NSA

Geheimdienst relativiert Snowden-Schaden

Obwohl Snowden nicht alles "herunterziehen" konnte, der Schaden bleibt.

Der Fall rund um die Spähprogramme der National Security Agency (NSA) jährte sich am Donnerstag zum ersten Mal. Passend zum "Jahrestag" relativiert US-Geheimdienstkoordinator James Clapper nun den Schaden. Die Washington Post zitiert Clapper, wonach der US-Geheimdienstenthüller Edward Snowden offenbar weniger Dokumente an sich gebracht hat als zunächst vermutet. "Einige Dinge, von denen wir dachten, dass er sie hat, hat er anscheinend doch nicht bekommen."

"Wir untersuchen das noch weiter, aber wir glauben, dass er vieles von dem, was er sich angesehen hat, nicht herunterziehen konnte", sagte Clapper. Der Schaden für die Geheimdienste durch die Enthüllungen zu ihren Spähprogrammen sei dennoch "immens".

Keine Sorge um Army

Clappers Einschätzung, berichtete die Washington Post auf ihrer Internetseitedie, weiche von den anfänglichen Befürchtungen der US-Geheimdienste ab, dass Snowden auch in das Kommunikationsnetz des US-Militärs eingedrungen sein könnte. Die Sorge sei nun unbegründet.

Snowden war über das Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton als externer Computerexperte für die NSA tätig gewesen und konnte sich so vertrauliche Informationen über die Spähprogramme von den Servern des Geheimdienstes herunterladen. Ende Mai 2013 setzte er sich nach Hongkong ab, wo er die Unterlagen dann Anfang Juni 2013 den Medien zuspielte.

Die Enthüllungen brachten einen massiven Überwachungsapparat ans Licht: Die NSA späht demnach nicht nur im großen Stil die Telefon-und Internetkommunikation von Menschen in aller Welt aus, sondern nahm über mehrere Jahre auch Spitzenpolitiker befreundeter Staaten wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Visier.

300 Dokumente veröffentlicht

Die US-Geheimdienste haben das Snowden-Material nach Informationen der Washington Post in drei Kategorien eingeteilt. Rund 300 Dokumente seien in den USA und anderen Ländern bereits veröffentlicht worden, weitere 200.000 Dokumente hätten Snowden und seine Mitstreiter an die Medien übergeben.

Die dritte Kategorie betrifft den Angaben zufolge Geheimdienstunterlagen, die Snowden mitgenommen haben soll und deren derzeitiger Status unklar ist. Die US-Dienste gehen mittlerweile davon aus, dass es sich hierbei um 1,5 Millionen Dokumente handelt. Erste Schätzungen seien noch von 1,77 Millionen Dokumenten ausgegangen, berichtete die Washington Post.

Snowden hält sich seit vergangenem Sommer an einem geheimen Ort in Russland auf, das ihm für ein Jahr politisches Asyl gewährt hat. Die US-Justiz sucht den 30-Jährigen mit einem internationalen Haftbefehl und wirft ihm unter anderem Spionage vor.

Zwölf Monate sind vergangen seit Edward Snowden mit seinen Enthüllungen ein Erdbeben auslöste. Am 5. Juni 2013 erfuhr die Welt, dass die USA mit ihren Geheimdiensten weit mehr ausspionierten als legal war, dass sie sogar verbündete Staatschefs abhörten und de facto unkontrolliert in die Privatsphäre der Menschen eindrangen. Doch wie das so ist mit politischen Erdbeben: Sie erregen, lösen Empörung aus, leiten kurzfristige Änderungen ein – werden mit der Zeit aber auch schnell wieder vergessen. Zum ersten Jahrestag des NSA-Skandals stellt sich demnach die Frage: Hat Edward Snowden den großen Wandel bewirkt?

Gerichtsbeschluss für Telefondaten

Ein Blick auf das Heimatland des Skandals, die USA, zeigt: Jein. Kleine Schritte wurden unternommen, große Meilensteine bis heute unterlassen. Eine offiziell unabhängige Expertengruppe hat die Praktiken der NSA untersucht und anschließend dem Weißen Haus 46 Änderungsvorschläge unterbreitet. Unter anderem schlugen sie vor, die NSA künftig von einem zivilen Chef statt einem General leiten zu lassen, die Daten von Europäern besser vor einem Zugriff der USA zu schützen und das geheim tagende Gericht Foreign Intelligence Surveillance Court (Fisc) zu reformieren.

