"Christen im Mittleren Osten schützen"

Patriarch Bartolomaios I.
Kirchen-Oberhaupt über die Kriegsfolgen in der Region und das erste orthodoxe Kloster in Österreich.

Wenn man so will, ist Patriarch Bartholomaios I. der Papst des Ostens. Er ist das Oberhaupt von 250 bis 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit. Anlässlich der Übereinkunft für das erste orthodoxe Kloster in Österreich weilte er in der Alpenrepublik und gab dem KURIER als einzigem Medium des Landes ein ausführliches Interview.

KURIER: Im burgenländischen St. Andrä am Zicksee wird das erste christlich-orthodoxe Kloster Österreichs entstehen. Was erwarten Sie sich davon?

Patriarch Bartholomaios I.: Das Kloster soll ein geistliches Zuhause für eine Gruppe Mönche werden, die an diesem Ort die Begegnung mit Gott suchen. Im Verständnis der orthodoxen Kirche ist ein Kloster ein Tor zur Liebe Gottes und zum geistlichen Leben. Ein Ort, an dem jeder Gläubige Heil und Heilung der Beziehung zu Gott finden kann. In der orthodoxen Tradition werden Klöster deshalb auch oft als "geistliche Krankenhäuser" bezeichnet. Das Kloster in Sankt Andrä soll außerdem eine Brücke zwischen Ost und West bilden, ein Ort, an dem sich Christen der verschiedenen Traditionen und Kulturen begegnen und zu Gott finden können. Für die Bevölkerung von Sankt Andrä soll dieses Kloster zu einem Ort werden, an dem sie sich jederzeit willkommen fühlen und den sie als Teil ihres alltäglichen Lebens empfinden.

Eine Pfarrgemeinderätin findet das Projekt "cool", aber es gibt auch Kritik. Warum glauben Sie, ist das so, und was entgegnen Sie den Skeptikern?

Die Menschen neigen immer dazu, gegenüber dem, was sie nicht kennen, skeptisch oder vorsichtig zu sein. Es wäre nicht normal gewesen, wenn nicht auch skeptische und mahnende Stimmen erklungen wären. Wir sind aber überzeugt, dass auch die Skeptiker das Kloster und die Mönche schätzen und lieben werden, wenn sie erst einmal persönliche Bekanntschaft gemacht haben.

Was ist Ihre Botschaft an die rund 500.000 Orthodoxen in Österreich?

Die Botschaft Christi und des Evangeliums. Die Botschaft der Liebe zwischen Gott und den Menschen und der Menschen untereinander. Unsere Botschaft ist: Lieben Sie Christus, und vertrauen Sie ihm. Haben Sie keine Angst, sich auch vor der Welt zu Ihrem Glauben zu bekennen und christliche Wertvorstellungen zu verkünden.

Seit dem Schisma 1054, also seit fast einem Jahrtausend, gehen die Kirchen Konstantinopels und Roms getrennte Wege. Sehen Sie eine Chance auf Wiedervereinigung zwischen orthodoxer und katholischer Kirche?

Die Heilung der Kirchenspaltung und die Wiedervereinigung der Kirche ist eine große Aufgabe unserer Zeit. Vor 50 Jahren begannen Papst Paul VI. und unser Vorgänger, Patriarch Athenagoras, die ersten Schritte aufeinander zuzugehen. Der offizielle theologische Dialog zwischen unseren Kirchen im Geiste der Liebe und der Wahrheit halfen uns, viele Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und das Verbindende zwischen uns zu erkennen. Seine Heiligkeit, Papst Franziskus, und wir sind im Mai diesen Jahres in Jerusalem zusammengetroffen, unsere Delegation ist jedes Jahr in Rom zum Fest des Heiligen Petrus und Paulus, der Patrone der Kirche von Rom, wie auch eine Delegation der katholischen Kirche jedes Jahr zum Fest des Heiligen Andreas in Konstantinopel teilnimmt. Dieses Jahr wird Papst Franziskus anlässlich des Festes des Heiligen Apostels Andreas in Konstantinopel (ab 28. November) unser Gast sein.

Wann könnte es eine Wiedervereinigung geben?

Gott allein weiß, wann es soweit sein wird. Einrichtungen wie Pro Oriente, die den theologischen ebenso wie den persönlichen Kontakt zwischen unseren Kirchen fördern, sind eine große Hilfe.

Was steht einer Wiedervereinigung noch im Wege? Und wo gibt es Annäherungen?

In den letzten 50 Jahren sind wir uns vieler Gemeinsamkeiten in unseren Kirchen und unserem Glauben bewusst geworden und haben sie schätzen gelernt. Wir sind uns bewusst geworden, dass uns vieles verbindet und nur wenig trennt. Wir sind zuversichtlich, dass die letzten Hürden der Trennung überwunden werden können.

Sie waren als erster Ökumenischer Patriarch nach der Kirchenspaltung bei der Amtseinführung von Papst Franziskus im Vatikan. Was wollten Sie mit Ihrer Präsenz signalisieren?

