NSA installierte Wanzen in Botschaftsbüros

Nicht nur Berlin stand im Visier der NSA. Auch Vertretungen von Paris, Rom und Athen wurden bespitzelt.

Die NSA steht nicht erst seit Edward Snowdens PRISM-Enthüllungen in der weltweiten Kritik. Dass die Nationale Sicherheitsagentur nun offenbar auch in Europa und dort vorrangig in Deutschland Daten im großen Stil abgeschöpft haben soll, ließ die Wogen nun noch einmal hochgehen. Der Spiegel berichtete unter Berufung auf Unterlagen des nach Moskau geflüchteten Geheimdienst-Gehilfen Edward Snowden, dass Deutschland Hauptziel der US-Kommunikationsüberwachung in Europa sei.

NSA installierte Wanzen in Botschaftsbüros
Weltkarte , eingefärbt nach Intensität der geheimdienstlichen Überwachung durch die USA Grafik 0815-13-USA.ai, Format 134 x 82 mm
Eine halbe Milliarde Verbindungen würden in Deutschland monatlich registriert. Schwerpunkte seien Frankfurt und Berlin, wo die Lauschangriffe vermutlich bis zur Bundeskanzlerin reichten, so derSpiegel. Deutschland sei laut den Unterlagen für die US-Geheimdienste ein „Partner dritter Klasse“, was der Definition eines Angriffsziels entspreche. Das geschehe mit Wissen von Präsident Obama, der vergangene Woche Berlin besuchte.

Eine Bestätigung der US-Regierung gab es dafür nicht. Am Sonntag versprach lediglich der oberste Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, die Aufklärung der Fragen der europäischen Partner. "Die US-Regierung wird der Europäischen Union angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten", hieß es in einer Erklärung. Außenminister John Kerry wies Kritik an den Spähprogrammen zurück. Es sei "nicht unüblich", dass Staaten Informationen über andere Länder sammelten, sagte Kerry am Montag nach einem Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton im südostasiatischen Brunei.

Wanzen in Botschaftsbüros

Doch nicht nur Deutschland stand im Visier des US-Geheimdiensts: Nach Informationen des Guardian wurden auch die diplomatischen Vertretungen von Frankreich, Italien und Griechenland in Washington und bei den Vereinten Nationen ausgespäht. Die NSA habe in den Botschaften und UN-Vertretungen unter anderem Wanzen installiert und Kabel angezapft, so die Zeitung unter Berufung Snowden. Insgesamt seien in den NSA-Dokumenten 38 Überwachungsziele genannt worden, darunter auch Japan, Mexiko, Südkorea, Indien und die Türkei.

Die EU-Kommission forderte rasch Klarheit. EU-Regionalkommissar Johannes Hahn erklärte am Rande einer Veranstaltung zur Donauraum-Strategie, es handle sich um ein merkwürdiges Verhalten unter Freunden. Aber es handle sich nicht um seine Domäne und es sei zuerst die juristische Seite zu klären.

Reaktionen aus Deutschland, Österreich

Während Kanzlerin Angela Merkel sich zu den jüngsten Enthüllungen bislang bedeckt hielt, zeigte sich Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck besorgt über die neuen Berichte. "Der Bundespräsident hält eine rasche Aufklärung für unverzichtbar", so eine Sprecherin Gaucks am Sonntag zur dpa.

Auch Bundeskanzler Werner Faymann war um baldige Verifizierung der Meldungen bemüht: „Den Wahrheitsgehalt der Berichte kann ich nicht prüfen, aber ich weiß, dass unser Innenministerium und das Verteidigungsministerium mit dem Heeresnachrichtendienst bemüht sind, mit den Regierungskollegen herauszufinden, was davon stimmt.“ Er sei überzeugt, "dass auf Ebene der Minister und Regierungschefs eine Stellungnahme erfolgt", so der Bundeskanzler weiter. "Aber wichtig ist in der internationalen Zusammenarbeit, dass man nicht nur auf Zeitungsberichte reagiert.“

Nutzen

Unter Berufung auf diese Kreise meldet der Focus, dass die CIA 2006 in Deutschland eine geheime Kommandooperation gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe ausführte. Davon hätten nur der Bundesnachrichtendienst und der Innenminister gewusst, aber keine anderen Stellen. Auf die Spur der drei Islamisten, die blutige Anschläge auf US-Basen in Deutschland vorbereitet haben sollen, waren die Deutschen nur durch die US-Überwachung gekommen.

