Poroschenko: Letzter Appell vor der Wahl

Am Sonntag wählt das krisengeschüttelte Land. Die Reise soll Richtung Europa gehen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat vor der Parlamentswahl am Sonntag noch einmal eindringlich für einen proeuropäischen Kurs des Landes geworben. Sein Programm sichere die Einführung von EU-Standards und einen würdigen Platz der Ukraine in der Welt, sagte Poroschenko am Samstag in seinem Wahlaufruf in Kiew. Ein nach dem Staatschef benanntes Bündnis gilt Umfragen zufolge als Favorit bei der Abstimmung an diesem Sonntag. Bis 2020 wolle die Ukraine ihren EU-Beitrittsantrag einreichen, betonte Poroschenko.

Der Staatschef rief die Wähler auf, die große Parteienvielfalt zu nutzen. "Stimmen Sie für die Ukraine - eine freie, einheitliche, unteilbare, europäische!", sagte er. Poroschenko bekräftigte auch das Ziel, den Konflikt in der teils von prorussischen Separatisten kontrollierten Ostukraine friedlich zu lösen. Eine "militärische Lösung der Probleme" könne es nicht geben, sagte Poroschenko.

Zugleich kündigte er eine Aufrüstung der Armee an. Die seit September in der Ostukraine verhängte Waffenruhe helfe dabei, die Verteidigungskräfte des Landes zu stärken. Alle vier Panzer-Werke würden im Drei-Schicht-System arbeiten, sagte Poroschenko. Trotz der Waffenruhe kommt es fast täglich zu Blutvergießen in der Region.

Hacker-Angriff

Bereits vor der Wahl gab es diverse Manipulationsvorwürfe. Am Samstag haben Hacker die Website der nationalen Wahlbehörde angegriffen. Die Internetpräsenz www.cvk.gov.ua war für kurze Zeit nicht erreichbar. Die ukrainischen Sicherheitsbehörden erklärten, die Seite sei Ziel einer sogenannten DDoS-Attacke ("Distributed Denial of Service") geworden. Diese führt zu einer Überlastung von Servern, die zur Folge hat, dass Dienste im Internet langsamer werden oder vorübergehend nicht mehr zur Verfügung stehen. Auswirkungen auf die Wahl hat der Angriff nach Angaben der Behörden aber nicht. Das elektronische System zur Stimmenauszählung funktioniere, sagte ein Sprecher der Wahlkommission.

Sie soll aus Sicht der ukrainischen Regierung so etwas wie einen Schlussstrich bedeuten – die Parlamentswahl. Den Schlussstrich unter eine Revolution, die zum Ziel hatte, mit allem abzurechnen, was die Gegenwart der Ukraine aber nach wie vor prägt, wie kaum zuvor: Korruption, Freunderlwirtschaft und nicht zuletzt und vor allem die schwierige Nachbarschaft zu Russland und alle Probleme, die diese Ukraine-intern mit sich bringt. Und nicht zuletzt soll sie vor allem eines tun: legitimieren.

Erst der Aufstand gegen Ex-Präsident Janukowitsch vergangenen Winter, Straßenschlachten in Kiew mit 100 Toten, der Kontrollverlust der damaligen Regierung über das Land, der Sturz des Präsidenten, die Annektion der Krim durch Russland, der Krieg im Osten. Die Ukraine hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Ein Wechselbad von Solidarität und Rivalität. Es ist zumindest in Kiew gewisse Ernüchterung eingekehrt. Denn bei näherem Hinsehen hat sich kaum etwas geändert.