Geheimdienst relativiert Snowden-Schaden
Der Spruch "Yes we scan" entstand im Internet und wurde auch durch diese Plakat-Montage bekannt.

Barack Obama ist allerdings nur auf wenige Vorschläge der Kommission eingegangen. "Die Geheimdienste sollten nicht unbedingt alles tun, nur weil sie es tun können", rang sich der US-Präsident in einer Erklärung ab, die Methoden der NSA zur Datensammlung wurden aber kaum geändert. Telefondaten darf die NSA nun nicht mehr selbst speichern. Auch ein Zugriff auf die Daten soll künftig mit Gerichtsbeschluss erfolgen, und das auch nur bei einem konkreten Verdacht gegen bestimmte Personen. Staatschefs sollen außerdem nicht mehr ausspioniert werden.

Bei diesem Punkt dürfte vor allem Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel aufatmen. Als bekannt wurde, dass auch sie von der US-Spionage betroffen ist, brannte der Hut. Erstmals reagierte die deutsche Regierung spürbar empört ob der Enthüllungen. Merkel telefonierte persönlich mit Obama und verlangte umfassende Aufklärung. Ein No-Spy-Abkommen wurde anschließend initiiert, die Verhandlungen gelten allerdings schon jetzt als gescheitert.

Kein EU-Schutz für Snowden

Auf EU-Ebene zeigte sich besonders das Parlament als Verfechter der Privatsphäre. Ein Ausschuss wurde beauftragt, der den NSA-Skandal und seine Auswirkungen auf die EU-Bürger untersuchen sollte. Dutzende Experten, darunter auch Snowden selbst, wurden angehört. Ein abschließender Bericht stellte die Legalität und das Ausmaß der Überwachung in Frage, unterstellte der NSA Wirtschaftsspionage und beinhaltete eine lange Liste von Forderungen. Diese richten sich nicht nur gegen die USA, sondern auch gegen EU-Mitgliedstaaten – darunter Deutschland, das seine Geheimdienstgesetze überprüfen solle. Der Bericht wurde vom Plenum verabschiedet, Anträge auf tatsächlichen Schutz für Whistleblower Snowden blieben aber in der Minderheit. Ein Wandel im Verhalten der meisten Internet-Nutzer blieb ebenso aus, auch wenn viele nun vermehrt auf Verschlüsselung setzen.

Geheimdienst relativiert Snowden-Schaden
Die europäischen Grünen demonstrieren ihre Unterstützung für Edward Snowden sehr anschaulich: Bei einer Abstimmung zu den NSA-Spähprogrammen votieren sie mit Snowden-Masken.

Und die UNO? Diese hat eine Resolution zum Schutz der Privatsphäre angenommen. Die Resolution geht auf einen Vorstoß von Deutschland und Brasilien zurück und ist eine direkte Reaktion auf die Spionageaffäre. Allerdings wurde sie auf Druck der USA und der anderen Mitglieder der Five Eyes (Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland) im Vorfeld abgeschwächt.

US-Bürger wollen Strafverfahren

Das bleibende Spuren ausgeblieben sind, ist besonders für Edward Snowden bitter. Schließlich zeigte er sich in mehreren Interviews besorgt, ob sein Handeln überhaupt etwas bewirken könne. Das sich gar nichts ändert, sei seine größte Angst. Er selbst hat bekanntlich seine Bewegungsfreiheit eingebüßt: Immer noch steckt er in Moskau fest, wo Ende Juli sein Bleiberecht ausläuft. Eine Rückkehr in seine Heimat ist unwahrscheinlich. Ein Großteil der US-Bürger lehnt seine Motive ab und will Snowden vor ein Strafgericht stellen.

Doch selbst wenn die großen Reformen bisher ausblieben, Snowden hat die unterschätzte Macht der Geheimdienste aufgedeckt und damit eine Debatte in Politik und Zivilbevölkerung ausgelöst. Viele zeigen sich solidarisch mit dem Whistleblower, bezeichnen ihn sogar als Helden. Zumindest im öffentlichen Bewusstsein hat sich also etwas bewegt – wenn auch das große Erdbeben ein Jahr danach größtenteils vergessen scheint.

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