Eine der schnellsten Wortmeldungen kam von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Exponentin des linken FDP-Flügels in der Regierung fühlte sich „an das Vorgehen unter Feinden im Kalten Krieg erinnert“. Das Abhören von EU-Vertretungen mit sogenannten Wanzen könne „nichts mit Terrorismus-Bekämpfung zu tun haben“, so die Justizministerin. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warnte bereits vor ernsthaften Konsequenzen für die Beziehungen zwischen EU und USA.

Die Grünen versuchten, Kanzlerin Merkel mitverantwortlich zu machen: Sie trage „die direkte politische Verantwortung, denn die Geheimdienstüberwachung liegt im Bundeskanzleramt“, so einer ihrer Sprecher.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte von Merkel, die „Hintergründe schnellstens aufzuklären, sollten sich die Verdächtigungen bestätigen, ginge das weit über legitime Sicherheitsinteressen der USA hinaus“.

Ein CSU-Abgeordneter verglich deren Aktivität mit dem Spitzelsystem der einstigen DDR-Geheimpolizei Stasi. Das wies der Leiter des staatlichen Stasi-Archivs, der ehemalige Bürgerrechtler Roland Jahn, umgehend als „völlig unverhältnismäßig“ zurück. Er plädierte für eine „qualifizierte Diskussion über den staatlichen Umgang mit Daten der Bürger“. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, zuständig für Taten gegen die innere Sicherheit, prüft jedoch die Einleitung von Ermittlungen.

Nicht zum ersten Mal stehen die USA im Verdacht, zentrale Gebäude der EU in Brüssel verwanzt zu haben. Im März 2003, unmittelbar vor einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, wurden Wanzen im Gebäude des EU-Ministerrates gefunden. Auch damals gab es den Verdacht, die USA könnten dahinterstecken, das wurde aber nie bestätigt - und der Fall auch nie offiziell aufgeklärt.

Wanzen "professionell angebracht"

Jedenfalls wurden damals in den Büros von sechs Delegationen - neben den fünf größten EU-Ländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien auch Österreich - Abhöreinrichtungen gefunden. Der militärische Bereich und der Sektor des damaligen "Außenministers", EU-Außenbeauftragter Javier Solana, sollen nicht betroffen gewesen sein. Die Wanzen seien in den Beton eingegossen gewesen, was auf eine "total professionelle Arbeit" hindeute, so der Sprecher der österreichischen EU-Botschaft, Georg Possanner, damals. Sie könnten durchaus schon beim Bau des Gebäudes, das am 29. Mai 1995 offiziell eröffnet wurde, installiert worden sein.

Der schwedische Botschafter Sven-Olaf Petersson sprach damals von "sehr komplexen Einrichtungen, die nur wenige Geheimdienste installieren können". Die Wanzen seien am 28. Februar 2003 gefunden worden und hingen an bestimmten Leitungen in den zentralen Schalteinheiten. Es gebe "viele Hinweise" dass die Abhöranlagen bei der Errichtung des Gebäudes eingebaut wurden.

Unbekannte Urheber

Der Urheber der Aktion sei unbekannt, betonten die Vertreter aller Mitgliedsländer, die französische Tageszeitung Le Figaro, die den Fall damals aufgedeckt hatte, spekulierte, die US-Amerikaner steckten dahinter. "Wir haben keinerlei Beweis, dass es die Amerikaner waren, aber auch keinen dafür, dass sie es nicht waren", sagte der Chefsprecher der Ratsverwaltung, Dominique-Georges Marro, dazu.

Auch ein Sprecher des deutschen Innenministeriums bestätigte den Fund und erklärte, "Urheber, Hintergrund und Umfang" der Spionageaktion seien "Gegenstand von intensiven Ermittlungen". Ein Ergebnis dieser Untersuchungen wurde aber nie bekanntgegeben.

