"Nicht der Präsident, der zu Jungen sagt: Halt, hierbleiben!"

Oft im Clinch mit der Regierung: Bulgariens Präsident Plewneliew
Rossen Plewneliew treibt die Politikerkaste seines Landes vor sich her – auch in Sachen Sanktionen gegen Moskau.

Eine Art Kalter Krieg herrscht zwischen Bulgariens sozialistisch geführter Regierung und dem parteilosen Staatschef Rossen Plewneliew (49). Als Bauunternehmer in Deutschland reich geworden, eckt der jungenhaft wirkende, stets höfliche Präsident mit einem betont selbstständigen Kurs oft bei Regierung und Parlament an. Nicht so in der Bevölkerung: Im ärmsten Land der EU, das im Vorjahr von monatelangen Protesten gegen die als korrupt geltende Politikerkaste erschüttert wurde, ist der Selfmade-Millionär der beliebteste Politiker des Landes.

KURIER: Bulgarien stemmt sich gegen mögliche EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Warum?

Rossen Plewneliew: Die Regierung vertritt diese Haltung. Aber hoffentlich versteht auch sie, dass wir uns als europäische Familie in einer Situation befinden, wo nicht Excell-Tabellen im Spiel sein sollen – sondern nur unsere Werte. Was Russland gemacht hat, stellt den Rechtsstaat infrage. Die Regierung muss noch einmal überlegen, und deshalb habe ich für Montag den Sicherheitsrat einberufen, um noch einmal über Werte zu debattieren – nicht über Kostenrechnungen.

Und Ihre Position zu Sanktionen gegenüber Russland?

Russland hat die Krim okkupiert und annektiert. Das ist völlig inakzeptabel. Die ganze Welt ist in einer Lage wie seit Ende 1945 nicht mehr. Bis jetzt wussten Europa und Russland, was der andere nicht machen wird, wo die roten Linien sind. In der Krim wurde diese rote Linie überschritten. Russland weiß heute, was wir nicht machen werden. Aber wir wissen nicht mehr, wo Russlands rote Linien sind.

Bulgariens Wirtschaft hängt stark von Russland ab und hätte bei Wirtschaftssanktionen doch viel zu befürchten?

"Nicht der Präsident, der zu Jungen sagt: Halt, hierbleiben!"
Bulgariens Präsident Rossen Plewneliew
Unsere Wirtschaft hat sich schon stark diversifiziert. Vor 25 Jahren hingen wir wirtschaftlich zu 90 Prozent von Russland ab. Aber heute machen wir 65 Prozent unseres Außenhandels mit der EU, die größten Investoren bei uns sind Österreich, die Niederlande und Griechenland. Ich bin mir sicher, dass sich Bulgarien potenziellen Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland anschließen wird.

Sie selbst haben Bulgarien als junger Mann Richtung Deutschland verlassen. Wie können Sie heute die Jungen vom Auswandern abhalten?

Das ist ein großes Problem für uns: Jeder vierte junge, gut ausgebildete Bulgare verlässt das Land. Und gerade diese Jungen, gut Ausgebildeten brauchen wir. Aber junge Menschen sind frei, die dürfen reisen, probieren, gewinnen, verlieren, unterschiedliche Systeme sehen. Ich werde nicht der Präsident sein, der sagt: Halt, hierbleiben! Aber ich bin sicher, dass viele wieder zurückkommen werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: 400 junge Bulgaren, die in Deutschland ausgebildet wurden, machen heute die Komplettinspektion des Airbus 319 – in Sofia und nicht in Hamburg. Oder Hewlett Packard: 6500 junge, gut ausgebildete Bulgaren arbeiten hier. Vielleicht sind die Lohnkosten in Bulgarien geringer, aber ebenso sind es die Lebenshaltungskosten. Ich sehe schon den Trend, dass Leute zurückkehren. Ich selbst bin mit der ersten Welle von Rückkehrern nach acht Jahren in Deutschland 1998 zurückgekommen.

Haben Frankreich oder Deutschland das Recht, die bulgarischen Roma-Zuwanderer zurückzuschicken?

Es hat sich gezeigt, dass die bulgarischen Roma nur ein Zehntel der Roma in Frankreich waren, die anderen 90 Prozent kamen aus Rumänien, Tschechien, Slowakei. In Bulgarien gibt es rund 300.000 Roma, in Rumänien zwei Millionen, in der Slowakei über 600.000. Europa wird scheitern – nicht wegen der Roma, sondern wegen denen, die vor den Roma Angst haben. Die Lösung des Roma-Problems ist ein europäisches Problem. Natürlich müssen wir mehr in ihre Ausbildung investieren, aber noch einmal: Wenn es um unsere Werte geht, funktionieren Kalkulationstabellen nicht – das gilt für Roma ebenso wie für Russland.

Eines von Bulgariens größten Problemen ist die Korruption. Wie kann dagegen angegangen werden?

Wir haben ein Korruptionsproblem, das stimmt. Eine Lösung wäre sehr einfach: eGovernment. Wenn man bei öffentlichen Ausschreibungen nichts zu verstecken hat, schafft man ein sehr effizientes Instrument gegen die Korruption. Oder wenn man die Eigentumsverhältnisse von Medien offenlegt. Ich wünsche mir auch, dass unser Rechtssystem besser funktioniert und versuche entsprechend, möglichst viel dazu beizutragen.

Sie liegen oft im Clinch mit der Regierung?

Ich denke nicht an mein Rating oder an meine Wiederwahl. Ich will Probleme lösen und nicht sie machen. Ich bin der erste Präsident, der es geschafft hat, alle Parteien für unseren Plan "Bulgarien 2020" ins Boot zu holen. Dadurch steht die Regierung unter Druck. Aber das ist ein Rezept für Reichtum: Aufbau, Langfristigkeit. Wie lange hat die deutsche Autoindustrie gebraucht, um so stark zu werden,? Über hundert Jahre. So was geht nicht von heute auf morgen.

Vom Unternehmer zum Politiker

Binnen 45 Minuten musste sich der früher in Deutschland, später in seiner Heimat Bulgarien erfolgreiche Baumanager Rossen Plewneliew entscheiden, ob er Minister wird. Er sagte ja, drei Jahre später wurde er 2012 zum Staatschef gewählt. Seit seinen acht Jahren in Deutschland spricht der umtriebige Präsident, studierte IT-Experte und mehrfache Vater perfekt Deutsch. Und er überrascht mit einer Anekdote: "Angela Merkel fragte mich, wo ich Deutsch gelernt habe." – "Auf der Baustelle". – "Auf welcher?" – "Unter anderem für Ihr Büro, im Kanzleramt und bei der Renovierung des Reichstages."

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