Regierungsbündnis in Estland verliert absolute Mehrheit

Regierungsbündnis in Estland verliert absolute Mehrheit
Die wirtschaftsliberale Reformpartei bleibt stärkste Kraft. Zwei neue Parteien im Parlament.

Nach einem vom Konflikt in der Ukraine überschatteten Wahlkampf hat die Reformpartei von Regierungschef Taavi Roivas am Sonntag die Parlamentswahl in Estland gewonnen. Jedoch büßte das bisherige Regierungsbündnis von Reformpartei und Sozialdemokraten seine absolute Mehrheit ein.

Nach der Auszählung aller Stimmen kommt die wirtschaftsliberale Reformpartei auf 30 von 101 Sitzen und bleibt trotz eines Verlusts von drei Mandaten im Vergleich zu 2011 stärkste Kraft in der Volksvertretung Riigikoku. Dahinter folgen die linkspopulistische, oppositionelle Zentrumspartei (27 Sitze) sowie die bisher mitregierenden Sozialdemokraten (15 Sitze), die vier Mandate verloren. Das gab die Wahlkommission in Tallinn am späten Sonntagabend bekannt.

Absolute weg

Mit den Stimmenverlusten hat die bisherige Mitte-Links-Regierung keine absolute Mehrheit im Parlament mehr. Größte Gewinner waren die Konservative Volkspartei (acht Sitze) und die Freie Partei (sieben Sitze). Die beiden neugegründeten Gruppierungen schafften auf Anhieb den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Das nationalkonservative Wahlbündnis IRL verlor neun Sitze und stellt künftig 14 Abgeordnete. Die Wahlbeteiligung lag bei 63,7 Prozent und war damit praktisch gleich hoch wie beim letzten Mal (2011: 63,5 Prozent).

Regierungschef Roivas sagte am Wahlabend im Fernsehen, dass alle Optionen auf dem Tisch lägen. Einzig eine Kooperation mit der vom Großteil der russischsprechenden Esten unterstützten Zentrumspartei schloss er, wie schon im Wahlkampf, aus.

Kampf um Steuerreform

Es wird nun erwartet, dass Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves Roivas mit der Regierungsbildung beauftragt. Die inhaltlichen Differenzen zwischen der Reformpartei und den Sozialdemokraten waren zuletzt groß. Insbesondere bei der geplanten Steuerreform herrschte Uneinigkeit. Während die Reformpartei den Einheitssteuersatz um jeden Preis erhalten will, machten sich die Sozialdemokraten für den Wechsel zu einem - ihrer Meinung nach gerechteren - progressiven Steuersystem stark.

Die Wahl stand unter dem Eindruck der Ukraine-Krise, die viele Esten beunruhigt. Die Außen- und die Sicherheitspolitik waren neben der Steuerreform und der sozialen Situation eines der beherrschenden Wahlkampfthemen. Während die bisherige Regierung unter Roivas auf eine stärkere NATO-Präsenz in Estland drängt, plädiert die Zentrumspartei für mehr Dialog mit Moskau.

Angst vor Russland

Viele Esten fürchten nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland territoriale Ambitionen Moskaus auch im Baltikum. Rund ein Viertel der 1,3 Millionen Esten ist russischstämmig. Der Großteil von ihnen ist in der Region Narva (Provinz Ost-Virumaa) und in der Hauptstadt Tallinn konzentriert.

Estland gehörte wie Lettland und Litauen zur früheren Sowjetunion. Nach deren Zerfall traten die baltischen Staaten im Jahr 2004 sowohl der EU als auch der NATO bei. Estland ist seit 2011 auch Mitglied der europäischen Währungsunion.

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