Lech Walesa: Wir brauchen "zehn Gebote für Europa"

Walesa – leben in einer neuen Epoche, haben aber alte Denkmuster
Die polnische Ikone über Europas Krisen, eine schwierige Nachbarschaft und sein angekratztes Image.

Der 72-jährige ehemalige Anführer der Gewerkschaft Solidarność (1980–1990) und spätere polnische Staatspräsident (1990–1995) Lech Walesa war Samstagabend im Gmunden zu Gast bei Academia Superior, der Denkfabrik der oberösterreichischen ÖVP. Mit dem KURIER sprach er über ...

... die Krise Europas: "Früher ist Europa auf einem christlichen Fundament gestanden, dann hat der Kampf gegen den Kommunismus die Länder vereint, doch jetzt gibt es kein gemeinsames Fundament mehr. Wenn die Europäische Union weiterhin Bestand haben soll, brauchen wir zehn Gebote für Europa, gemeinsame Werte, die von allen über die Religionen hinaus getragen werden."

... die Flüchtlingskrise: "Wir haben uns überraschen lassen. Wir haben dafür keine Programme. Wir haben die Grenzen geöffnet und dafür zahlen wir. Wir müssen das verantwortungsvoll gestalten, damit sowohl die Flüchtlinge als auch wir profitieren. Wir leben in einer neuen Epoche, aber wir haben alte Denkmuster. Selbst wenn wir die besten Propheten hätten, würden wir ihnen nicht zuhören. Denn aufgrund der alten Auseinandersetzungen vertrauen wir einander nicht."

... Russland und Putin: "Russland ist mental viele Jahre zurück, es ist rückständig. Es hat nie eine Demokratie gegeben. Es kennt keinen freien Markt. Es gibt Methoden, die bei uns vor langer Zeit geherrscht haben. Aber wir brauchen Russland, denn es bedeutet große Möglichkeiten. Wir müssen dem Land behilflich sein, sich uns rasch anzuschließen. Putin hat langfristig keine Chance, mit diesen Methoden zu siegen. Man konnte sie anwenden, als die Menschen auf einer niedrigen Stufe waren. Unter der Drohung einer Pistole kann man sich am Laptop nichts Vernünftiges ausdenken. Deshalb wird Putin verlieren. Die Frage ist, wie viele Beulen er uns zufügen wird. Unsere Zivilisation erfordert Freiheit, Öffnung und Vernunft – nicht Schlagstöcke."

... Vorwürfe, ein Spitzel der Kommunisten gewesen zu sein: "Ich stellte mich 1970 an die Spitze des Streiks in der Danziger Werft. Ich habe eine Niederlage erlitten. Ich musste ein neues Kampfkonzept wählen. Den einen Weg nenne ich den ukrainischen. Man bekämpft alle, man redet und verhandelt mit niemandem. Der zweite Weg heißt reden, überzeugen, erkennen, was die anderen wollen, die Menschen vorbereiten und dann agieren. Und wenn es eine Chance gibt, dann wieder kämpfen. Ich habe diesen Weg gewählt. Aber für die, die den ersten Weg wählen, ist mein Weg Verrat. Aber ich hatte keine andere Chance zu siegen. Ich versuchte die Kommunisten auszunützen und sie zu dechiffrieren. So habe ich den Kampf verstanden. Viele haben diesen Kampf nicht auf sich genommen."

Kommentare