Neue Akteure

Zwar sind neue politische Akteure auf die Bühne getreten. Das System aber ist dasselbe. Beamte kassieren weiter für staatliche Leistungen. Und sogar bei den gefeierten Helden der ukrainischen Gegenwart, den Soldaten, wird die Hand aufgehalten, wenn es um Zuwendungen geht, die aber nur ausbezahlt werden, wenn ein Teil an den zuständigen Bürokraten geht. Ebenso bei medizinische Leistungen. Und auch aus Spendenaktionen für Kriegsinvalide oder die Armee selbst hat sich zum Teil ein eigener Wirtschaftszweig entwickelt, der alle wahrhaftigen Bemühungen auf diesem Gebiet – und das sind viele – in Misskredit bringt.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Präsident Petro Poroschenko, dessen Wahlblock alle Umfragen haushoch anführt, nur wenige Tage vor der Wahl eine Brandrede gegen Korruption und für deren Bekämpfung hielt. Denn weniger die EU-Orientierung der Ukraine, als der Überdruss mit Korruption und Klientelismus waren die Triebfeder des Aufstandes gegen Janukowitsch gewesen.

Die Revolution, die Rechnung, die Poroschenko gerne abschließen möchte, die ist aus Sicht weiter Teile der Wählerschaft noch lange nicht ausgerechnet. Für viele ist die Revolution nach wie vor im Gange – aus der Sicht ihrer Befürworter wie ihrer Gegner.

Poroschenko: Letzter Appell vor der Wahl
A candidate, presenting himself in the character of "Star Wars" villain Darth Vader and representing the Internet Party of Ukraine which runs for parliament, poses for a picture during a meeting with his supporters and voters in Kiev, October 22, 2014. Ukrainians will take part in an early parliamentary election on October 26. REUTERS/Valentyn Ogirenko (UKRAINE - Tags: POLITICS ELECTIONS SOCIETY ENTERTAINMENT)
Poroschenko wird die Wahl wohl gewinnen – aber er wird Koalitionspartner brauchen. Konflikte sind damit vorprogrammiert. Und auch Konflikte mit der Straße werden nicht zu vermeiden sein. Das neue Parlament in Kiew wird es mit einer Wählerschaft zu tun haben, die sich der Macht bewusst ist, die Hunderttausende Menschen auf der Straße haben. Aber mehr noch: Mit einem sehr tief sitzenden Gefühl des "Wir sind das Volk" und "Ihr habt mit uns nichts, aber auch gar nichts zu tun". Ihr, das sind Behörden, Politik und Exekutive. Der Maidan, der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, Schauplatz der Revolution, als Schattenparlament – und als genau dieses verhasst von den Gegnern der Revolution.

Es ist genau dieses Klima, in dem neue politische Gruppen keimen – und nicht nur solche, die das politische Establishment suchen. Aber auch an der Oberfläche sind zahlreiche neue Akteure aktiv – wie die rechtsnationale Radikale Partei oder auch die links bis anarchistisch angehauchte Internetpartei. Aber vor allem aufseiten des Lagers der gestürzten Regierung ist alles anders. Die Partei der Regionen, die in Regionen wie Donezk oder Lugansk auf bis zu 90 Prozent kam, ist in eine Reihe von Wahllisten zerfallen.

In vielen ihrer Hochburgen im äußersten Osten der Ukraine und auf der Krim wird nicht gewählt werden. Sie werden im Parlament nicht vertreten sein. Ein hoher Vertreter des Außenministeriums in Kiew kommentiert das mit einem Wort: "leider". Aber so sieht sie eben aus, die neue ukrainische Realität.

Ukraine-Wahl – neue Parteien mit bekannten Gesichtern

Parlament 52 Parteien bewerben sich um 450 Sitze. Sechs Parteien schaffen laut Umfragen den Einzug.

Block Petro Poroschenko – Prognose: 28 %Spitzenkandidat ist Vitali Klitschko.

Radikale Partei – Prognose: 8 %Partei des Nationalisten Oleh Ljashko

Volksfront – Prognose: 8 %Setzt sich aus Timoschenko-Gefolgsleuten zusammen. Spitzenkandidat: Premier Arseni Jazenjuk.

Oppositionsblock – Prognose: 8 %Zerfallsprodukt der Partei der Regionen

Samopomitsch – Prognose: 8 %Partei des Lemberger Bürgermeisters Andrij Sadowyj

Batkiwschtschina – Prognose: 7 %Partei Julia Timoschenkos. Listenerste ist die in russischer U-Haft sitzende Pilotin Nadja Sawtschenko.

Kommentare