Immerhin versuchte die EU mit Humor darüber zukommen: Die EU sei eine sehr transparente Organisation. Alle seien eingeladen, sich über die Web-Seite über die Union zu informieren und sich nicht solche Mühe zu machen, sagte der damalige griechische Außenminister und amtierende Ratsvorsitzende Georgios Papandreou, später Ministerpräsident des Krisenstaates.

Im EU-Ministerratsgebäude treffen sich nicht nur die Fachminister der Mitgliedsländer zu ihren regelmäßigen Sitzungen, sondern auch die Experten zu ihren Arbeitsgruppen. Jedes Land hat ein Delegationsbüro, wo nicht nur Wartezeiten überbrückt werden sondern auch die Besprechungen über die nationalen Positionen stattfinden.

Das 1995 eröffnete Ratsgebäude, das rund 280 Mio. Euro gekostet hat, war die erste Immobilie im Besitz der Union. Das Bauwerk verteilt sich auf vier Hektar bzw. eine Bruttofläche von 215.000 m2. Das Gebäude wurde nach "Justus Lipsius" benannt, einem 1547 im belgischen Overijse geborenen Historiker und Philologen, da eine der Straßen, die den Bau begrenzen, früher nach ihm hieß.

Unterdessen geht das Hin und Her um den zukünftigen Aufenthalt von Edward Snowden weiter. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa hat die Verantwortung über das weitere Schicksal des flüchtigen früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Russland zugewiesen. Um Snowdens Asylantrag bearbeiten zu können, müsse er sich auf ecuadorianischem Boden befinden, sagte Correa am Samstagabend dem Privatsender Oromar.

NSA installierte Wanzen in Botschaftsbüros
epa03758643 Ecuadorean President Rafael Correa smiles at the crowd during a military act at the Presidential Palace in Quito, Ecuador, 24 June 2013. Correa announced that his government will decide with 'absolute sovereignty' on the political asylum for former CIA technical contractor Edward Snowden, accused of espionage by the US that demands his extradition. EPA/JOSE JACOME

"Derzeit aber liegt die Lösung, sein weiteres Reiseziel, in den Händen der russischen Behörden", fuhr der Präsident fort. Er bekräftigte, sein Land könne nichts für die derzeitige Situation. Snowden stehe in Kontakt mit Wikileaks-Gründer Julian Assange, der ihm zu dem Asylantrag geraten habe. Snowden ist diesem Rat bereits nachgekommen und hat um Asyl in Ecuador angesucht.

Biden intervenierte

Correa hatte am Samstag bekannt gegeben, dass US-Vizepräsident Joe Biden mit ihm gesprochen habe. Biden habe ihn in einem Telefongespräch am Freitag "in knapper Form" mitgeteilt, dass die USA von Ecuador die Ablehnung des Asylantrags Snowdens erwarteten. Der Präsident erklärte nun, seine Regierung werde sich die Argumente der US-Behörden anhören, die Entscheidung über ein Asyl liege aber letzten Endes bei ihr. Snowdens Enthüllungen über geheime britische und US-Programme zur Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation bezeichnete Correa als "größten Spionagefall in der Menschheitsgeschichte".

Die USA suchen Snowden als Enthüller umfassender Überwachungsprogramme des US-Geheimdiensts NSA per Haftbefehl. Sie fordern seine Auslieferung und haben seinen US-Pass entwertet, weshalb der 30-Jährige nach Darstellung Russlands seit Sonntag im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo festsitzt.

Kein Handlungsbedarf in Moskau

Der Kreml wiederum sieht trotz wiederholter Aufforderungen aus den USA keinen akuten Handlungsbedarf. "De jure ist Snowden nicht nach Russland eingereist, er hat die Grenze nicht überquert", sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Sonntag dem Radiosender Echo Moskwy.

Putin beschäftige sich nicht mit dem Schicksal des 30-Jährigen, der seit einer Woche im Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo festsitzt, behauptete Peskow. Der Präsident gehe davon aus, dass sich die Geheimdienste darum kümmern.

Asyl in Venezuela?

Mit Spannung wurde in Russland die Ankunft von Venezuelas Präsidenten Nicolas Maduro erwartet, der an diesem Montag an einer Energie-Konferenz teilnimmt. Maduro hatte gesagt, sein Land werde Snowden bei einer Anfrage "fast sicher" politisches Asyl gewähren.

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