Offensive verschafft IS Atempause

Die Eskalation zwischen Türkei und Kurden verringert den Druck auf die militärisch geschwächte Terrormiliz.

Innerhalb der Bündnisse und Allianzen in und um Syrien tun sich derzeit Bruchlinien auf. Vor allem zwischen den USA und ihrem NATO-Partner Türkei.

Hatte US-Vizepräsident Joe Biden vergangene Woche in Ankara noch wortreich die Einigkeit und den Schulterschluss mit der Türkei im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) beschworen, so klingt das, wenn auch nicht aus Bidens Mund, so doch aus den USA nun völlig anders.

Es war der US-Sondergesandte für die US-geführte Anti-IS-Koalition, Brett McGurk, der via twitter zum Rundumschlag gegen Ankara ausholte. Zu den eskalierenden Kämpfen zwischen der türkischen Interventionstruppe in Syrien und den überwiegend kurdischen Verbänden in der Region schrieb er: Man betrachte diese Kämpfe als "inakzeptabel". Und: "Die Vereinigten Staaten waren nicht in diese Aktivitäten involviert, sie waren nicht mit den US-Kräften abgesprochen, und wir unterstützen sie nicht."

Der Punkt ist: "Diese Aktivitäten" der türkischen Armee in Allianz mit syrischen Rebellenverbänden (überwiegend konservativ sunnitischer Prägung) der Freien Syrischen Armee (FSA) richten sich derzeit vor allem gegen die Militärallianz der "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF). An den Berührungspunkten zwischen der FSA und dem IS kommt es hingegen zu keinen Gefechten.

Drohungen

Die SDF werden von "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) dominiert, die ideologisch der kurdischen PKK nahe stehen – was der Türkei ein Dorn im Auge ist. Ankara fürchtet, dass die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien zum Modell für Kurden im eigenen Land wird.

Offensive verschafft IS Atempause
Diese YPG, so die vor einer Woche im Duett mit Biden verkündete und am Montag seitens der Türkei wiederholte Drohung, müssten sich sofort auf das östliche Euphrat-Ufer zurückziehen. Andernfalls würden sie zum Ziel.

Eigenen Angaben zufolge haben sich die YPG bereits auf das östliche Euphrat-Ufer zurückgezogen. Dennoch aber halten die Kämpfe zwischen der türkischen Interventionstruppe und Einheiten der SDF im Großraum um die Stadt Manbij an – aus der Luft unterstützt durch die türkische Luftwaffe. Manbij war erst vor wenigen Wochen von den SDF nach langer Belagerung vom IS erobert worden – und das mit tatkräftiger Unterstützung von US-Spezialeinheiten und der US-Luftwaffe.

Die Region hat für den IS strategisch enorme Bedeutung. Und die türkische Offensive auf die SDF in dem Gebiet zeigt bereits jetzt ihre Wirkung. Den Druck, den die SDF auf den IS in der Vergangenheit ausgeübt hatten, können sie derzeit unter den gegeben Umständen nicht aufrechterhalten. Im Süden der Region um Manbij begann der IS eine Offensive gegen die SDF. Mindestens ein Dorf verloren diese am Montag in dem Gebiet.

Baldige Belagerung?

Zugleich bereiten sich lokale SDF-Einheiten anscheinend auf eine Belagerung der Stadt Manbij durch die rasch vorrückenden türkischen und FSA-Einheiten vor. Seitens der YPG hieß es, man halte sich derzeit heraus, werde aber in vollem Umfang eingreifen, sollte die Türkei ihre Angriffe auf die SDF fortsetzen.

Die in Syrien und dem Irak militärisch geschwächte Terrormiliz IS jedenfalls erhält durch das türkische Einschreiten – gewollt oder nicht sei dahingestellt – eine Atempause. Zuletzt hatte der IS an allen Fronten Niederlagen erlitten: Im Irak verlor er weite Gebiete, der Prestige-Stadt Mossul steht eine Belagerung durch irakische Armee und Verbände der kurdischen Selbstverwaltung (Peschmerga) bevor. In Syrien verlor der IS Manbij. In Libyen halten IS-Einheiten derzeit nur mehr einige Häuserblöcke der Stadt Sirte.

Offensive verschafft IS Atempause
A member of Libyan forces allied with the UN-backed government fires a weapon towards Islamic State militants in neighbourhood Number One in central Sirte, Libya August 28, 2016. REUTERS/Ismail Zitouny
In offenen Feldschlachten chancenlos hat der IS zuletzt vermehrt auf Selbstmordattentate gesetzt: Im Irak starben am Montag bei einem Anschlag auf eine Hochzeit in der Stadt Kerbala 20 Menschen. Und im Bürgerkriegsland Jemen starben bei einem Anschlag auf Armeerekruten, zu dem sich der IS bekannte, elf Menschen.

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