Sechs Euro die Stunde: Großbritanniens harte neue Arbeitswelt

"Keep our econonmy strong" lautet das Motto des konservativen Premier David Cameron.
Großbritanniens Konservative feiern im Wahlkampf den Aufschwung, doch der sieht für viele nicht so rosig aus.

Knapp sechs Euro pro Stunde ist ein bescheidener Stundenlohn, doch mit dem hat sich Francesca inzwischen abgefunden. Ob sie nun Bestellungen für einen Pizza-Dienst entgegennimmt oder am Telefon Staubsauger-Reparaturen an den Mann zu bringen versucht, mehr als der Mindestlohn ist für die High-School-Absolventin aus Leeds einfach nicht drin. "Wirklich mühsam aber ist ", erklärt die 19-Jährige, "dass die mich am Abend anrufen, wenn ich am nächsten Tag kommen soll. Und erst wenn ich da bin, sagt man mir, für wie viele Stunden ich gebraucht werde." Manchmal waren es gerade zwei Stunden Arbeit, die die Pizza-Kette zu vergeben hatte. Da gingen sich für Francesca gerade die Fahrtkosten aus.

Kein Einzelschicksal

Kein Einzelschicksal in Großbritanniens harter neuer Arbeitswelt. 1,8 Millionen neue Arbeitsplätze seit dem Amtsantritt 2010 von Premier David Cameron: Das ist das gewichtigste Argument, mit dem die regierenden Konservativen den Wahlkampf für die Parlamentswahlen am Donnerstag, den 7. Mai, bestreiten. Doch ebenso schnell steigt die Zahl an mies bezahlten Teilzeit-Jobs, im schlechtesten Fall "Zero-Hour"-, also "Nullstunden"-Jobs wie jener von Francesca.

Zwei Millionen gibt es inzwischen davon in Großbritannien, meist auch ohne jeglichen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Krankenstand. Eine "Seuche, die das Leben unserer Familien zerstört" nennt Ed Miliband, Chef der oppositionellen Labour-Party, diese Jobs. Sollte er die Wahl gewinnen, so das Versprechen, würden die zwar nicht abgeschafft, aber stark eingeschränkt.

Doch Großbritanniens Arbeitnehmer stehen nicht nur durch die Nullstunden-Verträge unter Druck. Die sinkenden Arbeitslosenzahlen sind mit sinkenden Einkommen erkauft. Seit mehr als zehn Jahren stagnieren die Löhne, halten mit Inflation und damit Lebenshaltungskosten nicht Schritt.

Leiharbeiter

Bei Lohnverhandlungen haben die in Großbritannien einst mächtigen Gewerkschaften einen schweren Stand. Leiharbeiter, je nach Bedarf angeheuert bei Arbeitsagenturen, sind in fast allen Sparten vertreten. Sogar in der Autoindustrie, derzeit eine von Großbritanniens Hoffnungsbranchen, holt man sich solche Kräfte an die Fließbänder, auch beim britischen Renommierunternehmen Jaguar.

Auch das staatliche Gesundheitssystem NHS wird von Arbeitsagenturen am Laufen gehalten. Zehntausende Krankenschwestern werden von diesen Agenturen im Ausland angeworben und kurzfristig an die Spitäler vermittelt. Sicherheit gibt es für diese Leiharbeiterinnen schlicht dadurch, dass man mehr von ihnen braucht, als zu finden sind.

"Wir bilden einfach viel zu wenig Leute aus", nennt Gisela Stuart, altgediente Labour-Abgeordnete in der Industriestadt Birmingham, ein Grundproblem des britischen Arbeitsmarktes. Ein Lehrlingsmodell nach österreichischem Vorbild werde zwar immer versprochen, sei aber noch immer nicht umgesetzt. Es gebe viel zu viel schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, und für die, so Stuart, habe sich die britische Arbeitswelt von Grund auf verändert: "Aus Arbeitern sind Dienstleister geworden, mit miesen Löhnen, ohne Sicherheit und Rechte."

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