Rettung lässt noch auf sich warten

Jesidische Frauen und ihre Kinder am Ziel – sie haben überlebt: die Flucht vor den Islamisten, Belagerung und den Marsch durch die Wüste
Jesidische Flüchtlinge im Wettlauf gegen den Tod.

Für 20.000 bis 30.000 Flüchtlinge im nordirakischen Sindschar-Gebiet ist es ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit. Seit über einer Woche harren sie im sengend heißen Gebirge aus, während sie von den radikal-islamischen Kämpfern der IS ("Islamischer Staat") belagert werden. Der KURIER versucht zu erklären, warum die Rettung der Flüchtlinge so schwierig ist und warum die Bemühungen, die Dschihadisten zurückzudrängen, kaum vom Fleck kommen.

Warum können die Flüchtlinge nicht einfach in die sichere Kurden-Region ausgeflogen werden?

Bei Versorgungsflügen werden immer wieder Flüchtlinge mitgenommen. Doch die Helikopter können nur wenige Menschen transportieren, große Flugzeuge im Sindschar-Gebirge nicht landen. Zudem werden die Hubschrauber von den Islamisten beschossen. Ein 20 Kilometer langer Landweg durch die Wüste führt zunächst nach Syrien und von dort aus wieder in den Irak. Diesen Weg haben zuletzt Zehntausende Menschen genommen. Doch ihn kann nur bewältigen, wer noch selbst gehen kann – unmöglich für Tausende Kinder und Ältere.

Rettung lässt noch auf sich warten
Weapon handlers carry an air to air missile from a F/A-18F Super Hornet of Strike Fighter Squadron (VFA-213) onboard the flight deck of the aircraft carrier USS George H.W. Bush (CVN 77), in the Gulf August 12, 2014. Planes have been taking off from the USS George H.W. Bush (CVN77) to strike key positions taken over by the Islamic State fighters in Iraq. U.S. President Barack Obama has authorised air strikes to confront the Islamist fighters in various cities of Iraq. REUTERS/Hamad I Mohammed (MID-SEA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST MILITARY MARITIME)
Warum kann die US-Luftwaffe nicht eingreifen?

Entsprechende Rettungspläne gibt es, doch sie sind riskant. Ohne amerikanische Soldaten auf irakischem Boden ist so ein Einsatz nicht zu machen. Das aber hatte Präsident Obama immer wieder versprochen: Keine US-Soldaten mehr im Irak.

Wollen die radikalen Islamisten der IS diese Menschen tatsächlich alle töten oder sterben lassen?

In ihrem Machtbereich, in dem sie ein "Kalifat" ausriefen, dulden die Dschihadisten nur Sunniten – und auch nur solche, die sich der Gewalt der religiösen Fanatiker bedingungslos fügen. Nach Eroberungen verfahren die IS-Kämpfer überall gleich: Jesiden, Turkmenen, Schiiten, Christen und alle anderen Minderheiten, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, werden getötet, ihre Häuser gesprengt, ihr Vermögen konfisziert, junge Frauen versklavt. Im günstigsten Fall werden die Eroberten vor die Wahl gestellt: sofort konvertieren – oder sterben.

Die Terrormilizen der IS beherrschen ein Drittel des Irak und einen Teil Syriens. Wie konnten sie blitzkriegartig so viele Gebiete erobern?

Im Irak haben die ultra-radikalen sunnitischen Kämpfer im Windschatten der Terrororganisation El Kaida vor zehn Jahren begonnen. Im syrischen Bürgerkrieg wuchsen sie zu einer militärischen, gut organisierten und vom Ausland finanzierten Kraft heran. Dort eroberten sie große Bestände der syrischen Armee und errichteten in der Stadt Rakka eine Art Hoheitsgebiet. Wer dort nicht pariert, wird gekreuzigt – das zeigt ein neues, erschreckendes Video des Online-Mediums Vice: Mitten auf einem lebhaften Stadtplatz hängt ein gekreuzigter Mann, während Dutzende Menschen ihn mit Smartphones fotografieren.

Von Syrien aus startete die IS heuer mit Jahresbeginn ihren Vormarsch im Irak: Dabei erbeutete sie riesige Mengen modernste, amerikanische Waffen aus Beständen der irakischen Armee.

Will die IS den ganzen Irak erobern?

Im Augenblick gehe es der IS darum, sagen Militäranalytiker, ihr erobertes Gebiet zu konsolidieren. Mossul soll dabei die Hauptstadt ihres "Kalifates" im Irak sein. Einziger Unterschied zwischen den Fanatikern der IS in Syrien und im Irak: Im syrischen "Kampf gegen die Ungläubigen" sind ausländische Dschihadisten gern gesehen. Mehrere Tausend Ausländer, darunter auch geschätzte hundert aus Österreich, kämpfen in ihren Reihen. Im Irak bleibt man hingegen unter sich. Dafür kann die IS hier auf die lokale sunnitische Bevölkerung und die Stämme zählen. Überlebende assyrisch-christliche Flüchtlinge berichten, dass sich arabische Nachbarn bei IS-Massakern beteiligt haben sollen.

Warum können die Luftschläge der USA die Dschihadisten nicht stoppen?

Seit Freitag hat die US-Luftwaffe an die 20 Einsätze gegen Stellungen und Konvois der IS geflogen – viel zu wenige, um eine militärische Wende herbeizuführen. Alle Angriffe werden von einem Flugzeugträger im Persischen Golf geflogen. Der verfügt zwar über 70 Kampfflugzeuge, doch das größte Problem der USA ist derzeit ein anderes: Um genaue und mehr Ziele am Boden auszukundschaften, haben die USA zu wenig Mann vor Ort. Zu den bereits im Juni geschickten 300 Mann hat Washington deshalb weitere 130 "Militärberater" ins kurdische Erbil entsandt. Zudem liefern die USA ihren kurdischen Verbündeten ("Peschmerga-Milizen") seit Montag über Jordanien und Israel Waffen. Auch Frankreich und Großbritannien haben mit Waffenlieferungen an die Kurden begonnen. Deren Waffenarsenal stammt großteils noch aus alten sowjetischen Beständen.

Aber auch mit besseren Waffen haben die Kurden-Milizen nur eine Aufgabe: Die autonome Kurden-Region, wo sich derzeit Hunderttausende Flüchtlinge aufhalten, vor den anrückenden Islamisten zu verteidigen – und nicht, den Irak von den Dschihadisten zu befreien.

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