"Österreicher waren nettere Nachbarn"

Israelische Panzer auf dem Golan. In Sichtweite, wo einst UNO-Soldaten patroullierten, kämpfen jetzt „ausschließlich bösartige Typen“, wie ein General den Bürgerkrieg beschreibt.
Wo einst heimische Blauhelme auf dem Golan Dienst taten, tobt ungebremst der syrische Vielfrontenkrieg.

Unsere Köpfe sollen wir doch bitteschön hinter der Hügelkuppe lassen, ermahnt uns der israelische Offizier. Die Leute, die da unten im Tal Tag und Nacht aufeinander schießen, seien recht unberechenbar: "Und außerdem sind wir hier oben eigentlich der Todfeind."

"Hier oben", das ist die sogenannte Nase von Kuneitra, der letzte Außenposten der israelischen Armee an der Grenze. Dahinter liegt die gleichnamige Stadt: In Syrien und damit mitten in einem blutigen Bürgerkrieg. Für jene, die diesen Krieg rund um Kuneitra austragen – die schiitische Hisbollah, die mit der El-Kaida verbündete Al-Nusra-Front und die versprengten Reste der syrischen Armee – gilt Israel traditionell als Feind. Doch um den kümmert man sich momentan nicht.

"Das ist diesmal nicht unser Krieg", meint der ehemalige israelische General, Joshua Ben Anat, der uns Reporter hier herauf begleitet hat, fast erleichtert: "Und wir haben auch überhaupt keine Lust, da mitzuspielen." Heftiger seien die Gefechte in den letzten Wochen geworden, schildert ein Offizier die aktuelle Lage. Wie zur Bestätigung, folgt das dumpfe Grollen einer schweren Artilleriegranate. Gleich neben der Moschee in Kuneitra steigt eine Rauchsäule auf. Maschinengewehrfeuer als Antwort, dann wieder eine Granate. "Lässt sich kaum noch sagen, wer von den Kriegsparteien in welchem Gebäude sitzt", meint der Offizier: "Sicher ist nur, es gibt ein totales Machtvakuum – und in dem tummeln sich jetzt ausschließlich bösartige Typen."

Ganz so locker, wie sich das anhört, nimmt Israel den Krieg hier an seiner Nord-Ostgrenze natürlich nicht. Vor allem nicht, wenn sich eine Rakete der Hisbollah oder ein Kampfjet der Assad-Armee über die Grenze verirrt. "Uns ist egal, wer unsere Grenze verletzt. Wir schießen zurück. Einfach damit die da drüben gewarnt sind."

Massive Verstärkung

In den vergangenen Monaten hat man eine ganze zusätzliche Division am Golan stationiert, also zehntausend Mann inklusive schwerer Waffen und Panzer, bestückt mit Lenkwaffen der neuesten Generation, die wir auf keinen Fall fotografieren sollen. "Besser, wenn die drüben nicht wissen, wie wir hier aufgestellt sind." Viel mehr Waffen als jene, die wir hier oben zu sehen bekommen, soll die Armee in den Hügeln versteckt haben.

Dass über uns eine Drohne kreist, ist kein glücklicher Zufall für neugierige ausländische Journalisten, sondern alltägliche Aufklärungsarbeit der israelischen Armee.

Alltäglich für die Soldaten ist inzwischen auch eine ganz andere Art von Einsatz geworden: Die Versorgung von Verwundeten. Fast täglich tauchen unten am Grenzzaun verletzte Zivilisten auf. In dem blutigen Chaos der Gefechte um Kuneitra gibt es für sie keinerlei Hilfe. Also wenden sie sich verzweifelt an den eigentlichen Todfeind, die Israelis. 1500 verletzte Syrer hat die Truppe hier oben in den letzten eineinhalb Jahren verarztet.

"Österreicher waren nettere Nachbarn"

Der Chirurg Itzik Malka ist eigens für diesen Dienst hierher beordert worden. "Ich habe vorher noch nie so schreckliche Wunden gesehen", schildert er seine Erfahrungen, "auch weil es viele erst viel zu spät zum Grenzzaun schaffen".

Von dort können die Soldaten die Opfer oft erst nach vielen Stunden holen, wenn die Dunkelheit hereingebrochen ist. Bei Tageslicht, auch die Erfahrung musste man machen, wurde man viel zu schnell Ziel für übereifrige Scharfschützen.

So weit wie möglich werden die Verletzten im örtlichen Lazarett versorgt. Schwerere Fälle kommen in israelische Spitäler. Das aber lehnen auch viele der Syrer ab, so nahe wollen sie trotz schwerer Wunden dem Feind nicht kommen.

Also schickt man sie, notdürftig verarztet und mit Medikamenten und Verbänden versorgt, zurück über die Grenze. Eines aber, auch das mussten der Chirurg Malka und sein Team erst lernen, dürfe auf keinen Fall mit über die Grenze:"Alle hebräischen Aufschriften auf den Medikamenten müssen runter. Wenn die Islamisten unsere Patienten damit erwischen, gelten diese sofort als Verräter – und mit denen kennen die keine Gnade."

Kein Verständnis für UN

Hier an der Grenze denkt man heute fast wehmütig an die Jahre zurück, als in Syrien noch die Armee von Diktator Assad die vollständige Kontrolle hatte. Und direkt vor deren Nase, im Niemandsland zwischen Syrien und Israel, saßen fast vier Jahrzehnte lang die österreichischen Blauhelme.

Im Sommer 2013 zogen die 400 Mann vom Golan ab. Die Lage im eskalierenden Bürgerkrieg war nicht mehr zu kontrollieren, vor allem nicht mit einem UN-Mandat, das lediglich Beobachtung und kaum einmal Notwehr zuließ. Im Herbst vor einem Jahr schließlich waren mit den Philippinos auch die letzten Blauhelme von diesem Abschnitt des Golan verschwunden – während rundherum tagtäglich gekämpft und gestorben wurde. "Hätte da die UNO nicht etwas ändern können", fragt sich einer der Soldaten, "bevor sie einfach abhaut – und zwar dann, wenn’s ernst wird." In Israels kriegserfahrener Armee hat man seit jeher wenig Sinn für die heikle diplomatische Balance, die so ein UN-Einsatz mit sich bringt.

Die Quartiere der Blauhelme stehen jedenfalls noch – in Sichtweite der Israelis. Wer denn da jetzt darin Quartier bezogen habe, wollen wir wissen. Der Offizier lässt uns raten, nickt schließlich lächelnd, als wir auf die Islamisten von der Al-Nusra-Front tippen. "Da waren die Österreicher schon nettere Nachbarn" , kommentiert er die Lage trocken, um uns Reporter dann noch einmal raten zu lassen.

Der wichtigste Unterschied zwischen den Österreichern und den Islamisten? "Die österreichischen Blauhelme haben ihre Schlafstunde immer eingehalten, jeden Tag von zwei bis vier Uhr Nachmittag. Die von der Al-Nusra-Front, die schießen durchgehend."

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