Zwischen Privatsphäre und Bequemlichkeit

Zwischen Privatsphäre und Bequemlichkeit
Der KURIER wirft Schlaglichter auf die Debatte über den Datenschutz.

Geheimdienste ziehen Daten von Internet-Unternehmen wie Google und Yahoo ab und hören bei Telefonaten mit. Internet-Firmen nutzen persönliche Informationen ihrer Kunden häufig ungefragt zu Werbezwecken.

Vielen Nutzern ist das egal. „Ich bin über meine Privatsphäre nicht besorgt“, sagt Neil Harbisson. Der 31-jährige britisch-irische Künstler, der einen Chip in seinem Kopf implementiert hat und als erster Mensch von einer Regierung als Cyborg (eine technisch veränderte biologische Lebensform) anerkannt wurde, hat mit der Überwachung der US-Geheimdienste und der Nutzung seiner Daten im Netz kein Problem. Die Generation, die mit Facebook aufgewachsen sei, habe eben eine andere Vorstellung von Privatsphäre, meint Harbisson: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass alles öffentlich ist und es keine Geheimnisse mehr gibt.“

„Nutzer müssen abwägen“

Pragmatischer betrachten zwei führende Ingenieure aus dem Silicon Valley, die ebenso wie Harbisson vergangene Woche beim Pioneers-Festival in Wien zu Gast waren, die Debatte über den Datenschutz. Jeder Nutzer müsse zwischen seiner Privatsphäre und der Bequemlichkeit abwägen, die neue Technologien mit sich bringen, sagt Vishal Sharma. Der indischstämmige US-Amerikaner war bis vor Kurzem führender Manager beim Internet-Unternehmen Google, wo er den Dienst Google Now verantwortete. Die Erweiterung der Google-Such-Anwendung am Smartphone und Tablet ist eine Art persönlicher Assistent, der auf Basis privater Daten das Verhalten seiner Nutzer vorhersagen soll. Google Now erinnert an Termine, gibt Routenvorschläge und empfiehlt Filme in Kinos in der Umgebung. Noch sind Dienste wie Google Now, die tiefer in die Privatsphäre eindringen als herkömmliche Systeme, nicht wirklich ausgereift, schon bald könnten sie aber traditionelle Suchmaschinen ersetzen.

Bequemlichkeit hängt von der Personalisierung ab“, findet Adam Cheyer, der 2007 das Start-up Siri mitgründete, das ebenfalls einen virtuellen Assistenten entwickelte. Heute ist Siri, das auf Sprachbefehle reagiert, auf fast allen iPhones vertreten. Die Personalisierung von Angeboten beruhe darauf, dass Nutzer Einblick in ihre privaten Daten geben, sagt Cheyer. Wie viel jeder von sich preisgeben wolle, müsse er selbst entscheiden. „Unternehmen müssen aber im Umgang mit den Daten transparent sein.“

„Technologie ist nicht neutral“

Lässt sich der Datenschutz auf die Frage des Tausches der Privatsphäre gegen Bequemlichkeit reduzieren? Nein, sagt Marleen Stikker, von der niederländischen Waag Society, die kreative Nutzungen von Technologien untersucht. Die Internet-Überwachung der Geheimdienste habe kaum Auswirkungen auf das Nutzerverhalten. Immerhin würden nun aber Fragen aufgeworfen und es sei nicht mehr selbstverständlich, dass Daten einfach verwendet würden. „Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was Technologien bewirken“, gibt Stikker zu bedenken. „Technologien geben Regeln vor. In unserer Gesellschaft neigen wir dazu, sie als etwas Neutrales zu betrachten.“

Die kritiklose Haltung gegenüber neuen Technologien sei die Wurzel allen Übels, sagt der Medientheoretiker Konrad Becker. Er hält es für eine bedenkliche Entwicklung, dass Google, Facebook & Co. die Standards festlegen, wie Abläufe in digitalen Netzwerken strukturiert sind.

Becker tritt dafür ein, unabhängige Strukturen zu stärken: „Immer weniger Leute haben immer mehr Kontrolle über die große Teile der digitalen Kommunikations-Infrastruktur. Die Nutzer sind immer am schwächeren Ast zu Hause.“ Technologien würden mit dem Argument verkauft, dass sie unser Leben angenehmer und einfacher gestalten, mahnt Becker: „Was aber an tatsächlichen Kosten auf die Gesellschaft zukommt, ist eine Rechnung, die nicht mehr so gut aussieht.“

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