SPD-Vorteil im heißen Wahljahr

Das deutsche Bundesland Niedersachsen steht nach zehn Jahren vor einem Regierungswechsel.

Was die Umfrage-Gurus zuletzt voraussagten, trat am Sonntag dramatischer ein als seit Jahrzehnten erlebt: Die beiden Lager lagen am Wahlabend stundenlang so gleich auf, dass die Aussage über den Sieger unmöglich war. Erst um 23 Uhr signalisierte die Wahlleiterin eine hinreichende Klarheit: Danach hat Rot-Grün mit einem Mandat Vorsprung die neue Mehrheit im Landtag im Hannover.

Der SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil wird damit neuer Ministerpräsident. Er löst den bisher regierenden CDU-Mann David McAllister ab. Weil will, wie er schon ankündigte, trotz des extrem geringen Vorsprungs von ein paar hundert Stimmen bei sechs Millionen Wahlberechtigten mit Grün regieren. Eine große Koalition lehnt die SPD ab, weil sie dann als zweitstärkste Partei hinter der CDU nicht den Regierungschef stellen würde.

Die zweite Überraschung des Wahltags war die Trendwende für die seit Jahren im Dauertief siechende FDP. Sie blieb entgegen manchen Umfragen nicht nur im Landtag, sondern konnte sogar ihr Ergebnis von 2008 verbessern und erreichte fast zehn Prozent. Die „Linke“ hingegen flog aus dem Landtag.

Mitverantwortlich für den fast einmaligen Wahlkrimi war ein hyperkompliziertes Wahlrecht mit sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten, die in den Hochrechnungen des frühen Abends nicht ausreichend berücksichtigt werden konnten.

Trends

Diese Landtagswahl wurde aber nicht nur wegen des selten knappen Rennens mit mehr Spannung bundesweit verfolgt als alle anderen 12 der Legislaturperiode. Weil sie die letzte vor der Bundestagswahl im September war, sollte sie nicht nur Trends dafür zeigen, sondern setzen.

Die sind nach der Zitterpartie des Abends für SPD und Grüne wieder hoffnungsvoller. Mit Niedersachsen gelang es ihnen, in allen Landtagswahlen der Legislaturperiode seit 2009 die Macht zu erringen oder zu bewahren und die CDU-Ministerpräsidenten zu entthronen. Im Bundesrat hat Rot-Grün nun eine Zwei-Drittel-Mehrheit, gegen die die schwarz-gelbe Koalition von CDU-Chefin und Kanzlerin Merkel praktisch keine Gesetze mehr durchsetzen kann.

Die SPD geht nun mit neuem Schwung in den Bundestagswahlkampf, auch wenn sie zum rot-grünen Wahlsieg selbst nur zwei Prozent Stimmengewinn beigetragen hat, die Grünen aber den Löwenanteil von sechs Prozent.

Den Auftrieb des Regierungswechsels brauchen die Sozialdemokraten nach der Pannenserie ihres Kanzlerkandidaten auch dringend. Peer Steinbrück räumte am Wahlabend noch vor Bekanntwerden der Entscheidung seine Mitverantwortung am bescheidenen Erfolg der SPD ein. Aber schon da signalisierte SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass ein Rücktritt von Steinbrück kein Thema sei, so wie das in den letzten Wochen in der Partei und den Medien breit diskutiert wurde.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis verlor die CDU 6,5 Punkte, blieb aber mit 36,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SPD, die auf 32,6 Prozent (plus 2,3) kam. Die Grünen erzielten 13,7 Prozent (plus 5,7), die FDP erreichte 9,9 (plus 1,7) und die Linke 3,1 Prozent (minus 4,0). Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ergibt sich folgende Sitzverteilung: CDU: 54; SPD: 49; Grüne: 20; FDP: 14. Das bedeutet eine Ein-Stimmen-Mehrheit im neuen Landtag für Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb mit 69 zu 68 Mandaten.

Die drei Jahre der bürgerlichen Koalition von Kanzlerin Merkel waren geprägt vom politischen und personellen Elend ihres kleinen Koalitionspartners. Mit der von keiner Umfrage festgestellten Renaissance der FDP im viertgrößten Bundesland scheint deren Existenzangst nun geringer und ihr Verbleib auch im Bundestag sicherer.

Dies eröffnet Merkel eine zweite Option zum Machterhalt neben der Wiederauflage der Großen Koalition mit einer widerspenstigen SPD: Die Fortsetzung der jetzigen. Dafür aber muss Merkel ihre derzeit stratosphärischen Zustimmungswerte noch in CDU-Stimmen wandeln. In Niedersachsen ist ihr das trotz des heftigen Einsatzes im Wahlkampf viel zu wenig gelungen. Und das trotz der SPD-Schwäche durch deren bisher glücklosen Kandidaten Steinbrück. Fix ist nach diesem Kopf-an-Kopf-Rennen nur: Auch im Bund wird es nun noch spannender.

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