Neben unserer Wertschätzung des Papstes Franziskus als Person wollten wir vor allem unseren Willen zum Ausdruck bringen, die schmerzliche Trennung unserer Kirchen zu überwinden.

Was erwarten Sie von Papst Franziskus hinsichtlich dieses ökumenischen Dialogs?

Wir erwarten von Seiner Heiligkeit weitere mutige Schritte und Bemühungen um die Einheit der Kirchen, wie er seit seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche bereits so viele getan hat. Wir begrüßen besonders die verstärkte Betonung der Kollegialität der Bischöfe und der Synodalität durch Papst Franziskus sowie sein Selbstverständnis als Bischof von Rom.

Als Oberhaupt der Weltorthodoxie tragen Sie auch Verantwortung für die Christen im Irak und Syrien, die derzeit besonders unter Verfolgung und Vertreibung leiden. Wird es in der "Wiege der Christenheit" bald keine Christen mehr geben?

Als erster Bischof der orthodoxen Kirche fühlen wir eine große Verantwortung für die Christen im Mittleren Osten, und unser Herz ist betrübt wegen des großen Leidens und der Verfolgung der Christen im Irak, in Syrien und in vielen anderen Konfliktgebieten dieser Welt. Die Christen des Mittleren Ostens wurden dort geboren, sie sind seit Jahrtausenden dort zu Hause. Wir müssen alles, was möglich ist, tun, um sie zu unterstützen und vor Verfolgung, Vertreibung und Ermordung zu schützen. Es ist sehr wichtig, dass unsere christlichen Brüder in ihren Heimatländern und Geburtsorten bleiben und dort weiter leben können. Aber sie müssen als gleichwertige Bürger anerkannt werden und dürfen nicht als Bürger zweiter Klasse betrachtet werden.

Was können die Kirchen, was kann die Politik tun, um die Misere zu beenden?

Die Christen dort müssen stärker und deutlicher unterstützt werden, politisch, moralisch, materiell. Der Kampf für die Religionsfreiheit auf der ganzen Welt muss verstärkt werden. Das Wohl der Menschen muss Vorrang haben vor wirtschaftlichen oder politischen Überlegungen.

Ihr Sitz ist der Phanar in Istanbul. Auch in der Türkei ist es um die Religionsfreiheit nicht gut bestellt. Wie würden Sie die Lage beschreiben? Gab es Verbesserungen, seit dem die konservativ-islamische AKP am Ruder ist (seit 2002)?

In den letzten Jahren gab es unter der Regierung Erdogans positive Entwicklungen in der Türkei, aber es bleibt noch viel zu tun. Eines unserer wichtigsten Anliegen ist die Anerkennung der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts durch den türkischen Staat. Der rechtliche Status der christlichen Kirchen und der christlichen Staatsbürger der Türkei müssen klar definiert werden, da auch die Christen in der Türkei türkische Staatsbürger sind und somit die gleichen Rechte haben müssen, wie die muslimischen Staatsbürger. Ein anderes Anliegen, das uns sehr am Herzen liegt, ist die Wiedereröffnung der theologischen Schule von Chalki, deren Schließung eine große Ungerechtigkeit ist.

Das orthodoxe Priesterseminar auf der vor der Bosporus-Metropole gelegenen Prinzeninsel Chalki ist seit 1971 geschlossen. Für dessen Wiedereröffnung fordert Ankara den Bau einer Moschee in der griechischen Hauptstadt Athen. Geht für Sie dieser Deal in Ordnung?

Die Wiedereröffnung hat nichts mit dem griechischen Staat zu tun, wir als türkische Staatsbürger verlangen von unserer türkischen Regierung die Wiedereröffnung unserer theologischen Hochschule. Wir sind auch nicht für Handlungen und Entscheidungen der griechischen Regierung verantwortlich zu machen, sie fällt ihre eigenen Entscheidungen, unabhängig von uns. Daher halten wir einen solchen Handel nicht für sinnvoll. Menschenrechte und Religionsfreiheit können nicht Objekt eines Handels sein.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was gefällt Ihnen ganz besonders an Österreich?

Besonders beeindruckt haben uns die freundlichen, friedlichen und offenherzigen Menschen Österreichs sowie die besondere Schönheit des Landes. Es ist uns immer eine Freude, in Österreich zu Besuch zu sein, weshalb wir auch schon des Öfteren für einige Tage der Erholung in dieses schöne und gastfreundliche Land gekommen sind.

Der Patriarch von Konstantinopel: "Papst des Ostens"
Der Patriarch von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, der sich als Nachfolger des Apostels Andreas betrachtet, ist als Erster unter Gleichen (Patriarchen) das Oberhaupt von 250 bis 300 Millionen orthodoxen Christen. Im Gegensatz zum Papst in Rom, der sich als Nachfolger des Apostels Petrus sieht, hat der Patriarch von Konstantinopel, derzeit Bartholomaios I, aber kein Weisungsrecht.

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