Familien, viele kleine Kinder. Keiner, der hier nicht weint. Allen ist die Erschöpfung nach einem stundenlangen Nachtmarsch und die Enttäuschung darüber, ihr Ziel nicht erreicht zu haben, ins Gesicht geschrieben.

"Wo wir hin wollten?", ringt Blerita nach Worten, "Deutschland, Österreich, ganz egal wohin, nur raus. Raus aus Kosovo. Dort gibt es für uns überhaupt nichts. Ich habe keine Arbeit, mein Mann hat keine Arbeit. Es gibt keine Unterstützung, kein Geld, keine Hilfe. Wie soll man da leben? Und wie soll ich meine Kinder durchbringen? Ich kann ja oft nicht einmal Milch für sie kaufen."

Draußen, in den unbefestigten Wäldern der grünen Grenze zwischen Serbien und Ungarn laufen unterdessen immer mehr Kosovaren den Polizisten in die Arme. Auf der südlichen Seite durchkämmen serbische Sondertruppen seit vergangener Woche das Schilf und die Felder. Mit ihnen patrouillieren deutsche Polizisten die Grenzregion.

Auf allen Feldwegen

Asylwerber: "Nur raus aus dem Kosovo"
Ungarische Polizei sammelt die eingefangenen Flüchtlinge ein und bringt sie zu einer Sammelstelle
Auch die Migranten, die es doch bis in den ungarischen Grenzort Asotthalom geschafft haben, müssen bald aufgeben. An allen größeren Biegungen von Feldwegen, an allen Straßen stehen Uniformierte: Ein Durchkommen, wie es seit September fast 50.000 Kosovaren versuchten, scheint kaum mehr möglich. "Der Flüchtlingsstrom wird jetzt schon viel kleiner", schildert Polizeisprecher Szenti Szaboldj dem KURIER. "Gestern haben wir 402 Personen aufgegriffen, vor einer Woche waren es pro Tag noch drei Mal so viel."

Doch die Nachricht, dass sich die Flüchtlingsrouten wegen der verschärften Kontrollen geschlossen haben, sind noch nicht zu allen vorgedrungen. In Palic, einem Vorort der nordserbischen Stadt Subotica, warten auch heute Hunderte Menschen auf den richtigen Moment. Die kleinen Pensionen der Stadt sind mit kosovarischen Gästen bis auf den letzten Platz gefüllt. Jeden Tage treffen weitere Busse ein. Der Grenzort ist die letzte Station vor dem angepeilten Übertritt ins Schengenland.

Mit dem gewöhnlichen Linienbus nach Subotica seien sie vom Kosovo angereist, erzählt Bleritas Mann Isa. Ein paar Stunden Schlaf und dann weiter mit privaten Taxis bis kurz vor die Grenze. "Dann sind wir zu Fuß weiter gegangen, sechs, sieben Stunden. Zum Schluss mussten wir durch den eiskalten Fluss."

Traumziel Deutschland

Alle haben sie noch nasse Hosen und Schuhe, die ganze Gruppe Kosovaren, die sich aus der Kleinstadt Gjilane aufgemacht hat. "Ich will nach Deutschland", erzählt der zwanzigjährige Gentrit. "Ich bin jung, ich will arbeiten, aber bei uns gibt es keine Arbeit." Zwei seiner besten Freunde seien vor ein paar Wochen gegangen. Und auch ein Nachbar sei mit Frau und Kindern Richtung Stuttgart aufgebrochen. "Da habe ich mir gedacht: Warum versuche ich es nicht auch? Schlimmer als jetzt daheim kann es überhaupt nicht werden." Und überhaupt, meint er fatalistisch, "wenn alles schiefgeht, schicken sie mich halt wieder heim."

Dass der junge Mechaniker im Schengenraum so gut wie keine Chancen auf Asyl haben dürfte, will Gentrit nicht so recht glauben. Niemand habe es ihm gesagt: nicht die Behörden daheim; nicht die Schlepper, die ihm Busticket verkauften und Reiseroute vorgaben; nicht die serbischen Polizisten, die ihm bei jeder Kontrolle 50 Euro abknöpften ("Dann darfst du weiterfahren"); nicht die Hoteliers vor der ungarischen Grenze.

Alle von der Polizei aufgegriffenen kosovarischen Migranten teilen dasselbe Idealbild: In Deutschland, Österreich, Frankreich oder sonstwo – überall in Westeuropa scheint es besser zu sein als daheim im Kosovo. Nur Blerita widerspricht: "Ich wäre nirgendwo hingegangen. Wenn ich im Monat nur hundert Euro zum Leben für uns hätte, ich wäre geblieben."

Verlorene Hoffnung

Seit sieben Jahren ist der Kosovo, jüngster Staat Europas, ein unabhängiges Land. Doch die großen Hoffnungen auf ein besseres Leben hat sich für die Mehrheit der zwei Millionen Bewohner des Balkanlandes, kaum größer als Oberösterreich, nie erfüllt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos, bei den Jungen sind es mehr als 70 Prozent. Wer einen Job hat, verdient selten mehr als 400 Euro – ein Lohn, mit dem man auch in einer der ärmsten Regionen Europas die Familie nicht ernähren kann.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben für ihre Kinder muss auch die zwei Kosovarinnen getrieben haben, die sich und ihre fünf Kleinen eiligst in den am Straßenrand wartenden, altersschwachen roten Opel drängen. Am aufgelassenen ungarischen Grenzübergang von Röszke sind sie aus dem Wald gekommen, ein Dutzend Kilometer westlich von der bekannten Fluchtroute entfernt. Reifen quietschen, bange Kinderblicke aus dem Rückfenster, Staub wirbelt auf – und dann sind sie weg.

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