"Mr. Putin, bringen Sie meine Kinder nach Hause"

Zwei Flugbegleiterinnen am Flughafen Schiphol in Amsterdam
Die Niederlande gedenken der MH17-Opfer - eine Mutter wendet sich mit emotionalem Appell an Putin.

Im Osten der Ukraine wird langsam mit den Aufräum- und Ermittlungsarbeiten begonnen – die Niederlande befinden sich nach wie vor in einem Schockzustand: In großen Traueranzeigen hat die Regierung allen 298 Opfern des mutmaßlichen Flugzeugabschusses in der Ostukraine ihren Respekt bezeugt. "Geschockt und Traurig" war in der Anzeige zu lesen, die am Dienstag in allen überregionalen Zeitungen erschienen ist. Ministerpräsident Mark Rutte unterzeichnete die Anzeige im Namen des Königreiches.

"Fuck die Raketen!!!“

"Mr. Putin, bringen Sie meine Kinder nach Hause"
epa04325757 The Dutch government honors the victims of the MH17 plane crash in Ukraine with a full-page advertisement in Dutch newspapers, as seen here in Rijswijk, The Netherlands, 22 July 2014. The advertisement with the title 'Geschokt en verdrietig' (Shocked and sad) contains the 298 names of the victims. Malaysia Airlines flight MH17 crashed in a separatist-controlled area in eastern Ukraine on 17 July, killing all 298 people aboard. It was suspected to have been shot down by a missile. EPA/REMKO DE WAAL
Auch beide Kammern des Parlaments, Reiseveranstalter, der Amsterdamer Flughafen Schiphol und die Fluggesellschaft KLM, platzierten große Anzeigen. Viele Organisationen gedachten des international renommierten Aids-Forschers Joep Lange und seiner Partnerin Jacqueline van Tongeren, die beide auf dem Weg zur Welt-Aids-Konferenz in Melbourne gewesen waren. "Fuck die Raketen!!!" steht über der Traueranzeige des Amsterdamer Theaters Stadsschouwburg für einen umgekommenen Kollegen.

Die Angehörigen der Passagiere hingegen warten noch immer darauf, dass ihre Familienmitglieder und Freunde in die Niederlande überstellt werden. Die Leichen aller Opfer sind zwar mittlerweile nach Charkiw gebracht worden, aber auch am fünften tag nach dem verheerenden Unglück ist nicht klar, wann sie in ihre Heimatländer zurückgebracht werden.

Flehentlicher Appell

Silene Frederiksz - sie verlor ihren 23-jährigen Sohn Bryce und seine Freundin Daisy – hat ihre Verzweiflung in einem Fernsehinterview zum Ausdruck gebracht: "Mr. Putin. Bringen Sie meine Kinder nach Hause," flehte die Mutter aus Rotterdam im niederländischen Fernsehen in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ihr Sohn und dessen Freundin waren auf dem Weg in den Urlaub auf Bali. Die Vorstellung, dass die sterblichen Überreste ihrer Liebsten seit Tagen irgendwo liegen, dass sie hin- und hergeschleppt werden, sei für sie unerträglich. "Es ist respektlos, mir fehlen die Worte."

Warten auf Beerdigung

Bilder von plündernden Rebellen und auch von Journalisten, die in Koffern der Toten wühlen, entsetzen viele – wie auch Ruud Lahaye aus Maastricht. Er verlor seinen Bruder John (54) und dessen Freundin Lilian. "Wir können hier total nichts tun. Es dauert sicher noch sechs Wochen, bevor wir sie zurückbekommen. Erst dann können wir an eine Beerdigung oder einen Abschiedsgottesdienst denken."

Schlagartig wird vielen auch bewusst, dass ihre Kinder, Eltern oder Freunde Opfer eines fernen Krieges wurden. Hans de Borst, Vater der 17-jährigen Schülerin Elsemiek, schrieb einen emotionalen Brief an Putin, die ukrainische Regierung und die prorussischen Rebellen: "Danke für die Ermordung meines einzigen und lieben Kindes. Plötzlich ist sie nicht mehr da. Aus der Luft geschossen. In einem fremden Land, in dem Krieg herrscht."

"Was zur Hölle ist da los?“

Ähnliche Gefühle bewegt auch die Angehörigen der zehn britischen Opfer. "Was zur Hölle ist da los? Dass die Rebellen die Leichen mitgenommen haben, macht mir Angst", sagte Hugo Hoare, dessen Bruder in dem Flugzeug saß, dem Daily Telegraph. "Das erste was mir in den Sinn kam, war, was, wenn sie diese als Druckmittel bei Verhandlungen nutzen?"

Barry Sweeney, dessen 28 Jahre alter Sohn Testspiele seines Lieblings-Fußballvereins Newcastle United in Neuseeland sehen wollte, sagte dem Daily Mirror: "Die Berichte über das, was dort passiert, machen mich krank. Ich will einfach nur meinen Liam zurück." Vor allem die Bilder der Leichensäcke seien unerträglich. "Aber ich hoffe, dass Liam in einem liegt."

Kein Respekt

Die Last für die Familien und Freunde sei unbeschreiblich, erläuterten Psychologen im niederländischen Radio. Solange ihre Liebsten nicht zurückgekehrt seien, könne auch der Trauerprozess nicht beginnen. "Das Gezerre mit den Leichen hilft nicht und ist sehr respektlos", sagte Harry Crielaars von der niederländischen Opferhilfe im Radio. Entscheidend für die Verarbeitung des Verlustes sei auch die lückenlose Aufklärung.

"Dies ist der Schmerz von Hunderten Niederländern"

Doch die Untersuchung der Ursachen des Absturzes ist längst Zündstoff eines internationalen Konflikts. Viele fürchten, dass das menschliche Schicksal zur Nebensache wird. Jede Art der Anerkennung kann dem entgegenwirken, sagen Trauma-Experten. Zeitungen, die Fotos der Opfer veröffentlichen, und öffentliche Zeugnisse von Mitgefühl - wie etwa das Treffen der Angehörigen mit König Willem-Alexander und Königin Maxima am Montag.

Die Tageszeitung De Volkskrant veröffentlichte eine Mail und ein Foto. Das Selfie eines lachenden jungen Paares kurz vor dem Abflug aus Amsterdam. Karlijn Keijzer (25) und ihr Freund Laurens van der Graaf (30) freuten sich auf den Urlaub in Indonesien. "Das einzige, worum ich Sie bitte", schrieb Karlijns Bruder Rutger der Zeitung: "Zeigen Sie bitte den Niederlanden und der Welt, welchen Schmerz ich, meine andere Schwester und meine Eltern jetzt durchmachen. Dies ist der Schmerz von Hunderten Niederländern."

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